Für seine drei Geschwister kommt jede Hilfe zu spät

Wittlich · Der deutsch-jüdische Arzt Arnold Palm ist, ebenso wie seine Geschwister, 1897 in Wittlich geboren. Später geht er nach Berlin, um dort als Arzt in einer pharmazeutischen Firma zu arbeiten. Als diese "arisiert" wird, wandert er mit Frau und Tochter aus. Seine Geschwister, die in Deutschland geblieben sind, werden ermordet.

Für seine drei Geschwister kommt jede Hilfe zu spät
Foto: (m_wil )

Wittlich. Arnold Palm wurde 1897 als drittes Kind von Philipp Palm und Thekla Hess, Tochter des Zigarrenfabrikanten Samuel Hess aus der Kurfürstenstraße, in Wittlich geboren. Philipp Palm arbeitete als Prokurist in der Firma seines Schwiegervaters und gehörte dem Repräsentantenkollegium der jüdischen Gemeinde bis zu seiner Übersiedlung nach Köln im Jahre 1910 an.
Auch Arnolds Geschwister wurden in Wittlich geboren: Frieda (1894), Martin (1895) und Emilie (1899); die 1900 geborene Charlotte starb bereits im Kindesalter.
Seine Grundbildung erhielt der begabte Arnold an der jüdischen Volksschule und Höheren Stadtschule in Wittlich. Das Abitur legte er in Köln ab. Sein zunächst in Bonn aufgenommenes Studium der Mathematik musste Palm unterbrechen, weil er von 1916 bis Kriegsende als Soldat eingezogen war.
Wie viele deutsch-jüdische Soldaten wurde auch Arnold Palm mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach Kriegsende studierte er in Würzburg Medizin. Im Mai 1922 legte er das Examen in Düsseldorf mit dem Prädikat "sehr gut" ab. Es folgte die Promotion an der Universität Köln mit einer Arbeit zur "Chirurgischen und orthopädischen Beseitigung von Anomalien des Unterkiefers - Makrognathie und Mikrognathie". Seine ärztliche Approbation erhielt Dr. Palm Ende 1923.

Dr. Arnold Palm hatte 1928 die aus Göttingen stammende Gertrud Wronke geheiratet. Mit ihr zog er nach Berlin, wo er bald schon in die renommierte "Berliner medizinischen Gesellschaft" aufgenommen wurde. Den Entzug seiner kassenärztlichen Zulassung im März 1934 konnte Dr. Palm besser verschmerzen als die Mehrzahl seiner jüdischen Kollegen.
Als Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung der chemisch-pharmazeutischen Fabrik Dr. Joachim Wiernik & Co. AG in Berlin-Waidmannslust besaß er eine höchst verantwortungsvolle und auch wirtschaftlich lukrative Stellung, über die er später berichtete: "Zu meinen Obliegenheiten gehörte neben der rein wissenschaftlichen Tätigkeit, Kontakt mit leitenden Ärzten in bedeutenden Krankenhäusern in Berlin und im Reich herzustellen und zu unterhalten zum Zwecke der Durchprüfung neuer Arzneimittel und der Anregung zu Veröffentlichungen der Ergebnisse in medizinischen Fachzeitschriften. Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens hing umso mehr von meiner Tätigkeit ab, als ich der einzige approbierte Arzt war, den das Werk beschäftigte."
Aber auch Dr. Palm musste mit Beginn des NS-Regimes bitter erfahren, dass es mit der Solidarität früherer Kollegen nicht weit her war: "Soweit die Ärzte wussten, daß ich Jude war, hielt ich mich mehr zurück, als es im Interesse meiner Auftraggeber lag, und beschränkte meinen Kontakt auf ein Minimum. Schon die Tatsache, daß ich auf den Hitlergruß mancher Ärzte, die der NSDAP angehörten, nicht in gleicher Weise reagierte, konnte mich in eine peinliche Situation bringen. Und in Fällen, wo mich die Ärzte persönlich gut kannten, waren sie es, die sich zurückzogen. Ein leitender Arzt im Krankenhaus Berlin-Reinickendorf, mit dem ich über viele Jahre hindurch einen ausgezeichneten Kontakt hatte, sagte mir beispielsweise, dass ich nicht mehr vorsprechen soll, da er befürchte, vom Gesundheitsamt der Stadt Berlin beobachtet zu werden."
Als die jüdische Firma 1936 "arisiert" wurde, verlor auch Dr. Palm seine Stellung. Obwohl das Ehepaar Palm mit dem Zionismus sympathisierte, blieben nur die USA als Exilland, weil die britische Mandatsregierung den Zuzug jüdischer Ärzte nach Palästina radikal begrenzt hatte. Anfang 1938 traf das Ehepaar Palm mit ihrer im April 1937 geborenen Tochter Eva in New York ein.
Die amerikanischen Ärzteorganisationen reagierten eher ablehnend auf die eingewanderten Ärzte aus Europa und so musste auch Dr. Palm zunächst das US-Staatsexamen ("state board examn") ablegen, um eine ärztliche Zulassung zu erhalten.
Neben dem Studium arbeitete Dr. Palm in einem Krankenhaus im Stadtteil Queens. Ab 1940 betrieb Dr. Palm eine Privatpraxis in der Bronx, einem damals schon überwiegend von Hispanics geprägten Stadtteil New Yorks. Die Wohnung diente zugleich als Arztpraxis und Frau Palm empfing die Patienten aus allen gesellschaftlichen Schichten im Wohnzimmer - erst Jahre später können eigene Praxisräume im gleichen Gebäude gemietet werden.
Alle Mühe vergeblich


