"Die lachen noch über uns, dass wir arbeiten" - Mutter beginnt mit 29 zweite Ausbildung - Ärger mit dem Jobcenter

Wittlich · Viele Jahre arbeitslos, zwei Kinder, 29 Jahre: Sie ist nicht die klassische Auszubildende. Dennoch hat eine junge Wittlicherin alles daran gesetzt, eine Lehrstelle zu finden. Hilfe erfuhr sie dabei von der Agentur für Arbeit und vom Qualifizierungsprojekt Oase. Seit einigen Monaten steht sie als Azubi im Friseursalon von Dorothea und Stefanie Ehlen. Im Jobcenter allerdings wurde ihre Euphorie gebremst.

"Es ist anstrengend, aber ich bin richtig glücklich und auch stolz auf mich", sagt Pauline (29, Name von der Redaktion geändert), die voller Elan im Salon von Dorothea und Stefanie Ehlen am Wittlicher Markt steht. Sie lächelt, wirkt zufrieden. Ihre Chefin Dorothea Ehlen sagt: "Sie ist eine Frau, die im Leben steht, die die Arbeit sieht, Verantwortung übernimmt." Auch wenn sie nicht dem klassischen Azubi entspricht, der gerade frisch von der Schule kommt, die junge Frau punktete bei ihrer Bewerbung mit ihrer Art und ihrem Mut, ihr Leben in neue Bahnen zu lenken.

Steiniger Weg

Ehlen sagt: "Sie hat uns einfach gefallen." Deshalb hat die 29-Jährige einen Vertrag bekommen - seit Februar als Teilzeitauszubildende. Ein Glücksfall für beide Seiten. Bis dahin war es allerdings ein langer Weg. Und das letzte Stück davon war steinig. Denn neben aller Unterstützung, die die Wittlicherin erhalten hat, waren die vergangenen Monate finanziell für die zweifache Mutter ein Überlebenskampf. Das Leben als Hartz-IV-Empfängerin - sie bekam etwa 830 Euro Arbeitslosengeld (ALG) II - hinter sich zu lassen, bedeutete auch, weniger Geld auf dem Konto zu haben, 250 Euro verdient sie derzeit. Einen Antrag um Ausbildungsbeihilfe hatte sie zwar am 3. Februar gestellt, bis sie allerdings über das Geld verfügen konnte, dauerte es. Sie konnte zunächst ihre Miete nicht zahlen, der Kühlschrank war leer, sie musste sich Geld von ihrer Familie leihen.

Demoralisierend und verletzend sei für sie dann noch ein Gespräch am 1. April mit einer Sachbearbeiterin im Jobcenter gewesen, wo es um die Grundsicherung von Langzeitarbeitslosen (ALG II und Sozialgeld) geht, während die Agentur für Arbeit für die Vermittlung in Arbeit und Zahlung von ALG I zuständig ist. Die Jobcenter-Mitarbeiterin habe zu ihr gesagt: "Wollen Sie es sich nicht noch mal überlegen, ob Sie die Ausbildung lieber abbrechen wollen?" Vorher sei sie ja schließlich finanziell besser gestellt gewesen. "Ich war verzweifelt", sagt die 29-Jährige, sie habe geweint. Am Tag darauf habe sie mit ihrer Chefin darüber gesprochen. Als Dorothea Ehlen beim Jobcenter anrief, "ging man nicht darauf ein. Aber ich nehme das nicht hin. Die lachen noch über uns, dass wir arbeiten."

Auf TV-Anfrage beim Jobcenter in Wittlich erklärte dessen Geschäftsführerin Christel Werner, so ein Satz sei im Jobcenter nicht gefallen. Im Gegenteil: Jeder, der aus Hartz IV herauskomme, sei ein Erfolg, und gerade mit Maßnahmen wie der Oase (siehe Extra) könne man viel bewegen. In einem weiteren Telefonat erklärte Werner, man habe sich bei der 29-jährigen Kundin entschuldigt, ihr ein Gespräch angeboten, um Irritationen auszuräumen. Dorothea Ehlen berichtet, Pauline habe gesagt, man habe noch nie so freundlich mit ihr gesprochen. Erfreulich für die Auszubildende: Es wurde nun alles in die Wege geleitet, ihre Anträge seien bearbeitet, die Berufsausbildungsbeihilfe (405 Euro) sei bewilligt, es gebe eine Einigung. Allerdings wollen die Auszubildende und ihre Chefin über dieses Erlebnis nicht schweigen. Ehlen: "Mir ist es wichtig, dass so etwas öffentlich gemacht wird."

Pauline ist froh über den Weg, den sie geht, und die zweite Chance, die sie nutzen will. Als sie mit 20 ihr erstes Kind bekam, brach sie ihre Ausbildung ab. Einen Weg zurück in den Beruf fand sie nicht. Als sie ihr zweites Kind 2011 mit 27 Jahren zur Welt brachte, "habe ich über mein Leben nachgedacht. Nun verwirkliche ich meinen Traum. Ich weiß, dass ich das richtig mache. Ich bin stolz auf mich. Und meine ältere Tochter ist es auch."Extra: Projekt Oase

Arbeitslose Mütter zwischen 25 und 40 Jahren sind die Zielgruppe des Projektes Oase in Wittlich. Oase steht für Orientierung, Arbeitssuche, soziale Unterstützung und Eingliederung in Arbeit. Träger ist die gemeinnützige Lernen und Arbeiten GmbH in Neuwied. Finanziert wird die Oase vom Land, über den Europäischen Sozialfonds und vom Jobcenter Bernkastel-Wittlich. "Manche Frauen haben ihre Ausbildung nie begonnen oder früh abgebrochen. Bei anderen ist das fachliche Wissen nicht auf neuestem Stand, der Kontakt zum Arbeitsmarkt abgebrochen und der eigene Wert als Arbeitskraft kann nicht eingeschätzt werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet sich für viele schwierig", so Christel Werner, Geschäftsführerin des Jobcenters Bernkastel-Wittlich. Das Projekt sei mit 20 Teilnehmerinnen immer ausgebucht. 2013 konnten laut Werner 14 Prozent der Teilnehmerinnen in sozialversicherungspflichtige Vollzeit- und 31 Prozent in sozialversicherungspflichtige Teilzeitstellen vermittelt werden. 17 Prozent haben eine Ausbildung begonnen und 38 Prozent einen 450-Euro-Job gefunden. cofiHintergrund: Spätstarter-Initiative

Die Bundesagentur für Arbeit hat 2013 die Initiative "AusBildung wird was" gestartet, bis 2016 sollen darüber "100.000 junge Menschen zwischen 25 und 30 Jahren (…) einen erneuten Anlauf für eine Ausbildung nehmen". Zwischenbilanz: Bundesweit "über 32.000 junge Erwachsene haben 2013" eine Ausbildung begonnen. Isabell Juchem, Sprecherin der Agentur für Arbeit Trier, teilt mit, dass die Jobcenter in der Region und die Agentur für Arbeit Anfang 2013 die etwa "1000 arbeitslosen Kunden zwischen 25 und 35 Jahren ohne Berufsabschluss zu dem Projekt beraten" haben. "Bereits im August haben mehr als 90 dieser Männer und Frauen eine Lehre begonnen." Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Trier verzeichnet 31 Menschen, die 2013 eine Lehre bei einer Firma im Kreis Bernkastel-Wittlich begonnen haben und älter als 25 Jahre sind, in der Region waren es 180. cofi

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