Täuschen und Tarnen

BERLIN. Die Kommunen leiden unter akuter Finanznot. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber mit der für 2005 vorgesehenen Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gewinnt sie offenbar noch zusätzlich an Dramatik.

Eigentlich sollte die im Hartz-IV-Gesetz verankerte Maßnahme für entspannte Gesichter in den Rathäusern sorgen. In Wahrheit würden die Kommunen jedoch zusätzlich belastet, klagt die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Petra Roth. Am kommenden Montag treffen sich Beamte des Bundeswirtschaftsministeriums und kommunale Spitzenvertreter erneut zu einem weiteren Krisengespräch. Ein Durchbruch wird dem Vernehmen nach aber noch nicht erwartet.Kommunen packen "Folterwerkzeuge” aus

Aus Sicht des Deutschen Städte-tages nahm das Unheil in einer "langen Nacht” seinen Lauf. Gemeint ist die Marathonsitzung des Vermittlungsauschusses Ende vergangenen Jahres. Dort wurde ein großes Reformpaket beschlossen, das auch nachhaltige Auswirkungen auf die Gemeindefinanzen hat. Um brutto 11,3 Milliarden Euro sollten die Kommunen entlastet werden, weil die Finanzierung der rund 800 000 arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger auf den Bund übergeht. Im Gegenzug willigten Städte und Gemeinden ein, die vollen Unterkunftskosten für alle Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Bezieher von Grundsicherung zu übernehmen. Zur Zeit wird das Wohngeld für Empfänger von Arbeitslosen- und Sozialhilfe von Bund und Ländern getragen. Unter dem Strich sollte den Kommunen trotzdem noch ein Plus von 2,5 Milliarden Euro verbleiben. So hatte es der Bund in jener Sitzungsnacht vorgerechnet. Aber inzwischen sehen sich Städte und Gemeinden schwer getäuscht.So soll die Regierungsseite ausschließlich mit Zahlen aus dem Jahr 2002 operiert haben, obwohl bereits einige Daten für das Folgejahr vorlagen. Als Konsequenz der weiter gestiegenen Arbeitslosigkeit wäre daraus auch ein deutlicher Kostenschub bei den Unterkunftskosten ablesbar gewesen, sagen Insider. Die Summe der Mehrbelastungen kann der Deutsche Städtetag noch nicht beziffern. Aber die ersten Berechnungen von größeren Kommunen sind ein Alarmsignal. So rechnet beispielsweise München mit Mehrausgaben von bis zu 70 Millionen Euro. Die Stadt Stuttgart würde bei dem finanziellen Verschiebebahnhof mit 32 Millionen Euro belastet. "Wir sind nicht bereit, Luftbuchungen hin zu nehmen oder sogar draufzuzahlen”, empört sich Petra Roth. In keinem Fall dürfe der Bund den Kommunen die vollen Unterkunftskosten aufbrummen, erläutert ihr Sprecher, Volker Bästlein. Auch müssten Bund und Länder ihre Entlastungen beim Wohngeld voll an die Kommunen weiter reichen.Die Folterwerkzeuge hat sich der Städtetag schon zurecht gelegt. Bekanntlich will die Bundesregierung in den kommenden Jahren die Zahl der Krippenplätze deutlich erhöhen. Für die verbesserte Kinderbetreuung sind 1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Zu Lasten der Kommunen, versteht sich. Den Städten sei es jedoch unmöglich, nicht vorhandene Entlastungen in die Kinderbetreuung zu investieren, argumentiert die Organisation. Darüber hinaus hat Städtetagspräsidentin Roth mit einer Verfassungsklage gedroht, um finanzielle Korrekturen zu erzwingen.Gelegenheit dazu bietet sich beim anstehenden Gesetzgebungsverfahren zum so genannten Optionsmodell, das ebenfalls in der "langen Nacht” des Reform-Pokers geboren wurde. Danach sollen Städte und Gemeinden darüber entscheiden, ob sie die Vermittlung von Sozialhilfeempfängern in Jobs selbst organisieren oder den Arbeitsämtern überlassen. Der FDP-Politiker Dirk Niebel - er war im Vermittlungsausschuss mit dabei - sieht darin für die Kommunen eine Möglichkeit, die Unterkunftskosten aus eigener Kraft zu reduzieren. Wer wieder in Arbeit kommt, liegt schließlich den Städten nicht mehr auf der Tasche. Das grundlegende Problem bleibt für Niebel damit allerdings ungelöst: "Hartz IV muss nachgebessert werden”, fordert auch er. Will der Bund sein Versprechen einhalten und die Kommunen um wenigstens 2,5 Milliarden Euro entlasten, führt daran kaum ein Weg vorbei.

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