Tochter Eva erinnert sich an ihren Vater als leidenschaftlichen Familienarzt, der für medizintechnische Neuerungen stets aufgeschlossen war und auch weiterhin mit Erfolg an der Herstellung neuer Medikamente arbeitete. Vor allem die Hausbesuche bei den zahlreichen armen Einwandererfamilien in dem multikulturellen Bezirk verlangten Dr. Palm viel Kraft ab. Dass nicht alle Rechnungen beglichen wurden, störte den engagierten Arzt wenig.

Seine beiden unverheiratete Schwestern Frieda und Emilie lebten in Düsseldorf und arbeiteten als Buchhalterinnen bis zur "Arisierung" ihrer Beschäftigungsbetriebe. Bruder Arnold setzte nach seiner eigenen Emigration viele Hebel in Bewegung, um mit Unterstützung des "Hilfsvereins der deutschen Juden" in Essen die Übersiedlung der Schwestern in die USA zu ermöglichen.
Doch alle Mühe war vergeblich - mit einem der ersten Deportationszüge wurden die beiden Frauen am 10. November 1941 nach Minsk deportiert. Nach vier Tagen erreichte der Zug mit 997 Juden sein Ziel.
Der Transportführer, der SS-Sturmbannführer Wilhelm Meurin, hatte in seinem erst kürzlich aufgefundenen Bericht zynisch zur Ankunft des Transportes festgehalten: "Die Juden waren um diese Zeit ziemlich weich, da der Zug vielfach ungeheizt geblieben war und keine Möglichkeit mehr gegeben war, Wasser zu fassen." Die völlig entkräfteten und demoralisierten Juden marschierten zu Fuß in das Minsker Getto, in dem kurz vorher 8000 russische Juden erschossen worden waren, um "Platz zu schaffen" für die Neuankömmlinge. Von diesem Transport hat fast niemand überlebt - das Todesdatum von Frieda und Emilie Palm wurde amtlicherseits auf den 8. Mai 1945 festgelegt.
Über das Schicksal seines älteren Bruders Martin wusste Dr. Palm kaum etwas - nur soviel, dass er nach dem Tod der Eltern Anfang der 30er Jahre in der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg untergebracht war.
Im Alter von 46 Jahren wurde er am 14. Februar 1941 zusammen mit 42 jüdischen Patienten deportiert, und zwar angeblich in die Irrenanstalt Cholm bei Lublin (Polen). Das Standesamt Cholm II, das für die Angehörigen Sterbeurkunden ausstellte, existierte in Wirklichkeit nicht, sondern diente nur zur Tarnung der Krankenmorde. Tatsächlich hatte man Martin Palm nach Hadamar an der Lahn gebracht, wo er noch am selben Tag in der Gaskammer sterben musste. Um die Fiktion der Deportation nach Polen aufrechtzuerhalten, wurde der 4. Juni 1941 als Todesdatum der Deportierten angegeben. So auch für Martin Palm nachzuweisen in einem Dokument, das der Wittlicher Genealoge Peter Daus zur Verfügung stellte.
Arnold Palm erkrankte Mitte der 60er Jahre an einem Gehirntumor und starb 1968 im Alter von 71 Jahren in New York. Seine Ehefrau Gertrud lebte zuletzt in Florida bei ihrer Tochter, wo sie 1986 gestorben ist.
Tochter Eva Muentes ist seit 2012 verwitwet und lebt heute im Osten der USA im Bundesstaat Pennsylvania in der Nähe ihrer beiden Kinder und deren Familien.
Extra

