Schöner Schein und harter Umbruch

Genf · Die Autoindustrie steht vor einer Zeitenwende. In Genf zelebrierte die Branche immer das Automobil - diesmal wirft mit der geplanten Opel-Übernahme durch Peugeot Citroën der harte Kampf um Arbeitsplätze seine Schatten voraus.

Genf (dpa) Sportwagen, Eleganz, Luxus - in Genf kamen bisher immer die schöngeistigen Autoliebhaber auf ihre Kosten. Auch diesmal werden die Hersteller in der kommenden Woche wieder versuchen, mit elegantem Design zu punkten. Die Franzosen von Renault etwa wollen ihrer Sportwagenmarke Alpine wieder Leben einhauchen und lüften dazu den Schleier über einer neuen Version des französischen Kult-Sportcoupés A110. Volkswagen kommt mit dem Nachfolger des CC, einer Art noblem Passat. Diesmal dürfte die Eleganz aber vom harten Ringen um die künftige Ausrichtung der Branche in Europa überschattet werden. Denn die steht nicht nur wegen der geplanten Übernahme von Opel durch PSA Peugeot Citroën am Scheideweg.
Den Oberklasseherstellern vor allem aus Deutschland geht es zwar nach wie vor blendend - Daimler, BMW und Audi fahren von kleineren Schlaglöchern abgesehen weiter satte Gewinne ein. Aber im Segment darunter knirscht es. Noch lebt der europäische Markt vom Aufschwung der Jahre nach der Finanz- und Wirtschaftskrise. Aber wie in anderen Regionen auch rechnen Experten mit einem abflauenden Wachstum - kein Wunder, markierte das vergangene Jahr mit 14,6 Millionen neu zugelassenen PKW den besten Wert seit neun Jahren. Dieses Jahr, so schätzt der europäische Herstellerverband Acea, dürfte das Plus nur noch ein Prozent betragen nach fast sieben Prozent im Vorjahr. Das könnte einige Volumenhersteller in Bedrängnis bringen, denn paradiesisch ist die Rendite bei vielen auch derzeit im Boom nicht. Zu wenig ausgelastet sind die europäischen Werke, um auch unter Druck weiter zu funktionieren. VW hat etwa den Abbau von Zehntausenden Arbeitsplätzen verkündet, um die jahrelange Gewinnschwäche abzuschütteln.
Die geplante Opel-Übernahme durch die Franzosen von PSA steht beispielhaft für die Lage. Die Amerikaner von General Motors würden ihr chronisch defizitäres Europageschäft gern loswerden, und PSA-Chef Carlos Tavares dürfte mit Zusammenlegungen den Leerlauf in vielen Werkshallen ausmerzen. Das könnte Geld sparen und die Hersteller robuster machen für den Ernstfall, obwohl PSA nach einer harten Sanierung derzeit gar nicht schlecht dasteht.
Tavares gilt nicht gerade als zimperlich, wenn es um Rendite geht. Um Peugeot wieder fit zu machen, musste etwa ein Werk nördlich von Paris die Tore schließen, Tausende verloren ihren Job. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnet damit, dass die seiner Rechnung nach teuren deutschen Opel-Werke besonders gefährdet wären. Immerhin: Bis Ende 2018 sind die 19 000 deutschen Opel-Jobs tarifvertraglich gesichert. Aber bis dahin ist es für die Autobranche ein kurzer Zeitraum - Investitionspläne gehen wegen der jahrelangen Modellzyklen üblicherweise deutlich darüber hinaus. Ein Deal zwischen PSA und Opel könnte aber nur ein Vorgeschmack sein auf das, was laut Experten bis 2025 an Umbruch droht - dann, wenn der Verbrennungsmotor wirklich in Bedrängnis kommt. Große Hersteller wollen bis 2025 bis zu oder gar rund ein Viertel ihrer Neuwagen als Elektromodelle auf den Markt bringen.
Die Experten der Unternehmensberatung Deloitte gehen davon aus, dass es mitunter schneller geht. Der Anteil der E-Antriebe bei Neuzulassungen könnte im Jahr 2025 in Deutschland bereits 40 Prozent betragen. "Aus dem bisher gut planbaren ist ein disruptiver Markt geworden", sagt Deloitte-Strategieexperte Nikolaus Helbig. Stellen sich die großen Hersteller nicht schnell genug auf die neuen Bedürfnisse der Kunden ein, dann drohen unter Umständen einbrechende Umsätze und Gewinne sowie Arbeitsplatzverluste im zweistelligen Prozentbereich.
Dennoch: In Genf spielt der Anteil von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben weiter eine untergeordnete Rolle. Weniger als 70 von 900 präsentierten Modellen erfüllen auch die in der EU ab 2021 für Neufahrzeuge vorgeschriebene Ausstoßgrenze von 95 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer. Als wäre all das nicht genug, steht ja auch noch der Brexit vor der Tür. Je nachdem, wie hart der Austritt Großbritanniens aus der EU wird, desto stärker müssen Autobauer darüber nachdenken, wo sie für welchen Markt in Europa produzieren.
BMW prüft einem unbestätigten Handelsblatt-Bericht zufolge, ob der künftige Elektro-Mini nicht in Deutschland gebaut werden soll.

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