Roter Tourismus Chance für "Te-li-er"

Trier · Mit dem Aufstieg in den vergangenen Jahrzehnten ist das Interesse an China gestiegen - auch in Trier und in der Region. Feriengäste aus Fernost kurbeln den Tourismus an, die chinesische Wirtschaft eröffnet Chancen, die Stadt und die Uni Trier haben Partner in China. Inzwischen aber stößt das Wachstumsmodell an Grenzen.

Trier. "Chinas Aufstieg - Herausforderungen und Chancen für Deutschland und Trier", unter diesem Titel laden das Zentrum für Ostasien-Pazifik-Studien an der Uni Trier und das Mercator Institut für China-Studien (Merics/Berlin) ein (siehe Extra). Im Vorfeld sprach TV-Redakteur Heribert Waschbüsch mit Sebastian Heilmann, Professor an der Uni Trier und Direktor des Merics, über China und die Region.
"In China ist ein Sack Reis umgefallen." Das Sprichwort gilt als Metapher für ein unwichtiges Ereignis. Wie sehen Sie das? Sollten wir den Satz aus dem Sprichwörterkatalog streichen?
Sebastian Heilmann: Ja, denn schauen Sie mal: Die schwächelnde Industrieproduktion in China bereitet dem mittelständischen Maschinenbauer in Stuttgart schlaflose Nächte. Kursstürze in Shanghai verunsichern die Anleger in London und Frankfurt. Ein einziger großer Stromproduzent in China erzeugt mehr CO-Emissionen als ganz Frankreich. Und wenn ein Schiff der US-Marine im Südchinesischen Meer die von China beanspruchten Gewässer durchkreuzt, stockt der Welt der Atem. Längst betreffen die Folgen der großen Entwicklungen in China uns auch in Deutschland und Europa direkt und unmittelbar. Daher ist es wichtiger denn je, dass Deutschland einen differenzierten und vorausschauenden Blick auf China in all seinen Facetten hat.
Wo sehen Sie für die Region Trier Potenziale?
Sebastian Heilmann: Grundsätzlich hat Rheinland-Pfalz - verglichen mit anderen Bundesländern - einen großen Nachholbedarf. Da könnten verstärkte Anstrengungen bei der Investorenwerbung durchaus einiges bewirken. Aus chinesischer Perspektive bestehen in der Region und in Rheinland-Pfalz vor allem im Bereich Tourismus, in der Nahrungsmittelindustrie, aber weiterhin im Maschinenbau Investitionschancen. Große Chancen für die Region bietet der chinesische Auslandstourismus. Seit 2012 sind die Chinesen Reiseweltmeister. Auch Trier erlebt die neue Reiselust chinesischer Touristen. Bereits in der ersten Jahreshälfte kamen 8500 Touristen hierher, mehr als im gesamten Vorjahr (6989). Wichtiges Zugpferd für den chinesischen Trier-Tourismus ist Karl Marx. Der "rote Tourismus" zu europäischen Stätten mit kommunistischer Vergangenheit ist inzwischen ein eigenes Geschäftsmodell. Die Erwartungen an die Karl- Marx-Ausstellung 2018 in Trier sind hoch. Gastronomie, Hotels und gerade der Einzelhandel dürfen mit hohen Mehreinnahmen rechnen, wenn es gelingt, die reise- und kauffreudigen Touristen aus China für die Angebote ihrer Region zu begeistern. Es kommt jedoch zunehmend auf die gezielte Vermarktung der Region Trier an: Zum Beispiel kulinarische Weintouren, Naturerlebnisse, Architektur oder Geschichte locken die Chinesen, wenn man sie ihnen nur richtig nahebringt, und das heißt auch: Die Angebote müssen auf Chinesisch vorliegen.

Wird eine Region wie Trier oder Luxemburg mit jeweils einer halben Million Menschen überhaupt in China wahrgenommen?
Sebastian Heilmann: Die Größe einer Region ist zweitrangig, wenn sie es gezielt auf den Erwerb bestimmter Technologien abgesehen haben. Natürlich haben aber "industrielle Cluster" und die damit verbundene Infrastruktur immer eine besondere Anziehungskraft. Der Blick chinesischer Unternehmen geht deshalb häufig zunächst einmal in die industriellen Kerngebiete Deutschlands. Rheinland-Pfalz ist dabei bislang kein präferiertes Ziel. In Rheinland-Pfalz haben wir 2013/2014 nur eine gute Handvoll von chinesischen Investitionsprojekten mit einem Volumen über einer Million Euro gesehen. Luxemburg ist für chinesische Unternehmen natürlich vor allem mit Blick auf die Finanzindustrie interessant. Fast alle chinesischen Großbanken sind dort bereits vertreten - oder gerade dabei, Standorte zu etablieren.
Wie weit ist überhaupt bekannt, dass Trier die Geburtsstadt von Karl Marx ist?
Sebastian Heilmann: In der Tat ist die Stadt Trier nicht das Erste, was vielen Chinesen zu Karl Marx einfällt. Obwohl "Te-li-er", wie Trier auf Chinesisch heißt, in dem chinesischen Pendant von Wikipedia ordnungsgemäß als Geburtsstadt des Philosophen vermerkt ist. Viele jüngere Chinesen lernen Karl Marx im Rahmen des oft unbeliebten Ideologie-Unterrichts kennen. Dennoch ist Karl Marx aber als Visionär durchaus noch populär. Unser chinesischer Gastwissenschaftler, Ende 30, erzählte mir, dass er Poster von Karl Marx sogar bei jungen chinesischen Start-up-Unternehmern gesehen hätte.
Welche Bereiche - neben dem Tourismus - könnten durch stärkere Kontakte profitieren?
Sebastian Heilmann: Die Art der Unternehmen und das Interesse chinesischer Investoren werden sich in Zukunft ausdifferenzieren. Vor allem werden wir einen starken Anstieg von privaten Investitionen erleben.
Hier gibt es für die Region große Chancen. Da größere Übernahmen eher nicht zu erwarten - und auch nicht unbedingt gewünscht - sind, muss versucht werden, sich stärker als Produktionsstandort für Investitionen in den Aufbau neuer Standorte zu positionieren. Industrieparks, die sich auf die Interessen chinesischer Investoren ausrichten, könnten eine Rolle spielen. hwExtra

Die Informations- und Diskussionsveranstaltung "Chinas Aufstieg - Herausforderungen und Chancen für Deutschland und Trier" am Donnerstag, 5. November, im Pentahotel in Trier (Kaiserstr. 29) beginnt um 17 Uhr. Sebastian Heilmann, führt ins Thema ein. Mikko Huotari (Programmleiter Außenpolitik und Außenwirtschaft am Merics) spricht über chinesische Auslandsinvestitionen in Deutschland. Marie Hoffmann (Merics) berichtet über das Volk der Reiseweltmeister. Kristin Shi-Kupfer (Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft, Medien am Merics) spricht über die Suche vieler Chinesen nach Sinn und Werteorientierungen. red Infos unter: http://www.merics.org/de/aktuelles/termine.html

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