Wahlkampf bei der Wirtschaft

Berlin · Das Tempodrom in Berlin wird zur Wahlkampfbühne. Der Wirtschaftsverband BDI hat zum Tag der Industrie geladen. Dabei wirbt die Kanzlerin für Schwarz-Gelb und der SPD-Herausforderer für Rot-Grün. Doch beide Spitzenpolitiker werden allenfalls mit höflichem Beifall bedacht.

Berlin. Angela Merkel ist einfach zu klein. "Bin ich hinter dem Pult noch zu sehen?", ruft die Kanzlerin mit gespielter Bescheidenheit in den Saal. Da müssen auch viele Wirtschaftsvertreter lachen. Doch das war\'s dann schon fast mit dem heiteren Teil. Die Kanzlerin weiß, dass dieser Termin kein Heimspiel für sie ist.
Bundestagswahl 2013


Noch am Dienstagmorgen hatte BDI-Präsident Ullrich Grillo vor Journalisten Klartext gesprochen: "Wir brauchen keine neue Verteilungsdiskussion, die das Erreichte als zweifelhaft in frage stellt." Das war nicht nur ein Seitenhieb gegen die Steuererhöhungspläne von Rot-Grün, sondern auch gegen die neuerdings gepflegte Spendierlaune der Kanzlerin. Die Mütterrenten will Merkel erhöhen, genauso wie das Kindergeld und den Kinderfreibetrag. Das kostet zweistellige Milliardensummen, die nach dem Willen Grillos besser in die Infrastruktur und den Schuldenabbau fließen sollten.
Doch die Kanzlerin lässt sich nicht beirren - und verspricht sowohl Investitionen als auch Wahlgeschenke zu schultern. Sparen und investieren seien angesichts von Rekordbeschäftigung, gutem Wachstum und Niedrigzinsen kein Gegensatz. Die Mütterrenten würden den Haushalt ja auch gar nicht belasten, sondern auch aus den Überschüssen der Rentenversicherung finanziert, erläutert Merkel. Und dann lobt sie noch die unter Rot-Grün entwickelte Reformpolitik der Agenda 2010: "Sonst würden wir nicht so dastehen, wie wir dastehen."
Seehofers typischer Slogan


Wenigstens das gefällt dem Publikum. Genauso wie ihr Bekenntnis, "keine Steuern zu erhöhen". Ihr Vorredner, CSU-Chef Horst Seehofer, hatte die gleiche Ansage in einen typischen Wahlkampfslogan verpackt: "Bei uns zählt die gesellschaftliche Mitte, bei den Linken zahlt die gesellschaftliche Mitte." Von solch griffigen Botschaften ist die Kanzlerin weit entfernt. Zuweilen wirkt ihr präsidialer Vortrag regelrecht ermüdend. Nur beim Thema Mindestlohn flackert plötzlich Leidenschaft auf. "Die Tarifbindung ist massiv zurückgegangen", mahnt Merkel. Besonders im Dienstleistungsbereich seien viele Löhne nicht akzeptabel. "Da, wo es keine Regelung gibt, soll es wenigstens eine untere Regelung geben", sagt die Kanzlerin. Sage also keiner, Merkel rede der Wirtschaft nach dem Munde. Der Saal quittiert es mit eisigem Schweigen.
Zum Schluss bringt die Regierungschefin das Publikum trotzdem noch einmal zum Schmunzeln. Angesprochen auf ihren grünen Blazer und entsprechende Farbenspiele für eine künftige Koalition, witzelt Merkel: "Um Himmels Willen Lindgrün, das wollen die Grünen auch nicht." Merkels Bekenntnis zu einer Fortsetzung des schwarz-gelben Bündnisses nach der Wahl klingt allerdings auch nicht gerade berauschend: Bei allen "Unstimmigkeiten", die es zwischen Union und FDP gebe, so sei doch immerhin die politische Philosophie die gleiche.
Steinbrücks Kontrapunkt


Den Kontrapunkt setzt der SPD-Kanzlerkandidat. Merkel ist längst zum nächsten Termin geeilt, da knöpft sich Peer Steinbrück die amtierende Regierung vor. Kaum Fortschritte bei der Energiewende, Versäumnisse beim Breitbandausbau, Defizite bei der Gewinnung von Facharbeitern, bedenkliches Euro-Krisenmanagement, Mängel im Bildungsbereich - die schwarz-gelbe Sündenliste wird in Steinbrücks bissiger Rede immer länger. "Manchmal habe ich den Eindruck, das Kurzzeitgedächtnis ist der beste Verbündete dieser Regierung", stöhnt der Kandidat wohl auch mit Blick auf die schlechten Sympathiewerte seiner eigenen Partei.
Und die rot-grünen Steuererhöhungspläne? "Es wird sich bei Ihrer Unternehmensbesteuerung nichts ändern", beteuert Steinbrück. Allerdings würden "einige Steuern für einige erhöht". Ansonsten könne der Schuldenabbau bei gleichzeitigem Investitionsausbau nicht gelingen.
Im Tempodrom bleibt am Ende viel Skepsis zurück. Die angekündigten Steuererhöhungen von Rot-Grün sind den Wirtschaftsvertretern genauso ein Gräuel wie die versprochenen Wahlgeschenke der Union.

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