Viel Rauch um den Milliardenmarkt

Trier · Mit Schockfotos, Warnhinweisen und Verboten will die EU gegen den gestiegenen Tabakkonsum vorgehen. Die regionale Zigarettenindustrie mit rund 1900 Beschäftigten und Tabakfachhändler bangen um Marktanteile und Umsätze.

Trier. Schon am frühen Morgen sind die Kunden von Thomas Pascher irritiert. Gilt die neue EU-Tabakrichtlinie denn schon? Wie finde ich meine Zigarettenmarke wieder? Warum hat dieses oder jenes Päckchen ein rotes Kreuz? So wie der Tabakfachhändler seinen Laden Tom\'s Corner in der Trierer Innenstadt für einen Tag umdekoriert hat, wäre etwa die Hälfte seiner Zigarettenpackungen und Tabakdosen nicht mehr zum Verkauf erlaubt. Und auf die restlichen Produkte hat er die von der Europäischen Kommission vorgesehenen Schockfotos und Warnhinweise aufgeklebt (siehe Extra). Wo welche Marke steht, ist in dem Regal kaum mehr auszumachen.
"Raucher sind sehr produktsensible Kunden", weiß Pascher, der seit 13 Jahren seinen Laden betreibt. Schon jetzt habe er einen "enormen Beratungsaufwand", wenn allein die Farbe einer Zigarettenpackung mal wechsele. Sein Wissen sei gefragt, er werde nach Änderungen von Filter, Geschmack, Mischungen und Zusätzen gefragt. Und das jeden Tag mehrmals.Faulende Zähne, tote Embryos



Faulende Zähne, tote Embryos, blutige Geschwüre oder krebszerfressene Raucherlungen: Solche vorgeschriebenen Schockfotos auf Tabakprodukten werden nach der Umsetzung in wohl zwei Jahren das sichtbarste Zeichen des Gesetzes sein, mit dem die EU-Länder Tabak bekämpfen wollen. In ganz Europa werden dem Suchtmittel 700 000 Todesfälle im Jahr zugeschrieben.
Wenn die nun erfolgte Einigung der Gesundheitsminister mit der Kommission über eine neue Tabakrichtlinie in den Läden und Kiosken angekommen ist, sieht Pascher schwarz für seinen Fachhandel. Denn rund zwei Drittel einer Zigarettenpackung bestehen dann aus Warnhinweisen und Schockfotos, "dann wird mehr Discounterware gekauft und weniger Markenware", ist er sicher.
Je nach Marke hat er heute eine Marge zwischen fünf und 25 Cent je Packung, und die fällt weg, wenn der Kunde von der Marke zum Discounter wechselt. Für Pascher kann das gar "existenzgefährdend" sein, sagt er. Durch Verbände und Industrie ist er immerhin als Top-Verkäufer eingestuft - bei einem jährlichen Umsatz von mehr als 500 000 Euro.
Die Zigarettenindustrie wie etwa auch die Trierer Tabakverarbeiter Japan Tobacco Industrie (JTI) und Heintz van Landewyck sieht die Entwicklungen auf europäischer Ebene mit Unverständnis und Sorge. Immerhin knapp 1900 Beschäftigte haben die beiden Unternehmen. Vor allem fürchten sie eine Vereinheitlichung von Tabakwaren und damit eine "Enteignung von Marken", sagt Landewyck-Geschäftsführer Hans-Josef Fischer. Zumal die Tabakindustrie "legale Produkte" anbiete, mit denen die Mitgliedsstaaten der EU viel Geld verdienten. Allein Landewyck Trier hat eigenen Angaben zufolge im Jahr 2012 circa 90 Prozent seines Umsatzes von gut einer Milliarde Euro an Steuern an den deutschen Fiskus abgegeben.Boom im illegalen Handel


"Diese Entwicklung ist auch eine konkrete Bedrohung für die Produktionsstätte in Trier", sagt JTI-Pressesprecherin Heike Maria Lau. Denn die bisherigen Erfahrungen mit verschärften Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen hätten nicht zu weniger Qualm und Tabakkonsum geführt, sondern zu einem Boom im illegalen Zigarettenhandel - und zu Einbußen bei den Markenherstellern.
Schon heute lägen unversteuerte Zigaretten bei einem Marktanteil von 20 Prozent. Und so würden auch die neuen EU-Regeln zum "Konjunkturprogramm für die organisierte Kriminalität, ohne die gesundheitspolitischen Ziele zu erreichen", warnt Lau.
Was das Verbot von Mentholzigaretten - die ebenfalls von JTI und Landewyck produziert werden - und die Schockfotos für Folgen für die regionale Tabakindustrie im Detail an Verlust von Umsatz oder Arbeitsplätzen bedeuten, können beide Unternehmen noch nicht sagen. Lande-wyck-Geschäftsführer Fischer: "Die Umsetzung der Richtlinie hätte zweifellos erhebliche, negative Auswirkungen für unser Haus." Landewyck und JTI rechnen vor allem mit weniger Marktanteilen für ihre Top-Marken wie Camel, Winston und Benson & Hedges (JTI ) sowie Ducal und Elixyr (Landewyck). "Und Arbeitsplätze sind an die legale Produktion gekoppelt", stellt die JTI-Sprecherin klar.
Fachhändler Thomas Pascher hat bereits errechnet, dass allein durch ein Verbot von Zigaretten mit Geschmackszusätzen wie Menthol, Schoko oder Vanille 20 Prozent seines Umsatzes mit Zigaretten wegfallen. "Wenn das so weitergeht, gibt es mein Fachgeschäft in fünf Jahren nicht mehr", sagt er. Und dies nicht, weil es keine Raucher mehr gebe. Sein Stammkunde Dieter Haake findet das Aussehen der Schockfotos auf der Zigarettenpackung "zwar nicht schön, aber das wird mich vom Rauchen nicht abhalten", ist er sicher. Auch wenn dies den ein oder anderen zunächst vom Qualmen abhalten werde: "Die Leute stumpfen doch ab. Der Ekel und Schock hält nicht lange vor."Extra

Die EU-Gesundheitsminister haben sich nach langer Debatte auf Regeln zur Eindämmung des Rauchens geeinigt. Demnach stehen Mentholzigaretten vor dem Aus. Zusatzstoffe wie Menthol, Fruchtgeschmack oder Schokoladenaroma, die den Tabakgeschmack verfälschen, sollen nach und nach verboten werden. Die dünnen Slim-Zigaretten dagegen bleiben erlaubt. Die Packung soll künftig stärker abschrecken: Vorgesehen sind neben Warnhinweisen auch Schockfotos - von Raucherlungen oder faulen Zähnen. Diese sollen 65 Prozent der Vorder- und Rückseite ausmachen. Elektronische Zigaretten wollen die Minister nicht verbieten, aber den Verkauf einschränken. Der grenzüberschreitende Internethandel mit Tabakprodukten soll erlaubt bleiben. EU-Staaten können ihn aber untersagen. Gegen die Einigung stimmten nur Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien. Das Europaparlament muss den neuen Vorgaben noch zustimmen. Dies könnte bis Ende des Jahres geschehen. Gelten könnte die Richtlinie ab 2015 oder 2016. sas

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