"Auf die Liebe kommt es an": Der Autor Jürgen Uecker im Porträt

Manderscheid · Jürgen Uecker beschreibt seinen Weg so: "begeistert geirrt, fast vernichtet, geheilt". Der 79-jährige Pfarrer aus Manderscheid tritt in der Öffentlichkeit für Menschenrechte ein und erzählt, wie er vom Nazi zum Demokraten wurde.

 Jürgen Uecker. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Jürgen Uecker. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Manderscheid. Jürgen Uecker lebt mit seiner Frau Ingrid in einer Wohnung in Manderscheid. Wenn er morgens seine kleine private Andacht hält, blickt er auf die katholische Kirche. Das gefällt dem evangelischen Pfarrer im Ruhestand. Er ist ein Mann der Ökumene und pflegt den Dialog. Was allein zähle, sei, dass sich die Religionen und die Gesamtgesellschaft über Grundwerte wie die Menschenwürde einig seien, findet er. Diese freiheitliche und versöhnliche Betrachtungsweise resultiert aus dem Leben in zwei Diktaturen. Die bitteren Erfahrungen machten Uecker zum überzeugten Demokraten. Im jugendlichen Alter war er noch begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus.
Nur eine Lösung: Flucht


Auf die Ernüchterung folgten die Verzweiflung und die Suche nach neuen Grundlagen. Er suchte in der Philosophie, in der Sozial- und in der Politikwissenschaft und fand die plausibelste Antwort schließlich im christlichen Glauben. Jürgen Uecker wurde evangelischer Pfarrer. Aber sein erstes Glaubensbekenntnis, sagt er, "war das zu den Grundwerten unserer Verfassung".
Um für die Bedeutung der dort verankerten menschlichen Werte einzutreten, geht er an Schulen, um Jugendlichen zu erzählen, wie aus dem Nazi ein Demokrat wurde. Uecker berichtet, wie die Verführung durch die "Pseudo-Religion", wie er sie nennt, bei ihm als Kind ansetzte: mit Lagerfeuern, Geländespielen, Sportveranstaltungen, bis seine Hingabe an die Gemeinschaft so groß war, dass dem Zehnjährigen beim Fahne-Hissen ein ehrfürchtiger Schauer über den Rücken lief. Erst drei Jahre nach dem Krieg kam die Einsicht, dass die Berichte über die Verbrechen der Nazis keine Feindpropaganda waren. "Wofür ich mich begeistert hatte, wurde zur verabscheuungswürdigen Fratze." Uecker war inzwischen DDR-Bürger. "Wieder gab es Aufmärsche, und Leute verschwanden. Das war dasselbe in Rot", war ihm klar. Für ihn gab es nur eine Lösung: Flucht in den Westen.
In diesem Jahr ist sein Buch herausgekommen: "Unter den Linden - Brandenburger Tor". Den Titel hat er gewählt, weil der Ort für ihn Symbolkraft für den "Irrwitz unserer jüngsten Geschichte" hat. Was ihn die Erfahrung gelehrt hat? "In der Gestaltung der menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse kommt es auf die Liebe an", ist sein Rat. Sie müsse allerdings auf den ihr gemäßen Wegen bleiben und dürfe nicht von Pseudo-Religionen oder Fundamentalismen irregeleitet sein. sys

Am Donnerstag, 12. Juli, liest Jürgen Uecker ab 19 Uhr in der Stadtbibliothek Wittlich aus seinem Buch "Unter den Linden - Brandenburger Tor".
Extra

Jürgen Uecker wurde 1932 bei Berlin als Sohn eines Verlagsbuchhändlers geboren. 1945 floh seine Familie vor der Roten Armee an den Rand des Harzes. Nach dem Abitur arbeitete er zwei Jahre in einem Eisenhüttenwerk zur Vorbereitung auf ein wirtschaftswissenschaftliches Studium, das er 1952 in Ost-Berlin begann. Im Jahr darauf flüchtete er aus der DDR nach Wuppertal. 1954 nahm er in Köln das Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften auf. Über die evangelische Studentengemeinde kam er als Referent zum Amt für Sozialethik und Sozialpolitik der evangelischen Kirche im Rheinland. Berufsbegleitend studierte er Theologie und wurde Pfarrer in einer Duisburger Gemeinde. Ab 1971 half Jürgen Uecker in Manderscheid als Kur- und Urlaubspfarrer aus. 1997 zog er mit seiner Frau, mit der er zwei Kinder hat, ganz in die Eifel. sys

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort