Kanonenböller sind Chefsache

In der Wittlicher Kulturpolitik rumort es weiter hinter den Kulissen. Der aktuelle Anlass ist kurios: die Kanonenböller. Auf Initiative des Kulturausschussmitglieds Hans-Jörg Krames sind sie thematisch auf dem Tisch von Bürgermeister Joachim Rodenkirch gelandet. Gefordert wird Aufklärung, ob die Böller korrekterweise in Neuerburg aufbewahrt wurden. Laut Rodenkirch hat das seine Ordnung.

 Auf einmal überraschend prominent: Die Geschichte der Wittlicher Kanonenböller ist in der Chronik der Neuerburger Böllerschützen dokumentiert. TV-Foto: Klaus Kimmling

Auf einmal überraschend prominent: Die Geschichte der Wittlicher Kanonenböller ist in der Chronik der Neuerburger Böllerschützen dokumentiert. TV-Foto: Klaus Kimmling

Wittlich. Kuriose Überreste von Wittlichs 1794 zerstörtem Schloss Phillippsfreude sind hinter den Kulissen zu einem kleinen Kulturpolitikum geworden. Die Kanonenböller im Besitz der Stadt befanden sich zuletzt im Stadtteil Neuerburg. Kulturausschussmitglied Hans Jörg Krames bittet deshalb den Bürgermeister, "die Öffentlichkeit vor der nächsten Kulturausschusssitzung umfassend zu informieren." Ein wichtiges Thema der Stadtpolitik? Worum geht es überhaupt?

Es geht um die Wittlicher "Kaatzekepp", gusseiserne Kanonenböller. Ihre Salutschüsse knallten einst, wenn der Kurfürst in der Stadt war, später zu Kaisers Geburtstag. Wer das noch wusste? So gut wie niemand. Abgesehen von den Neuerburger Böllerschützen, die sich um drei der ehemals sechs Böller gekümmert haben. Für die Kaatzekepp interessieren sich mittlerweile viele, denn eins der museumsreifen Stücke war verschwunden, weil gestohlen. Es ist wieder aufgetaucht, ein Amerikaner wird des Diebstahls verdächtigt (der TV berichtete). Verschwunden, wieder aufgetaucht, verschwunden: Das ist typisch für die barocken Schwergewichte.

Vor dem Ersten Weltkrieg landeten sie bei der Feuerwehr. Ein Teil wurde an Eisenhändler verscherbelt, drei rettete der spätere Bürgermeister Matthias Mehs. Im Garten seiner Gastwirtschaft waren sie zu bewundern, später landeten sie in seinem Keller. Nach seinem Tod tauchten sie wieder auf. Maria Wein-Mehs schenkte sie Wittlich nach eigenen Angaben. Die Stadt ließ sie im Keller der Synagoge verschwinden, bis sich die Neuerburger um sie kümmerten, wofür sich Wittlichs erster Beigeordneter Albert Klein einsetzte. Zu sehen waren sie unlängst im Vereinshaus Neuerburg, bis einer gestohlen wurde. Das zog Kreise: Aus Trier teilte Wein-Mehs mit, sie wäre nie damit einverstanden gewesen, die Böller nach Neuerburg zu geben.

Kulturausschussmitglied Hans-Jörg Krames wird aufmerksam. Er sei wegen der Übergabe nach Neuerburg "mehrmals gefragt worden, wie der Zusammenhang zwischen Schenkung und (eigenmächtiger?) Weitergabe der Schenkung durch Herrn Klein zu werten" sei. Das mailt er an den Bürgermeister.

"Keiner wusste, dass die Kanonen so wertvoll sind"



Albert Klein (CDU) und Hans Jörg Krames (Grüne) haben kulturpolitisch unterschiedliche Positionen. Damit habe seine Nachfrage aber nichts zu tun, so Krames: "Mir geht es um Aufklärung. Auch um die Frage: Wie geht man mit Schenkungen um? Im Prinzip wusste kein Mensch von den Kanonen, und dass die so wertvoll sind."

In der Sache gebe es nichts Strittiges, so Bürgermeister Joachim Rodenkirch. Es handle sich "nicht um die Weitergabe einer Schenkung, sondern lediglich um eine Leihgabe an einen örtlichen Verein, der sich dem Böllerschießen widmet". Aus seiner Sicht seien die Böller im Stadtteil "deutlich besser aufbewahrt als im Keller der Synagoge". Und: "Da Neuerburg seit 1969 zur Stadt Wittlich gehört, befinden sich die Böller nach wie vor im Hoheitsgebiet der Stadt, als auch in deren Eigentum."

Da die Neuerburger angekündigt haben, aus Sicherheitsgründen die Böller sowieso nach Wittlich-Stadt zurückzugeben, will Rodenkirch prüfen, wo sie aufbewahrt oder gezeigt werden können. Dass sie einen "ehrenvollen Platz" in Wittlich bekommen, findet auch Albert Klein gut.

Er sagt, den aktuellen Mailverkehr zwischen Bürgermeister und Kulturausschussmitglied nicht erhalten zu haben. Den Argumentationsaustausch mit Rodenkirch hat Krames ohne Absprache mit dem Bürgermeister zwar an andere Adressaten weitergemailt, nicht aber an Klein, obgleich es um dessen Rolle in der Angelegenheit geht. Der Beigeordnete sagt: "Damals war mit Bürgermeister Bußmer abgesprochen, dass die Böller von den Neuerburgern in Obhut genommen werden. Außerdem wurde der Ausschuss informiert. Ich bin nur froh, dass der Gestohlene wieder da ist."

Meinung

Kulturell kein Wir-Gefühl

Dass es Kanonenböller gibt, ob die in Wittlich im Keller liegen oder in Neuerburg bei Böllerprofis, hat bislang niemanden interessiert. Ausgenommen die wenigen, die sich tatsächlich um sie gekümmert haben. Erst seit dem Diebstahl wurden sie für die Öffentlichkeit interessant. Zum Politikum werden sie nun durch die offizielle Anfrage des Grünen-Kulturausschussmitglieds beim Bürgermeister. Nun weiß man, dass die Herren Krames und Klein sich seit Wittlichs Streit um Museumsleitung, Ausstellungen, Museumsvereinsvorsitz und so weiter nicht besonders gewogen sind. Geht es also "nur" um die Kanonenböller? Allgemein gilt: Wie die Stadt mit den Kulturgütern umgeht, die irgendwo unbeachtet lagern, wäre seit Langem zu klären, auch schon zu Kulturamtsleiterzeiten. Es scheint, dass der "Waffenstillstand" bei Kulturthemen in Wittlich auf sehr dünnem Eis stattfindet. Und in diesem Eis wird gestochert. s.suennen@volksfreund.de

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