Weniger Einnahmen, mehr Ausgaben

Berlin · Die Bremsspuren bei der Konjunktur werden sich auch in den öffentlichen Kassen bemerkbar machen. Wie der Arbeitskreis Steuerschätzung (siehe Hintergrund) gestern mitteilte, dürften Bund, Länder und Gemeinden bis einschließlich 2018 rund 21 Milliarden Euro weniger einnehmen, als noch im Mai vorhergesagt.

Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist trotz der Steuerschätzung optimistisch. Er sieht sogar Spielraum für zusätzliche Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro. Nachfolgend die wichtigsten Details und Einschätzungen rund um die aktuellen Daten:Wie sieht die aktuelle Prognose aus? Die öffentliche Hand kann in diesem Jahr mit Steuereinnahmen von insgesamt 640,9 Milliarden Euro rechnen. Von einer ähnlichen Größenordnung war auch schon bei der letzten Schätzung im Mai die Rede gewesen. Für 2015 weicht die aktuelle Prognose jedoch deutlich von den damaligen Zahlen ab. Das Steueraufkommen wurde um 6,4 Milliarden Euro nach unten korrigiert. Unter dem Strich können Bund, Länder und Kommunen aber trotzdem noch mit wachsenden Steuereinnahmen rechnen. Nach der Schätzung werden es im Jahr 2016 rund 660 und 2018 sogar 735 Milliarden Euro sein.Was bedeuten die Zahlen für den Bundeshaushalt? Trotz der Mindereinnahmen hält Schäuble die "schwarze Null", also einen ausgeglichen Bundeshalt im kommenden Jahr für erreichbar. Es wäre der erste Bundesetat seit mehr als vier Jahrzehnten, für den sich ein Kassenwart im Bund kein neues Geld borgen muss. Bei "strikter Ausgabendisziplin" seien sogar zusätzliche Investitionen möglich, so Schäuble. Konkret sprach er von Extra-Ausgaben im Umfang von zehn Milliarden Euro, die in den Jahren 2016 bis 2018 fließen sollen. Woher das Geld allerdings konkret kommen soll, ließ der Kassenwart offen.Woher nimmt Schäuble seine Zuversicht? Aus der nach wir vor guten Lage auf dem Arbeitsmarkt, die wiederum ein Garant dafür ist, dass sich der private Konsum und damit die Binnenkonjunktur weiter gut entwickeln. Damit sei Deutschland trotz eines schwierigen internationalen Umfelds in einer "ordentlichen konjunkturellen Grundverfassung", so Schäuble.Wie steht es um die Ausgaben des Bundes? In die Hände spielt Schäuble, dass sich der Zuschuss für die Rentenkasse im kommenden Jahr wegen der unerwartet möglich gewordenen Beitragssenkung verringert. Auch gibt der Bund weniger für die Bedienung seiner Kredite aus, als ursprünglich veranschlagt. Durch das extrem niedrige Zinsniveau musste der Bund schon 2013 rund vier Milliarden Euro weniger für Zinsen aufwenden als noch im Jahr 2010 - und das, obwohl die Neuverschuldung in dieser Zeit weiterhin gestiegen ist.Wie kommt es zu der Prognose? Die Steuerschätzer ermitteln die Höhe der zu erwartenden Steuereinnahmen anhand volkswirtschaftlicher Kennziffern. Basis dafür ist ebenfalls eine Prognose, nämlich das erwartete Wirtschaftswachstum. Die Bundesregierung musste ihre Konjunkturprognose zuletzt deutlich nach unten korrigieren. Für das Jahr 2014 veranschlagt sie nur noch einen Zuwachs von 1,2 Prozent. Im Frühjahr hatte man noch mit 1,8 Prozent Wachstum gerechnet. 2015 soll die gesamte Wirtschaftsleistung nur um 1,3 Prozent statt um zwei Prozent zulegen. Nach einer Faustformel bedeutet eine Minderung des Brutto inlandsprodukts um ein Prozent einen Rückgang der gesamtstaatlichen Steuereinnahmen von bis zu sieben Milliarden Euro.Meinung

Schäubles Sinneswandel Der Ruf aus Wirtschaft und Opposition hat offenbar bei der Bundesregierung gefruchtet. Kassenwart Wolfgang Schäuble kündigt zusätzliche Investitionen im Umfang von zehn Milliarden Euro an, obwohl, oder besser, gerade weil die Konjunktur in Deutschland nicht mehr so rundläuft wie noch bis vor kurzer Zeit. Davon zeugt auch die aktuelle Steuerschätzung. Zwar kann Vater Staat weiter mit steigenden Einnahmen kalkulieren. Nur fällt der Zuwachs eben nicht mehr so üppig aus wie zuletzt im Mai von den Experten vorhergesagt. So gesehen springt Schäuble jetzt über seinen eigenen Schatten. Denn von zusätzlichen Investitionen wollte seine Partei, die Union, bis eben noch rein gar nichts wissen. Im Vordergrund stand vielmehr die "schwarze Null", also ausgeglichene Haushalte ab dem kommenden Jahr, die man um jeden Preis erreichen will. Nun soll gewissermaßen die Quadratur des Kreises gelingen: Festhalten an schuldenfreien Etats und gleichzeitig mehr für marode Straßen, Schulen oder Schienenwege ausgeben. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Gelänge der Coup, dann hätte sich diese große Koalition wahrlich ein lobendes Kapitel im Geschichtsbuch verdient. nachrichten.red@volksfreund.deExtra

Der Arbeitskreis Steuerschätzung besteht seit 1955. Experten von Bund und Ländern, Bundesbank, Kommunalverbänden, Forschungsinstituten und Statistik-Amt prognostizieren zweimal im Jahr die Steuereinnahmen - jeweils im Frühjahr und im Herbst. Die Vorhersagen sind Basis für die Haushaltspläne von Bund, Ländern und Kommunen. Sie basieren auf Wirtschaftsprognosen der Bundesregierung. Es werden mögliche Einnahmen - von der Lotteriesteuer bis zu den großen Posten der Lohn- und Umsatzsteuer - jeweils einzeln ermittelt. Die Schätzer legen ihren Berechnungen das nominelle, also das nicht um Preissteigerungen bereinigte Wirtschaftswachstum zugrunde. dpa

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