Spiegelbild der Arbeitswelt

TRIER. Den Gewerkschaften laufen die Mitglieder davon? Ein voreiliger Schluss. Denn im Verhältnis zur Beschäftigtenzahl einzelner Branchen ist in der Region Trier der Organisationsgrad gestiegen. Einen Abgesang auf die Gewerkschaften anzustimmen, erscheint deshalb verfrüht. Eine Bestandsaufnahme zum Tag der Arbeit.

Nach wochenlangem Streik im öffentlichen Dienst der Landesbeschäftigten in Rheinland-Pfalz muss Detlef Schieben immer noch optimistisch sein, muss seine Mitglieder motivieren, bei der Stange halten und dennoch so ehrlich sein, vor überzogenen Erwartungen zu warnen. "Wir brauchen nun ein Ziel, ein Verhandlungsdatum", sagt der Trierer Verdi-Bezirkschef. Jedoch müssten Streiks auch ihre Auswirkungen haben - wie sie etwa in Trier in den Mensen der Universität und der Fachhochschule sichtbar seien. Dabei haben ihn sowohl die Dauer als auch die Beteiligung seiner Gewerkschaftsmitglieder erstaunt. "Bisher war es oft nicht nötig, dass die Landesbeschäftigten für ihre Interessen eintreten mussten", sagt er. Doch es sei ein Lernprozess im Gange. Nach dem wochenlangen Streik ist Detlef Schieben zu einer Art Ersatz-Arbeitgeber für viele geworden. "Manche sprechen mich schon mit ,Chef' an", sagt er. Doch ist der Verdi-Mann ein wenig neidisch auf die Gewerkschaftskollegen der IG Metall: weil die als kompliziert strukturierte und vor fünf Jahren fusionierte Dienstleistungsgewerkschaft aus 13 Fachbereichen nicht direkt mit einem Unternehmer der freien Wirtschaft verhandelt, sondern erst über eine Verwaltung mit den Ländern oder öffentlichen Arbeitgebern. Und deshalb, im Gegensatz zu den Metallern, noch keinen neuen Tarifvertrag vereinbart hat. Der Tarifkonflikt hat Auswirkungen auf die Mitgliederzahl von Verdi. Auch wenn seit Jahren ihre Zahl in der Region Trier um 1800 auf nun 9500 gesunken ist, so ist die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ebenfalls um 15 Prozent im gleichen Zeitraum gesunken. Im Landesvergleich ist Verdi Trier dabei nach eigenen Angaben der Bereich mit dem geringsten Rückgang an Mitgliedern. Neuzugänge: Verdi Trier im Bundesranking vorn

"Gewerkschaften sind ein Spiegelbild der Gesellschaft", sagt Detlef Schieben. Bei einem Arbeitsplatzabbau gehe auch die Zahl der Mitglieder nach unten. Und dennoch ist die Gewerkschaftsarbeit gefragt: "Bei betrieblichen Konflikten bekommen wir auch mehr Mitglieder. Sie kommen aber nicht allein aus reiner Überzeugung." Durch den Streik im öffentlichen Dienst ist Verdi Trier bei Neuzugängen im Bundesranking sogar vorn mit dabei, vor allem bei Frauen und Studierenden. Eine Spitzenposition, die Schieben mit einem lachenden und einem weinenden Auge sieht. Ähnlich beschreibt es Roland Wölfl, Generalbevollmächtigter der IG Metall in der Region Trier. "Wir müssen nah an den Leuten sein, weil die Erwartungshaltung zugenommen hat", sagt er. Dabei hat er - angesichts der zahlreichen Unkenrufe, eine Mitgliedschaft lohne sich nicht - für seinen Bereich eine Rechnung aufgemacht: "Für jeden Euro Beitrag bekommt das Gewerkschaftsmitglied im Schnitt sieben Euro aus Finanzleistungen für den Rechtschutz und aus außergerichtlichen Vereinbarungen heraus. Eine gute Geldanlage", sagt der Funktionär. Und die sei immer stärker gefragt. "Das Klima in den Betrieben ist rauer geworden. Viele Beschäftigte haben Angst." Allerdings hätten die dreiwöchigen Warnstreiks der Metaller vor Ostern eine Phase der "Befreiung" eingeläutet. Immerhin kann sich die IG Metall auf die Fahnen schreiben, ihre Mitgliederzahl in der Region Trier seit 2000 um 200 auf nun 5300 gesteigert zu haben - bei einem Wegfall von 1500 Stellen in der Metallindustrie. Dabei sind in den Betrieben zwischen 32 und 76 Prozent der Belegschaft Mitglied einer Gewerkschaft. Die gesamte Region Trier liegt mit rund 38 000 beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) registrierten Mitgliedern bei 115 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Organisationsgrad 33 Prozent) durchaus im Bundesdurchschnitt der westlichen Länder. "Das ist seit Bestehen der höchste Organisationsgrad", sagt DGB-Trier-Chef Karl-Heinz Päulgen. Und auch am gebeutelten Bau ist der Organisationsgrad durch die Halbierung der Arbeitsplätze in den vergangenen zehn Jahren bei etwa 1600 Mitgliedern der IG Bau in der Region auf rund 35 Prozent gestiegen. "Das ist eine schwierige Zeit, aber wir verbinden damit auch eine Chance", sagt IG-Bau-Bezirkschef Reiner Gehring. "Wenn die Mittel in den Betrieben härter werden, bekommt Solidarität eine neue Bedeutung", schlussfolgert Gehring. Und sein Kollege Detlef Schieben sagt: "In den wenigsten Betrieben ist man noch eine große Familie. Die Fürsorge vieler Unternehmer endet am 31. eines Monats. Unsere Methoden mögen vielleicht altmodisch sein, aber auch die Gesetze sind nach wie vor die alten."

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