Tugend aus der Not heraus

TRIER. Immer mehr Arbeitslose wagen den Sprung in die Selbstständigkeit: Laut einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) war im vergangenen Jahr jeder vierte Existenzgründer zuvor beim Arbeitsamt gemeldet. Ähnliche Tendenzen zeichnen sich auch in der Region Trier ab.

Eine gewisse Aufbruchstimmung scheint den Arbeitsmarkt erfasst zu haben - zumindest, wenn man sich die Zahl der Neugründungen von Betrieben anschaut. So belegt beispielsweise die Industrie- und Handelskammer (IHK) Trier eine "ungebrochene Gründerlust" in ihrem aktuellen Bericht. Zwischen Dezember 2002 und Dezember 2003 ist die Zahl der Mitgliedsunternehmen um 576 auf 23 610 gestiegen - ein Plus von 2,5 Prozent. Auch hat sich die Zahl der Mitgliedsbetriebe bei der Handwerkskammer (HWK) Trier leicht um elf auf nun 6080 Betriebe erhöht, auch wenn die Zahl der neuen Existenzen dabei leicht auf 284 gesunken ist (2002: 313).Jeder vierte Gründer war vorher arbeitslos

Besonders auffällig scheint auch ein Trend, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) festgestellt hat: Immer mehr Arbeitslose wagen den Sprung in die Selbstständigkeit. Im vergangenen Jahr sei jeder vierte Existenzgründer zuvor beim Arbeitsamt gemeldet gewesen, stellte KfW-Bankengruppen-Chef Hans W. Reich jüngst fest. Insgesamt wurden 2003 bundesweit 1,6 Millionen Menschen zum eigenen Chef - ebenso viele wie im Jahr zuvor. Dass das Gründungsverhalten sich verändert hat, stellt auch die Trierer Agentur für Arbeit fest. "Eine steigende Tendenz ist vorhanden", hält Agentur-Sprecher Bernd Sevenich fest. Viele Existenzgründer sähen in der Selbstständigkeit die Chance, der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Viele machten aus ihrer Not eine Tugend. Seitdem die "Ich-AG" vor gut einem Jahr ins Leben gerufen wurde, nutzen 384 Menschen im Bezirk der Trierer Arbeitsagentur den staatlichen Existenzgründungs-Zuschuss. Er beläuft sich auf maximal 14 400 Euro, verteilt auf drei Jahre, so lange das Arbeitseinkommen 25 000 Euro im Jahr nicht überschreitet. Daneben gibt es bereits seit 1986 das Überbrückungsgeld. Es wird für sechs Monate gewährt und ist an strenge Regeln gebunden. Der ausgezahlte Betrag ist deutlich höher als das Arbeitslosengeld. Die Höhe richtet sich nach dem zuletzt bewilligten Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe. Zusätzlich wird der Betrag ausbezahlt, den das Arbeitsamt ansonsten direkt für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ausgegeben hätte. Eine fachkundige Stelle muss die Tragfähigkeit der Existenzgründung positiv bewerten. Noch nie war das Überbrückungsgeld so gefragt wie heute. Rechnet man bundesweit die 93 000 "Ich-AGs" dazu, kommt man auf eine Gesamtzahl von 250 000 geförderten Gründungen. Das ist eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr und macht fast 50 Prozent aller Gründungen in Deutschland aus. Ähnliche Ergebnisse gibt es auch für den Bezirk der Arbeitsagentur Trier. Ende Dezember 2003 wurden 722 Existenzgründungen per Überbrückungsgeld gefördert, 2002 waren es noch 560, ein Jahr zuvor sogar nur 445 Gründungen - eine Steigerung von 2001 auf 2003 um gut 62 Prozent. "Das ist eine Größenordnung, die wir fördern wollen, selbst wenn es keine Zahlen darüber gibt, welchen Bestand solche neuen Existenzen haben", sagt Sevenich. Während man bei den mit Überbrückungsgeld geförderten Konzepten von "soliden Gründungen" ausgehe, seien "Ich-AGler" häufig mit der kaufmännischen Seite ihres Betriebes überfordert, so der Sprecher. Immerhin besetzten letztere aber Nischen im Dienstleistungsbereich, die Arbeitsplätze schafften.Wenige Handwerker, mehr Dienstleister

Dies erklärt auch die geringere Zahl an Neugründungen bei den Handwerkern. "Es gibt eine gestiegene Zahl neuer Unternehmen, die als Ich-AG einfache handwerkliche Tätigkeiten ausführen", sagt Matthias Schwalbach von der HWK. Gegenüber den hoch ausgebildeten Handwerksbetrieben seien sie jedoch kaum eine Konkurrenz. Demgegenüber registriert die IHK "eine deutlich gestiegene Zahl von Teilnehmern an Einzelberatungen und Einführungsveranstaltungen zu Existenzgründungen", sagt IHK-Geschäftsführer Günther Kiefer. Vor allem im Handel und im Dienstleistungsbereich seien die neuen Unternehmer aktiv. Dabei hat die KfW aus den Ergebnissen von 40 000 Befragten errechnet, dass die ehemals Arbeitslosen mit ihren Projekten ebenso gute Überlebenschancen hätten wie andere Existenzgründer. Rund die Hälfte sei nach fünf Jahren noch im Geschäft.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort