Coronavirus Insolvenz, mehr Chance als Risiko?

Trier · Die Corona-Krise belastet die regionale Wirtschaft bis zum Anschlag. Für viele Unternehmen geht es um die Existenz, die Furcht vor der Insolvenz geht um. Doch die kann sogar eine Chance sein.

 Christoph Grünen, Rechtsanwalt und zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte, in der Kanzlei Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt.

Christoph Grünen, Rechtsanwalt und zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte, in der Kanzlei Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt.

Foto: TV/Heribert waschbüsch

Nach dem wochenlangen Lockdown stehen in der Region Trier zahlreiche Betriebe vor dem Aus. Vor allem in der Gastronomie und in der Tourismusbranche sieht es sehr düster aus. Es droht die Insolvenz. Doch die Insolvenzspezialisten der Trierer Kanzlei Prof. Dr. Dr. Schmidt sehen diesen Schritt auch als Chance für Unternehmen an. Rechtsanwalt Christoph Grünen erläutert im Gespräch mit dem TV die einzelnen Schritte und die im Zusammenhang mit der Pandemie eingeleiteten Änderungen im Insolvenzrecht. Das deutsche Insolvenzrecht ist anders als in vielen anderen Ländern nicht zwingend auf eine Abwicklung des Unternehmens ausgelegt. Oberstes Gebot ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung, welche häufig auch auf dem Weg einer Sanierung erreicht werden kann.

Während sich also etwa in Luxemburg ein solches Verfahren rund drei Monate hinzieht, kann es in Deutschland Monate oder gar Jahre dauern, und das Unternehmen bleibt am Markt.

Die Gründe für eine Insolvenz sind eindeutig. Ist ein Unternehmen überschuldet, ist das ein Insolvenzgrund. Ein weiterer ist die Zahlungsunfähigkeit. Liegt einer der Insolvenzgründe vor, müssen Gesellschaften zwingend einen Insolvenzantrag stellen. Ansonsten machen sie sich der Insolvenzverschleppung schuldig, erklärt der Insolvenzexperte.

Doch es gibt in diesen Zeiten Erleichterungen, die einen Geschäftsführer entlasten können. Früher waren Gesellschaften dazu verpflichtet, bei bestehender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung spätestens innerhalb von drei Wochen Antrag auf Insolvenz zu stellen. Diese „Drei-Wochen-Frist“ wird jetzt ausgesetzt, und zwar rückwirkend zum 1. März bis zum 30. September 2020. Doch Grünen warnt auch: „Man sollte vorsichtig sein, ob die Gründe wirklich durch Corona hervorgerufen wurden.“

Bei der Beurteilung sollten Unternehmen sich beraten lassen, der Steuerberater ist der erste Ansprechpartner. Wird ein Insolvenzantrag beim Amtsgericht gestellt – in der Corona-Krise sind derzeit Fremd­anträge durch Gläubiger nicht üblich – wird zunächst ein Gutachter bestellt (vorläufiger Insolvenzverwalter), der die Insolvenzgründe prüft, schaut, ob die Kosten des Verfahrens gedeckt sind und welche Sanierungsaussichten bestehen. Nach etwa sechs Wochen ist die Prüfung abgeschlossen. Mit diesem Moment setzen die Sanierungsmöglichkeiten einer Insolvenz ein. „In dieser Phase besteht die Möglichkeit einer Insolvenzgeldvorfinanzierung für bis zu drei Monate. Das Insolvenzgeld beträgt 100 Prozent des Netto-Lohns, ist damit also attraktiver als Kurzarbeitergeld und damit ein Vorteil des Insolvenzverfahrens. Das Insolvenzgeld kann nur bis zur Eröffnung – also im vorläufigen Verfahren –  beansprucht werden“, erläutert Grünen. Die Arbeitnehmer haben für drei Monate Anspruch auf das Insolvenzgeld, das von der Arbeitsagentur gezahlt wird, während sie weiter für das Unternehmen arbeiten. Das verschafft der Firma neue Liquidität. Damit könne eine Basis für einen Neuanfang gelegt werden. Das Insolvenzverfahren wird eröffnet:  Der dann bestellte Insolvenzverwalter hat starke Rechte. „Er übernimmt sämtliche Pflichten, die Finanzverwaltung, die Personalentscheidungen und die Unternehmensführung.“ Das kann in Absprache mit der Geschäftsführung erfolgen, mit dem Ziel, dieser nach überstandener Insolvenz die Geschäfte zu übergeben. Eine weitere Möglichkeit ist es, einen Investor für das Unternehmen zu finden. „Unser Ziel ist es dabei, möglichst alle Arbeitsplätze zu erhalten“, erklärt Christoph Grünen. „Dabei muss der Gläubiger auch abschätzen, was für ihn der kleinere Schaden ist. Eine Quote seiner Forderungen zu erhalten oder vielleicht einen kompletten Ausfall zu erleiden.“

Auch darüber beschließt die Gläubigerversammlung, in der die Gewichtung der Stimmen im Regelfall nach Höhe der Forderungen zählt. Stimmen die Gläubiger in der sogenannten Gläubigerversammlung einem Sanierungsplan zu, kann das Unternehmen erhalten bleiben.

Besonders hart getroffen sind in der jetzigen Situation Solo-Unternehmen (siehe Artikel unten). Sie profitieren weder durch die Kurzarbeiterregelung noch durch finanzielle Hilfsprogramme,  weil diese Zuschüsse für Miet- und Pachtausgaben sowie andere Betriebskosten bestimmt sind, aber ausdrücklich nicht zur Deckung der Kosten des eigenen Lebensunterhalts. Sie würden unter  eine sogenannte Regelinsolvenz fallen. In diesem Fall kann der Betroffene „für“ den Insolvenzverwalter  arbeiten, dann erhält er einen Lohn unter Berücksichtigung der Pfändungsgrenze. Aus den Einnahmen werden die Gläubiger bedient. „Er kann sich aber auch wieder selbstständig machen und zahlt aus diesen Einnahmen bestimmte Beträge an die Masse. Die Höhe der Zahlungen wird vorher mit dem Insolvenzverwalter besprochen.“ Eine Chance und ein Risiko, denn läuft das „neue“ Geschäft gut, profitiert der Solo-Unternehmer. Auf jeden Fall kann dies ihm neue Motivation schenken.

Rechtsanwalt Christoph Grünen erwartet für Herbst eine Welle an Insolvenzanträgen. „Derzeit ist die Lage noch ruhig“, so der Insolvenzspezialist. Doch eine Insolvenz muss nicht das Ende für ein Unternehmen sein. Gerade in der Corona-Krise seien viele Unternehmen unverschuldet in Schieflage geraten.

Wenn sich die Lage normalisiert, spricht nichts gegen einen Neuanfang. Rechtsanwalt Christoph Grünen: „Das deutsche Insolvenzrecht bietet dafür die Chance.“

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