Sicherheit wird zum Marktfaktor

Mainz · Immer öfter werden Firmen in Rheinland-Pfalz Opfer von Industriespionage. Besonders betroffen sind Unternehmen aus der Energiewirtschaft, dem Anlagen- oder dem Maschinenbau. Der Verfassungsschutz ist alarmiert.

Mainz. Wirtschaftsspionage boomt. Den deutschen Unternehmen gehen jedes Jahr Milliarden Euro verloren, weil konkurrierende Konzerne oder ausländische Geheimdienste Strategien oder Produkte ausspähen. Rheinland-Pfalz gilt nach Überzeugung des Verfassungsschutzes mit seiner exportorientierten Wirtschaft als stark gefährdet. Zumal Weltkonzerne wie der Chemiegigant BASF, der Pharmariese Boehringer Ingelheim, der Glasproduzent Schott oder das Mercedes-Benz-Werk Wörth, eines der größten Lkw-Montagewerke der Welt, ihren Stammsitz auf rheinland-pfälzischem Boden haben. Attraktiv für ausländische Agenten sind zudem zahlreiche "Hidden Champions", meist nur in ihren jeweiligen Branchen bekannte, mittelständische Unternehmen, die als Weltmarktführer gelten. Wer sein Know-how nicht wirksam schützt, erspart der Konkurrenz lästige Entwicklungskosten und verliert leicht Millionen Euro an Umsatz. "Sicherheit wird zum Marktwert für die Unternehmen", betont Hans-Peter Schmitt, stellvertretender Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz, im Gespräch mit der in Koblenz erscheinenden Rhein-Zeitung. Der Leitende Ministerialrat weiter: "Wirtschaftsspionage kostet wertvolle Arbeitsplätze."
Schmitt appelliert an die Firmen im Land, ihr Sicherheitsmanagement zu verbessern. Die ersten Schritte zur erfolgreichen Spionageabwehr sind leicht. Nicht erklärbare Störungen im Datennetz können auf Manipulationen hinweisen. Verdächtig ist, wenn Auftraggeber ihr Geschäftsziel verschleiern oder potenzielle Partner im Ausland hohes Interesse an einer Kooperation haben, aber nur über geringes Fachwissen verfügen. Misstrauen wecken sollte auch, wenn sich überqualifizierte Mitarbeiter, deren Werdegang Lücken aufweist, für sensible Bereiche bewerben. Hinter all dem verbergen sich laut Verfassungsschutz oft Tarnidentitäten oder Scheinfirmen, die nur ein Ziel verfolgen: ein Unternehmen auszuspähen.
Besonders chinesische und russische Geheimdienste gelten als findig. Doch auch die europäische Konkurrenz schläft nicht. Selbst in Deutschland versuchen, Firmen sich gegenseitig Geschäftsgeheimnisse abzujagen. Dazu muss ein neuer Mitarbeiter nur noch schnell die Kundendatei seines alten Arbeitgebers kopieren. Die Verfassungsschützer warnen davor, bei Auslandsreisen sensible Daten - etwa auf dem Laptop - unbeaufsichtigt im Hotelzimmer zu lassen. Geschenkte USB-Sticks oder DVDs können Trojaner enthalten. Im schlimmsten Fall lässt sich ein PC anschließend fernsteuern. Alles schon passiert - auch in Rheinland-Pfalz. Schließlich schnappt auch die traditionellste aller Fallen regelmäßig zu. Ein paar Drinks an der Bar - und schon lockert sich die Zunge, an allen Firewalls und Vorschriften vorbei. Der Siegeszug des Internets als allumfassende Kommunikationsplattform stellt Verfassungsschützer und Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Die Datenkanäle sind kaum abzuschotten, was im Zuge der Datenaffäre um den US-Geheimdienst NSA erstmals breit in den Fokus der Öffentlichkeit rückte. Inzwischen sind 78 Prozent der Rheinland-Pfälzer online - zum Teil mit mehreren Geräten. Die Zahl der Angriffe aus dem Cyberspace, dem virtuellen Raum, wächst rapide. Die Behörden- und Regierungskommunikation ist daher besonders stark gesichert. Der Landesbetrieb Daten und Information (LDI) hält hier alle virtuellen Fäden in der Hand. Verfassungsschützer Schmitt ist überzeugt, dass die Sicherheitsstrategie in einem jeden Unternehmen Chefsache sein müsste. Seiner Ansicht nach geht es um den Schutz der ökonomischen Kronjuwelen. Doch das Problembewusstsein in der Wirtschaftswelt ist nach Ansicht des Verfassungsschutzes noch nicht ausgeprägt genug. Gefährdet sind zudem Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Auch in Rheinland-Pfalz wurden schon Kabel angezapft und Wanzen in Telefonen installiert. Hans-Peter Schmitt rät: Wer etwas Verdächtiges bemerkt, sollte nicht zögern und frühzeitig den Verfassungsschutz einzuschalten.Extra

Um Wirtschaftsspionage einen Riegel vorzuschieben, haben Landesregierung, Wirtschaftsverbände, Kammern sowie die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft (ASW) Mitte der 90er-Jahre in Rheinland-Pfalz eine Sicherheitspartnerschaft begründet. Die Folge: Sicherheitsbehörden, vor allem der Verfassungsschutz, geben den Unternehmen Warnmeldungen, liefern Gefährdungsanalysen und unterstützen die betriebliche Prävention. Rheinland-pfälzische Firmen sollen Spionage und Sabotage besser abwehren können. Die Sicherheitspartnerschaft wurde 2005 erweitert. Der Verfassungsschutz ist unter anderem mit Vorträgen und Beratungsleistungen engagiert. dbExtra

Die Datensicherheit liege insbesondere in vielen mittelständischen Unternehmen im Argen. Darauf verweist der rheinland-pfälzische Landesdatenschutzbeauftragte. Die Digitalisierung des Geschäftsalltags nehme stetig zu. So würden Geschäftsprozesse zunehmend ins Internet verlagert und die IT-Strukturen durch den Einsatz von Smartphones oder Tablet-Computer auf Bereiche außerhalb des Unternehmens ausgedehnt. Vertrauliche und geschäftskritische Informationen würden zunehmend per E-Mail versandt. Etwa Geschäftsbriefe, Rechnungen, Patente, Verträge und Vereinbarungen, aber auch Termine, Protokolle und Präsentationen sowie Steuermeldungen und Bescheide. wie

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort