Was Diesel wirklich ausstoßen
Berlin · Dass die VW-Affäre auch politische Konsequenzen haben würde, war klar. Nun kommen sie schneller als erwartet. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) schlug gestern in einem Positionspapier vor, den Schadstoffausstoß von Diesel-Autos nicht nur auf Testständen, sondern auch im Realbetrieb zu messen, und zwar so scharf, wie es die EU fordert. Offen ist aber, ob der Koalitionspartner da mitgeht.
Berlin. Schärfere Grenzwerte für Diesel-Fahrzeuge verlangt Bundesumweltministerin Hendricks ausdrücklich nicht, es gelte die neue Euro-6-Norm. Aber viel zu lange habe man toleriert, dass die Werte im Fahrbetrieb nicht eingehalten würden. Tatsächlich werden im Realbetrieb die Soll-Werte flächendeckend über alle Marken um das Drei- bis Vierfache überschritten, berichteten Experten vor einer Woche bei einer Anhörung der Grünen.
Das kommt auch passiv bei den Bürgern an, die diese Luft einatmen müssen. So wies das Umweltbundesamt bei der Veranstaltung darauf hin, dass die Stickstoff-Werte an den Messstellen in den Städten trotz stetig verschärfter Ausstoßgrenzen der Diesel-Motoren "seit Jahren" unverändert geblieben seien. Die EU-Kommission will nun bei der Typenzulassung neben den Messungen auf Rollenprüfständen auch Messungen im Realverkehr (RDE, Real Drive Emissions) durchführen lassen, bei denen die Grenzwerte ab 2017 um das 1,6-Fache, ab 2019 nur noch um das 1,2-Fache überschritten werden dürfen. Hendricks fordert nicht mehr, aber auch nicht weniger, als diese EU-Richtlinie "schnellstmöglich" umzusetzen. "Das wäre ein Riesenfortschritt."
Unabhängige Kontrollen
In einem Punkt ging sie noch weiter. Weil VW eine Betrugs-Software eingebaut hatte, die erkannte, wann ein Fahrzeug unter Testbedingungen gemessen wurde und erst dann die Filter einschaltete, sollten zusätzlich unabhängige Kontrollen im Alltagsbetrieb von einer Behörde durchgeführt werden. Eine Art Ökotest auf Kosten der Hersteller.
Die Grünen freuten sich darüber, sie fordern praktisch dasselbe. Über einen entsprechenden Antrag von ihnen debattiert der Bundestag heute. Allerdings bezweifelt die Opposition, dass Hendricks sich in der Koalition durchsetzen kann.
Mit einem gewissen Recht. Als der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn gestern im Verkehrsausschuss beim CSU-geführten Verkehrsministerium nachfragte, ob man die Positionen der Umweltministerin denn teile, bekam er von Staatssekretär Norbert Barthle (CDU) die Antwort: Dazu gebe es noch keine abgestimmte Haltung in der Bundesregierung. Das heißt übersetzt: Darüber sind wir uns noch nicht einig.
Zuschüsse für Elektroautos
Hendricks betonte in ihrem Papier, dass sie den Diesel nicht "verteufele". Er sei energieeffizienter als ein Otto-Motor. Grundsätzlich, meinte sie, gefährdeten die bekannt gewordenen Probleme auch nicht die CO{-2}-Minderungsziele Deutschlands. Um diese Vorgaben aber sicherer einzuhalten, schlug die Ministerin vor, den Kauf von Elektro-Fahrzeugen künftig zu bezuschussen. Bisher hakt der Absatz von E-Mobilen auch wegen der hohen Kaufpreise gewaltig.
Zusätzlichen Druck auf die Senkung der gefährlichen Stickoxid-Emissionen aus Dieselfahrzeugen will Hendricks dadurch ausüben, dass künftig Innenstädte nicht nur gesperrt werden sollen, wenn die Feinstaub-Grenzwerte überschritten sind, sondern auch, wenn dies bei den Stickoxiden der Fall ist. Auf der nächsten Umweltministerkonferenz mit den Ländern soll das bereits ein Thema sein.
Extra
Beim VW-Abgas-Skandal sollen einem Bericht zufolge Dutzende Manager ihre Finger im Spiel gehabt haben - doch der Konzern wehrt sich entschieden gegen diese Vorwürfe. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel sollen mindestens 30 Führungskräfte von den jahrelangen Manipulationen gewusst haben. "Die Zahl entbehrt jeglicher Grundlage", sagte ein Konzernsprecher am Mittwoch. Laut Spiegel deuten zudem Indizien darauf hin, dass der Kreis der Mitwisser sogar noch größer sei. Das Hamburger Magazin zitierte eine nicht näher beschriebene Quelle, die mit der Aufklärung betraut sei, und beruft sich auf die ersten Ergebnisse der internen Revision sowie der extern mit der Aufklärung betrauten US-Anwaltskanzlei Jones Day. Der VW-Konzern verliert zudem mit Winfried Vahland einen Top-Manager, auf dem große Hoffnungen ruhten für eine Aufarbeitung der Krise und den Neustart in den USA. Der 58-Jährige verlässt VW und tritt seine neue Aufgabe in Nordamerika nun doch nicht an. Mit Vahland verliert VW einen seiner erfahrensten Manager. dpa