Wenige Tage vor dem reichsweiten Boykott vom 1. April 1933, der sich insbesondere auch gegen die rund 8000 deutsch-jüdischen Ärzte richtete ("Meidet jüdische Ärzte!"), hatten Spitzenvertreter der ärztlichen Standesvertretungen Huldigungstelegramme an Adolf Hitler gesandt. Darin gelobten sie "als Diener der Volksgesundheit treueste Pflichterfüllung" und sicherten ihre "selbstlose Mitarbeit am Neuaufbau von Staat und Volk" zu. Der Entzug der kassenärztlichen Zulassung traf als eine der ersten Maßnahmen im Jahr 1933 insbesondere jüdische und politisch links stehende Mediziner. Weitere Schikanen folgten Schlag auf Schlag, sodass unter kräftiger Mithilfe ärztlicher Standesvertreter und früherer Kollegen das Programm zur "Entjudung der Medizin" - so der NS-Jargon - bis Juli 1938 abgeschlossen war. Franz-Josef SchmitExtra

 Arnold Palm konnte nicht verhindern, dass seine Schwestern Frieda und Emilie Palm (Foto links) ermordet wurden. Auch sein Telegramm an den Jüdischen Hilfsverein in Essen/Bürgschaftserklärung zur Rettung der Schwestern (Foto rechts) nutzte nichts. Mit einem der ersten Deportationszüge wurden die beiden Frauen am 10. November 1941 nach Minsk deportiert, wo sie starben. Fotos (5): Archiv/Franz Schmitt

Arnold Palm konnte nicht verhindern, dass seine Schwestern Frieda und Emilie Palm (Foto links) ermordet wurden. Auch sein Telegramm an den Jüdischen Hilfsverein in Essen/Bürgschaftserklärung zur Rettung der Schwestern (Foto rechts) nutzte nichts. Mit einem der ersten Deportationszüge wurden die beiden Frauen am 10. November 1941 nach Minsk deportiert, wo sie starben. Fotos (5): Archiv/Franz Schmitt

Foto: (m_wil )
 Dr. Arnold Palm als Laborarzt in Berlin-Waidmannslust.

Dr. Arnold Palm als Laborarzt in Berlin-Waidmannslust.

Foto: (m_wil )
 Das Ehepaar Palm mit Tochter Eva in New York.

Das Ehepaar Palm mit Tochter Eva in New York.

Foto: (m_wil )
 Familie von Eva Muentes, der Tochter von Arnold Palm in Pennsylvania/USA mit ihrem Ehemann (verstorben 2012) und Schwiegertochter mit Enkelkind.

Familie von Eva Muentes, der Tochter von Arnold Palm in Pennsylvania/USA mit ihrem Ehemann (verstorben 2012) und Schwiegertochter mit Enkelkind.

Foto: (m_wil )

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ist in der Bundesrepublik Deutschland ein nationaler Gedenktag und wird seit 1996 am 27. Januar, dem Tag der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz, begangen. Der Zwangsarbeiter, die zum Bau der Autobahn in den Jahren 1939 bis 42 gezwungen wurden, soll am Holocaust-Gedenktag, am Mittwoch, 27. Januar, in einem ökumenischen Gottesdienst um 17.30 Uhr in St. Paul in Wittlich gedacht werden. Im Anschluss hält Lena Haase von der Uni Trier um 19 Uhr einen Vortrag über das Schicksal der später sogenannten Nacht-und-Nebel-Häftlinge in der Synagoge. Anlässlich des Gedenktags lädt die Kulturgemeinschaft Bitburg für Mittwoch, 27. Januar, 11 Uhr, zu einer Lesung im Haus Beda ein. Zu Gast ist Steven Weinberg. Sechs Mitglieder seiner Familie wurden in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet. Für sein Buch "Zwei Reisende nach Breslau" unternahm er drei Reisen nach Polen. So folgte er den Spuren seines Vaters, der zu Kriegszeiten das Konzentrationslager Auschwitz überlebte. Begleitet wird die Lesung von dem Geigensolisten Darko Millow des Philharmonischen Orchesters Luxemburg. Kostenfreie Eintrittskarten sind bei der Geschäftsstelle der Kulturgemeinschaft Bitburg oder unter Telefon 06561/6001-220 erhältlich.red

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