Handwerk Drei auf einen Streich

Dreis · Vanessa Thieltges hat in einem trialen Studium gleichzeitig ihren Dachdecker-Gesellenbrief, ihren Meisterbrief und einen Studienabschluss erlangt.

 Vanessa Thieltges hat in einem trialen Studium gleichzeitig ihren Dachdecker-Gesellenbrief, ihren Meisterbrief und einen Studienabschluss erlangt.

Vanessa Thieltges hat in einem trialen Studium gleichzeitig ihren Dachdecker-Gesellenbrief, ihren Meisterbrief und einen Studienabschluss erlangt.

Foto: TV/Kreishandwerkerschaft/Jan Söfjer

(red) Wenn Vanessa Thieltges als Kind erzählte, dass sie einmal Dachdeckerin werden möchte, sagten viele: „Das kannst Du nicht. Du bist doch ein Mädchen.“ Wenn sie später nach ihrem Berufswunsch gefragt wurde, antwortete sie nur noch: „Chefin!“ Das war eher als Scherz gemeint und dann fragte niemand weiter nach. Mittlerweile ist die 24-Jährige nicht mehr so weit davon entfernt, Chefin zu werden. Thieltges hat eine triale Ausbildung im Handwerk gemacht. Sie ist Dachdecker-Gesellin, Dachdecker-Meisterin und hat einen Bachelor-Abschluss in Handwerksmanagement. Das alles erreichte sie in nur viereinhalb Jahren.

Thieltges wuchs in einer Dachdecker-Familie auf. Ihr Großvater gründete in Dreis im Landkreis Bernkastel-Wittlich 1968 die Firma Thieltges-Zunker Bedachungen GmbH. „Wenn man als Kind in einem Unternehmen aufwächst, hat man einen Riesenspielplatz“, sagt Thieltges. Als Kleinkind kletterte sie einmal in einen Sprinter, der auf dem Weg zu einer Baustelle war. Als sie den Fahrer fragte: „Wohin fahren wir denn heute?“ erschrak dieser und musste umdrehen. Als sie älter war, fuhr sie oft mit ihrem Vater Jürgen Thieltges, dem stellvertretenden Obermeister der Dachdecker-Innung Trier-Wittlich-Saarburg, auf die Baustelle, half beim Aufmaß oder ging in der Firma ans Telefon.

In der neunten Klasse im Gymnasium machte sie ein Praktikum in einem Hotel, merkte aber, dass sie mehr interessierte, wie ein Hotel gebaut wird. „Eigentlich habe ich schon immer mit dem Gedanken gespielt, Dachdeckerin zu werden und einmal die Firma der Familie zu übernehmen.“ Auch ihre Mutter arbeitet im Betrieb. Zum Ende der zwölften Klasse war sich Thieltges sicher. Sie wird Dachdeckerin. Darüber hinaus wollte sie aber auch studieren, vielleicht beides in einem dualen Studium verbinden, doch sie fand nicht das richtige Fach. Bauingenieurwesen war ihr zu weit vom Dachdeckerhandwerk entfernt.

Über das Bundesbildungszentrum des Deutschen Dachdecker­handwerks in Mayen erfuhr sie dann von einer recht neuen trialen Ausbildung in Köln. Diese entstand als Kooperation zwischen der Handwerkskammer zu Köln und der Fachhochschule des Mittelstandes. Dabei können angehende Handwerker verschiedenster Gewerke gleichzeitig einen Gesellenbrief, einen Meisterbrief und einen Bachelor of Arts in Handwerksmanagement erlangen. „Früher war der Betriebswirt des Handwerks der höchste kaufmännische Abschluss, den man machen konnte“, sagt Thieltges. Darauf baut der Bachelor in Handwerksmanagement auf. Es geht auch viel um Betriebswirtschaft, aber, wenn man das studiere, beschäftige man sich oft mit sehr großen Unternehmen. „Die haben aber ein ganz anderes betriebswirtschaftliches Denken, ein anderes Controlling und Personalwesen als ein Handwerksbetrieb“, sagt Thieltges. Der wissenschaftliche Studiengangsleiter an der Fachhochschule des Mittelstands in Köln, Professor Dr. Ralf Brüning, sagt über den Studiengang Handwerksmanagement: „Die Kombination der praxisnahen Ausbildung mit einer theoriebasierten Expertise ermöglicht es, schon früh die Kompetenzen für Führungsaufgaben in kleinen und mittelständischen Unternehmen zu erwerben.“

Thieltges studierte gemeinsam mit Gerüstbauern, Malern, Schreinern und Metzgern. 2015, im ersten Jahr, war sie normal als Lehrling in einem Betrieb tätig – bei Schröder Bedachungstechnik in Köln, inklusive Berufsschule. Der Inhaber ist der Ehrenobermeister des Zentralverbandes des Deutschen Dachdeckerhandwerks.

An jedem zweiten Wochenende Freitagabend und den ganzen Samstag besuchte sie Schulungen an der Handwerkskammer – darunter zur geprüften Fachkauffrau, was bereits zur Meisterprüfung gehört. Dann folgte eineinhalb Jahre lang die Fortbildung zur Betriebswirtin des Handwerks. 2017 hatte Thieltges ihren Gesellenbrief in der Tasche – als Jahrgangsbeste aller Gewerke in Köln. Im Anschluss arbeitete sie ein halbes Jahr im Betrieb ihrer Eltern und machte an Wochenenden weiter Fortbildungen in Köln.

Danach lernte sie in Vollzeit an der Handwerkskammer, um Mitte 2018 an der Fachhochschule des Mittelstands zu studieren. Im Januar 2019 kam die Meisterschule dazu, welche sie bereits im Oktober abschloss. Weiter ging es mit dem Studium. Im Mai 2020 reichte sie ihre Bachelorarbeit ein und erlangte ihren Studienabschluss.

Nun ist Vanessa Thieltges im Betrieb ihrer Eltern angestellt. Sie mag die Arbeit auf der Baustelle genauso wie die im Büro. Sie ist 24 Jahre alt und dort angelangt, wo sie sich als Kind gesehen hat. Nur Chefin ist sie noch nicht, sitzt aber bereits gerne im Stuhl ihres Vaters.

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