Risiken für deutsche Wirtschaft

Berlin · Das konjunkturelle Tempo in Deutschland wird sich durch die europäische Schuldenkrise erheblich abschwächen, prophezeit der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem gestern vorgestellten Gutachten.

Für das laufende Jahr erwarten die sogenannten Wirtschaftsweisen noch ein sattes Wachstum von drei Prozent. 2011 dürfte die Wirtschaft lediglich um 0,9 Prozent zulegen. Es könnte aber auch deutlich schlechter kommen, falls die Schuldenkrise aus dem Ruder läuft.Nachfolgend die wichtigsten Aspekte der 435 Seiten starken Expertise:
Welche Gefahren drohen der deutschen Wirtschaft?
In der europäischen Schuldenkrise und der anhaltenden Schwäche der US-Wirtschaft sehen die Experten eine gefährliche Kombination, die Deutschland noch schwer zu schaffen machen könnte. Würde sich allein die Euro-Krise weiter verschärfen, könnte das Wachstum im nächsten Jahr nur bei 0,4 Prozent liegen. Falls die Krisen-Eskalation auch den Welthandel erfasst, "würde Deutschland in eine Rezession geraten". Im Klartext: Die Wirtschaft schrumpft. Zuletzt war das 2009 der Fall. Damals brach das Bruttoinlandsprodukt um 5,1 Prozent ein.
Wie kann die Krise gebannt werden?
Die bislang von den Euro-Ländern beschlossenen Maßnahmen, also zum Beispiel die Ausweitung des Rettungsfonds EFSF sowie der griechische Schuldenschnitt, sind aus Sicht der Wirtschaftsweisen keine endgültige Lösung. Deshalb schlagen sie einen sogenannten Schuldentilgungspakt vor. Demnach sollen Staaten, deren Schulden mehr als 60 Prozent der nationalen Wirtschaftkraft ausmachen, ihre Verbindlichkeiten in einen gemeinsamen Tilgungsfonds auslagern und binnen 20 bis 25 Jahren abbauen. Die Schulden würden also vergemeinschaftet.
Was unterscheidet den Tilgungsfonds von EuroBonds?
Auch Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder, von der Krisenstaaten wegen des geringeren Zinsniveaus profitieren würden, bedeuten grundsätzlich eine Vergemeinschaftung des Schuldenrisikos. Der Charme des Tilgungsfonds besteht aus Sicht der Wirtschaftsweisen darin, dass er mit strengen Auflagen für die Schuldner verbunden wäre. Dazu zählen die Einführung einer nationalen Schuldenbremse, harte Konsolidierungsvorgaben und ein Aufschlag auf nationale Steuern, der dem Tilgungsfonds zugutekommen muss.
Welche Chancen hat die Fonds-Idee?
Zumindest auf absehbare Zeit wird der Schuldentilgungsfonds nur Theorie bleiben. Bislang lehnt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Vergemeinschaftung von Schulden grundsätzlich ab. Deshalb hat sie auch die Idee der Euro-Bonds verworfen. Im Alltag der EU sei ein Schuldentilgungsfonds "auf gar keinen Fall möglich", sagte Merkel gestern in Berlin. Zudem gebe es verfassungsrechtliche Bedenken. Auch die Wirtschaftsweisen räumen ein, dass dafür eine Änderung des Grundgesetzes nötig wäre.
Wäre Griechenlands Austritt aus der Euro-Zone eine Alternative?
Davon halten die Wirtschaftsweisen überhaupt nichts. Nach ihrer Einschätzung käme es im Vorfeld zu einer massiven Kapitalflucht, die den Zusammenbruch des gesamten griechischen Finanzsystems nach sich zöge. Zugleich warnen sie vor einer möglichen "Kettenreaktion in den anderen Problemländern", deren Ende schwer absehbar sei.
Was stehen die Experten zu Steuersenkungen?
Im Gegensatz zur Opposition stehen die Wirtschaftsweisen den Regierungsplänen zur Abmilderung der "kalten Progression" wohlwollend gegenüber. Allerdings mit einer klaren Einschränkung: Weil die Haushaltskonsolidierung Vorrang habe, müsse die Steuerermäßigung durch Einschnitte an anderer Stelle gegenfinanziert werden. Als Beispiel nennen sie die Abschaffung der Steuerfreiheit bei Zuschlägen für Nacht- und Feiertagsarbeit. Genau davor hat sich freilich noch jede Bundesregierung gescheut.
Extra

Die Wirtschaftsweisen sind ein Sachverständigenrat, der die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beobachtet und die Politik berät. Das Gremium besteht aus fünf Experten, die jeweils für fünf Jahre berufen werden.

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