Sauerkraut mit Vanillesauce

TRIER. Er gilt als die wichtigste Kontaktbörse für die regionalen Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung: der Neujahrsempfang der Vereinigung Trierer Unternehmer (VTU) in der Region Trier. Im Zentrum des Treffens der rund 400 Mitglieder und Gäste: eine Bilanz des vergangenen Jahres und ein etwas anderer Blick aufs Wirtschaftsgeschehen – diesmal aus der Warte eines Gehirnforschers.

Wer unfair handelt und Angst ausübt, wird langfristig ohne wirtschaftlichen Erfolg bleiben. Das scheint eine Binsenweisheit zu sein. Doch nicht allein die Erfahrung von Unternehmern lehrt dies, auch die Wissenschaft kommt zum selben Ergebnis, wie der Ulmer Neuro-Biologie-Professor und Psychiater Manfred Spitzer beim Neujahrsempfang der VTU in der Trierer Europahalle festhält. "Die Menschen verhalten sich eben nicht so, wie die Wirtschaftstheorie es glauben macht als rationale Egoisten, sondern so, wie es das Gehirn vorgibt", sagt der Experte. Doch ehe er die Entscheidungsträger der Region in die Tiefen der "Gehirnforschung zum Bewerten, Entscheiden und Handeln" einführt, unterstützen die Gäste den VTU-Vorsitzenden Hanns Rendenbach in seiner Formulierung der Wünsche für 2006, zumal der Rahmen dafür - in Anwesenheit von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) und seines Herausforderers Christoph Böhr (CDU) - im Jahr der Landtagswahl günstig erscheint. "Mutigere Reformen, ein einfacheres Steuersystem, ein flexiblerer Arbeitsmarkt, klare Entscheidungswege, weniger staatliche Eingriffe und eine Verringerung der Lohnzusatzkosten" wünscht sich Rendenbach von der Bundespolitik. Trotz der vielen anstehenden Aufgaben blickt der VTU aber optimistisch ins Jahr 2006. Die allgemeine Stimmung scheint sich demnach auch auf die Betriebe in der Region übertragen zu haben. "Die Zeichen für einen Aufschwung stehen so gut wie lange nicht. Lassen Sie uns die euphorische WM-Stimmung auf die Wirtschaft übertragen", sagt Rendenbach.Kribbeln im "Bauchweh"-Areal

Ein Optimismus, den Fußball-Fan Kurt Beck teilt, der ihm bei den Unternehmern der Region allerdings etwas "ungewohnt" erscheint. Dennoch will er ihn pflegen und ermuntert die Unternehmenschefs zu mehr Verantwortung. "Wir müssen die Gemeinschaft im Unternehmen mehr in den Vordergrund rücken, dauerhaftes Vertrauen in alle Betriebsmitglieder haben und uns nicht amerikanisieren lassen", ermutigt Beck die Mittelständler der Region Trier. Vertrauen ist auch eines der Schlagworte, die Gastredner Manfred Spitzer bemüht. Anhand seiner Forschungsarbeit spannt er einen großen Bogen von der Beschaffenheit des menschlichen Gehirns über zwischenmenschliches Verhalten bis hin zum Lernverhalten von Kindern. Er schafft es dabei, komplizierte biologische Zusammenhänge kostgerecht selbst für Ungeduldige auf humorvolle Weise zurecht zu stutzen und die Zeit bis zur Eröffnung des gewohnt erlesenen Büffets kurzweilig zu bereichern. "Was hat Gehirnforschung mit Wirtschaft zu tun? Sehr viel, auch wenn die Neuro-Ökonomie zunächst wie Sauerkraut mit Vanillesauce anmutet", leitet der Professor ein. So belohne das Gehirn den Menschen für Fairness, bestimmte Areale seien dann besonders aktiv: "Im Team nutzen deshalb Kollegen mit ausgefahrenen Ellenbogen niemandem. Wir brauchen Kooperation", wirbt der Gehirnforscher für betriebliche Teamarbeit. Inzwischen könnten Entscheidungen von Managern und Börsenmaklern in einem Scanner so abgefragt werden, so dass sie verständlich würden. "Bald werden Konzernchefs und Politiker regelmäßig auf die Funktionsfähigkeit ihrer Gehirnareale geprüft", prognostiziert er. Ein Horrorszenario? Im Gegenteil: "Das Gehirn ist ein Organ der Freiheit. Und für Fehler zahlen wir alle", sagt Spitzer. So plädiert er bei Kindern für ein frühes Lernen von festen Regeln. "Wirtschaftlicher Erfolg ist abhängig von Bildung", sagt der Experte, doch stures Faktenpauken mache keinen Sinn. "Nichts ist schlechter für Kreativität als Angst" - ob vor Misserfolg, Bestrafung oder Arbeitslosigkeit. "Kreativität und Emotionalität" heißen daher die Schlagworte Spitzers: als Garanten für Glücksgefühle und gegen ein Kribbeln im "Bauchweh"-Areal.

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