Arbeitsmarkt Schieflage und Boom zugleich

Trier · Viele Schulabgänger haben inzwischen einen Ausbildungsplatz gefunden. Es klafft aber noch eine beachtliche Lücke. Warum sich der Ausbildungsmarkt in Schieflage befindet und das auch Auswirkungen auf den boomenden Arbeitsmarkt insgesamt hat.

 Ausbildung 21

Ausbildung 21

Foto: TV/Typoserve

Die gute Nachricht vornweg: Der Arbeitsmarkt brummt, er schafft neue Stellen und hat sich im Herbst massiv belebt. In Zahlen ausgedrückt: Mit 9630 Arbeitslosen sind 369 Menschen weniger ohne Job in der Region Trier, die Arbeitslosenquote ist im Monatsvergleich leicht um 0,1 Punkte auf 3,3 Prozent gesunken. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Quote sogar um 1,3 Prozentpunkte gesunken.

Gleichzeitig sind mit 5775 offenen Stellen so viele Jobs unbesetzt wie selbst vor der Corona-Pandemie nicht. Vor allem die Zeitarbeit sucht Leute, aber auch das verarbeitende Gewerbe, der Handel, das Gesundheits- und Sozialwesen und das Baugewerbe. „Unsere größte Herausforderung ist die Fachkräftesicherung in Verbindung mit der Transformation und Digitalisierung des Arbeitsmarkts“, sagt Heribert Wilhelmi, Chef der Trierer Agentur für Arbeit. Doch was heißt das konkret?

Die Benachteiligten: Rund 80 Prozent der offenen Stellen benötigen Fachkräfte, aber nur 50 Prozent der derzeitigen Arbeitslosen verfügt überhaupt über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Aber auch Menschen mit Behinderung finden laut Agenturchef oft wenig Anklang bei Arbeitgebern. Hier müsse man auch Menschen mit Defiziten am Arbeitsmarkt eine Chance geben, appelliert er.

„Diese Hürden müssen wir aktiv überspringen“, bestätigt Stefanie Adam, operative Geschäftsführerin der Trierer Arbeitsagentur. Vor allem bei der Digitalisierung. „Wir nehmen besonders wahr, dass sich die Menschen als medial erfahren ausgeben, es aber eigentlich für den Job nicht sind“, sagt sie.

Dass das Engagement der Agentur durchaus Früchte trägt, gerade diese schwer zu vermittelnden Gruppen zu fördern und in den Arbeitsmarkt zu begleiten, zeigen die Oktoberdaten: Sowohl Ältere ab 55 Jahren, Ausländer oder Schwerbehinderte haben von der Herbstbelebung profitiert.

Adam: „Der Aufwärtstrend kommt seit langem auch wieder bei den Langzeitarbeitslosen an. Deren Zahl ist innerhalb der vergangenen vier Wochen um 136 auf 3278 zurückgegangen.“ Gerade diejenigen, die kurz vor oder während der Corona-Pandemie in die Langzeitarbeitslosigkeit abgedriftet seien, habe man sehr intensiv von Agenturseite betreut.

Der Nachwuchs: Besonders auffällig ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit jedoch bei den jungen Leuten unter 25 Jahren: Hier ist die Arbeitslosigkeit um 14,2 Prozent gesunken, weil nach den Sommerferien viele Ausbildungsabsolventen ihre erste Festanstallung finden. „Sie sind ein wichtiger Pfeiler unseres Arbeitsmarkts, sie bringen mit ihrem frisch erworbenen Wissen wichtige Kompetenzen in die Unternehmen ein“, weiß Agenturchef Wilhelmi.

Doch so einfach lässt sich der passende Deckel zum Topf in Sachen Nachwuchsgewinnung nicht immer finden. Das beginnt schon bei der Berufsorientierung und dem Abschluss zum Lehrvertrag.

