Suche nach Kompromiss

TRIER. Abbau von Sozialstandards kontra wirtschaftliche Freiheit: Die Meinungen zur geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie gehen auseinander. Viel Arbeit für die Politik, einen Kompromiss zu finden, wie eine Tagung an der Europäischen Rechtsakademie in Trier zeigte.

Wenn Reinhard Steinkamp vom Behörden-Alltag zwischen Deutschland, Luxemburg und Belgien berichtet, müssen nicht wenige EU-Beamte, Rechtsanwälte und Branchenvertreter den Kopf schütteln. Der Inhaber der rollenden Lebensmittelmärkte "Heiko" aus Neuendorf (Kreis Bitburg-Prüm) hat nicht nur neun Monate auf die Verkaufsgenehmigung für Belgien gewartet, die Verzögerung kam wegen der fehlenden Gesprächsbereitschaft zwischen flämischem und wallonischem Sachbearbeiter zustande - und das, obwohl beide in einem Büro saßen. Für seine Sortimente gelten nationale Sonderheiten: Während in Deutschland per "Supermarkt-Mobil" Fleischprodukte verkauft werden dürfen, gilt in Belgien Geflügel nicht mal als Fleisch, in Luxemburg darf nur per Ausnahmegenehmigung Fleisch verkauft werden. Von den Unterschieden bei der KFZ-Zulassung für seine Transporter ganz zu schweigen. Ob sich die Investition in Niederlassungen für Steinkamp gelohnt hat, muss sich zeigen. Mit der neuen Dienstleistungsrichtlinie, die die Europäische Union 2006 durchsetzen will, hätte er das Risiko zumindest verringern können. "Dann hätte ich von deutschem Boden aus testen können, ob es einen Markt für meine Dienstleistung gibt", sagt er anlässlich einer Tagung zum Thema "Gewerberecht" an der Europäischen Rechtsakademie in Trier. Der Eifeler Unternehmer ist überzeugt, dass gerade kleinen Betrieben allgemeine europäische Regeln helfen könnten. Doch bis die Richtlinie in Kraft tritt, ist es ein weiter Weg. Parlament und Ministerrat müssen erst mehrheitlich zustimmen. Kritiker befürchten, dass mit dem in der Richtlinie verankerten Herkunftsland-Prinzip Sozial-, Umwelt- und Rechts-Dumping entsteht. Denn Dienstleistern wie Handwerkern oder Frisören soll erlaubt sein, ihre Arbeit in allen EU-Ländern anzubieten - und zwar zu den Bedingungen des Heimatlandes. So befürchtet Roland Stuhr vom Bundesverband der Verbraucherzentralen einen "Wettbewerb um den kleinsten gemeinsamen Nenner". Die englische EU-Abgeordnete Diana Wallis sieht dagegen die positiven Ansätze durch die Nationalstaaten und Interessengruppen gefährdet. "Ein Kompromiss wird sehr schwierig werden. Wir wollen, dass unsere Betriebe wachsen, aber auch, dass Verbraucher Kontrollmöglichkeiten haben und abgesichert sind", sagt sie. Immerhin 1150 Änderungsanträge liegen dem EU-Parlament vor, das in erster Lesung noch im Oktober entscheiden will. Die befürchtete Gefährdung von Sozial- und Umweltstandards hält Andrea Liesenfeld von der EU-Kommission derweil für kein europäisches, sondern für ein deutsches Problem. "Der Entwurf berücksichtigt alle Arbeits- und Beschäftigungsvorschriften der Länder, etwa Mindestlöhne, Urlaub- und Leiharbeitsvorschriften. In Deutschland gibt es aber keine Mindestlöhne, und Tarifregeln sind nicht allgemein verbindlich", sagt sie. Wenn sich schon innerhalb Deutschlands nicht alle Unternehmer an gewisse Spielregeln hielten, könne man das nicht umgekehrt von ausländischen Betrieben verlangen. Während sich Triers-IHK-Hauptgeschäftsführer Arne Rössel strikt gegen Mindestlöhne wendet, hat zumindest Unternehmer Reinhard Steinkamp seine Erfahrungen: "Ich muss die in Luxemburg und Belgien ja jetzt auch schon einhalten."

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