"Zwangslage und Hilflosigkeit ausgenutzt"

Trier · Im Verfahren gegen einen 47-jährigen ehemaligen Spediteur aus Bleialf vor dem Landgericht Trier hat gestern vor allem Staatsanwältin Julia Schmitz-Garde viel zu tun gehabt. Anderthalb Stunden dauerte die Verlesung der 58-seitigen Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann unter anderem Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung vor.

Trier. Der ehemalige Spediteur aus der Eifel wird in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Seitdem er am 13. Mai in Weiden an der Grenze zur Tschechischen Republik verhaftet wurde, sitzt der Mann in Untersuchungshaft.
Die Dritte Große Strafkammer des Landgerichts Trier verhandelt unter dem Vorsitz von Richter Armin Hardt den spektakulären Fall. Das Landgericht hätte die Verhandlung gerne an die Wirtschaftsstrafkammer in Koblenz abgetreten, wie Richter Hardt erklärte, doch das Koblenzer Gericht winkte ab. Für das Verfahren sind zunächst vier Verhandlungstage angesetzt.
Über 150 Anklagepunkte


Der Auftakt gehörte dabei fast ausschließlich der Staatsanwaltschaft. Insgesamt 152 Anklagepunkte verlas Staatsanwältin Julia Schmitz-Garde.
Im Mittelpunkt stand dabei der Vorwurf, dass der ehemalige Spediteur 124 Fahrer aus der Tschechei zwischen 2008 und 2010 angeworben habe und sie in Deutschland und im Ausland eingesetzt habe, ohne dass sie eine Arbeitsgenehmigung gehabt hätten. Der Spediteur betrieb von 1998 an Unternehmen in Bleialf, in Luxemburg und in der Tschechei.
Bei 72 tschechischen Männern soll der Bleialfer diese mit dem Versprechen nach Deutschland gelockt haben, sie nach hier üblichen Löhnen zu bezahlen.
Doch nach Aussage von Staatsanwältin Schmitz-Garde hat der ehemalige Unternehmer die "Zwangslage und Hilflosigkeit" der Menschen ausgenutzt. Bis zu 21 Tage am Stück und täglich 14 Stunden hätten manche Fahrer arbeiten müssen. "Wenn man das umlegt, kommt man bei einigen Fahrern auf einen Stundenlohn von 2,62 Euro", sagte Staatsanwältin Schmitz-Garde.
Weil die LKW-Fahrer sich im fremden Land nicht verständigen konnten, habe er sie genötigt, die vorgeschriebenen Lenkzeiten nicht einzuhalten, Ruhezeiten zu übergehen, Tachoscheiben auszutauschen oder ohne die vorgeschriebenen Fahrerkarten auf Tour zu gehen.
Viele der Mitarbeiter hätten nur mit mitgebrachten Lebensmitteln und eigenem Ersparten überleben können. Sie hätten aber weitergearbeitet in der Hoffnung, doch Lohn zu bekommen.
Schaden von 1,1 Millionen Euro


Waren die Fahrer nicht zu Zugeständnissen bereit, habe er gedroht sie ohne Geld rauszuwerfen. "Dann kannst du zu Fuß nach Hause gehen", soll der Eifeler gedroht haben.
Das versprochene Geld bekamen die Fahrer wohl oft gekürzt, meist verzögert oder ohne die versprochenen Spesen. Einzelne Fahrer haben offene Forderungen von bis zu 8000 Euro gegenüber dem Angeklagten. Nach der Staatsanwaltschaft vorliegenden Zeugenaussagen hat der Ex-Spediteur eine harte Regentschaft geführt. Mit einem internen, unrechtmäßigen Bußgeldkatalog habe er die Fahrer unter Druck gesetzt. Zwischen 20 und 100 Euro habe er den Fahrern vom Lohn abgezogen, wenn sie sich nicht an seine Vorgaben gehalten hätten, sagt Staatsanwältin Julia Schmitz-Garde. In einem Fall soll einem Lastwagenfahrer Geld vom Lohn abgezogen worden sein, weil er die Lenkzeiten überschritten und die Ruhezeiten nicht eingehalten hatte. Aber gerade dazu soll der Angeklagte seine Mitarbeiter immer wieder genötigt haben.
Während so einige der 72 Männer über Wochen und Monate für den Bleialfer Unternehmer arbeiteten, hätten andere bereits nach wenigen Tagen gekündigt.
Zudem wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann vor, dass er für viele Mitarbeiter keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt habe. Der Gesamtschaden beträgt laut Ermittlungsbehörde allein in diesem Bereich etwa 1,1 Millionen Euro.
Firmengründung aus Not heraus?


Der Angeklagte ist nach eigenen Angaben eher zufällig zum Unternehmer geworden. Nach Hauptschule und einer Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann machte er mit 19 Jahren und mit einer Ausnahmegenehmigung den LKW-Führerschein ("weil ich eine Stelle bekommen konnte"). Danach war er 13 Jahre bei einer Eifeler Speditionsfirma als Fahrer angestellt. Auch seine Frau, die er 1990 in Polen kennengelernt hatte, arbeitete bei dem Unternehmen. Als die Firma in Schwierigkeiten geriet, entschloss sich der Mann zur Selbstständigkeit. Seine Frau arbeitete für ihn im Büro, er fuhr den einzigen LKW. Aber schon nach einem halben Jahr liefen die Geschäfte nach der Zusammenarbeit mit einem großen österreichischen Logistikunternehmen immer besser. Zunächst fuhr sein Vater einen zweiten Lastwagen, danach wurden es schnell bis zu 14 Lastwagen, die für den Angeklagten europaweit auf Tour gingen.
Inzwischen sind alle Unternehmen in Luxemburg, der Tschechei und in Deutschland in Insolvenz oder aufgelöst. Der Angeklagte werde sich zu den Vorwürfen äußern, erklärte sein Rechtsanwalt Andreas Ammer.
Denkbar, dass der Prozess schon am zweiten Verhandlungstag (2. November) zu Ende geht. Gericht und Staatsanwaltschaft haben dem Angeklagten offenbar Strafmilderung angeboten, wenn er ein Geständnis ablegt und damit das Verfahren verkürzt.

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