Die Berufswahl: Als Schieflage bezeichnet die Arbeitsagentur die aktuelle Lage am Ausbildungsmarkt. „Nach wie vor herrscht in Folge der Corona-Pandemie große Unsicherheit bei Jugendlichen und ihren Eltern, aber auch bei den Ausbildungsbetrieben“, stellt der Behördenchef fest. Die Folge: Sowohl die gemeldeten Lehrstellen (derzeit 3855, minus 9,8 Prozent) als auch die Bewerberzahlen (derzeit 2654, minus 3,9 Prozent) sind rückläufig. Auch wenn weitaus weniger junge Leute unversorgt blieben im Vergleich zum Vorjahr, so klafft zwischen Bedarf und Angebot doch eine große Lücke. 

Die Ursache: Beratung, Messen und Praktika sind noch nicht auf dem Vorkrisenniveau. „Deshalb dauern Berufswahlprozesse derzeit länger“, stellt Heribert Wilhelmi klar. „Aber dies kann nicht allein als Folge der Pandemie gewertet werden.“ Schon länger zeichneten sich die Folgen des demografischen Wandels ab, indem aus immer weniger geborenen Kindern auch immer weniger  Auszubildende werden.

Auch mit der Veränderung ganzer Berufsbilder und Ausbildungsprofile sind von Betriebsseite weniger Azubis und später Gesellen vonnöten, und wenn, dann technisch und fachlich interessierte Jugendliche mit hohem Leistungsniveau. Beispiel Handwerk: „In der Schreinerlehre geht es ohne Computer nicht mehr, bei Dachdeckern und Gerüstbauern werden immer mehr Drohnen eingesetzt. Da hat sich wahnsinnig viel geändert.

Die Lösungsansätze: Angesichts all der Ursachen fallen auf jeden der 179 unversorgten Jugendlichen gut vier unbesetzte Lehrstellen zu. „Die Diskrepanz zeigt sich deutlich beim Blick auf die Top-Ten-Berufe. Zwar stehen auf den ersten fünf Plätzen mit den Kaufleuten im Einzelhandel, für Büromanagement, den Verkäufern, den Industriekaufleuten und den  KFZ-Mechatronikern viele Optionen von Betriebsseite offen, es werden diese aber nicht in dem Maß von den Bewerbern nachgefragt.

„Wir setzen nun verstärkt an drei Stellen an: Wir müssen wieder verstärkt in die Schulen und der Kontakt hat gefehlt, wie wir merken, um Jugendliche im Dschungel der Möglichkeiten zu informieren“, sagt Stefanie Adam. Zum zweiten wolle man stärker an die Eltern als Bestandteil in der Berufsfindung der Kinder heran: „Die Eltern haben selbst oft eine veraltete Ausbildung. Ihnen klar zu machen, dass gut gemeinte Aussagen wie: ,Mach erst mal Abitur!’ nicht immer das Richtige fürs Kind sind, ich wichtig.“ Und drittens wolle man die Arbeitgeber stärker dafür sensibilisieren, nicht nur nach dem „Rundum-Perfekt-Jugendlichen“ für eine Lehrstelle zu suchen, sondern auch die Erwartungshaltung zu ändern: „Betriebe werden mehr Aufwand in die Ausbildung des Nachwuchses stecken müssen. Und sie werden mehr für sich werben müssen“, ist die Agenturchefin sicher.

Doch ohne Übung kein Meister, heißt es: Hier wirbt die Agentur darum, auch selbst tätig zu werden. „Praktika, Praktika, Praktika!“, betet Wilhelmi vor. Die Praxis im Betrieb sei wieder möglich und gefragt. Die jungen Leute sollten diese Gelegenheit nutzen.

Randbemerkung Kurzarbeit: Auch wenn noch nicht in allen Betrieben die Pandemiefolgen überwunden sind, so ist doch das Thema Kurzarbeit kaum noch eines im Vergleich mit der Situation im Vorjahr. War von März bis Oktober 2020 noch in 5812 Unternehmen für 60 086 Beschäftigte Kurzarbeit angezeigt, so waren das im gleichen Zeitraum dieses Jahres nur 300 Unternehmen mit 4790 Beschäftigten. Wie viele von diesen tatsächlich in Kurzarbeit gearbeitet haben, kann erst fünf Monate später gesichert ausgewertet werden.

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