Schuldenfrei in 1142 Jahren

Bernkastel-Wittlich · Die finanzielle Situation des Kreises Bernkastel-Wittlich ist bei Schulden von mehr als 100 Millionen Euro nicht zum Lachen. Zahlenbeispiele, wann die Schulden beglichen sein könnten, regen dagegen zum Schmunzeln an. Der Autor der entsprechenden Anfrage nimmt sich selbst nicht ganz ernst. Und der Landrat macht gute Miene zum bösen Spiel.

Bernkastel-Wittlich. Nur mal angenommen: Bei einem Zinssatz von 2,7 Prozent, wie er für 2013 erwartet wird, und einer Tilgung von 110 000 Euro pro Jahr (ein Euro pro Bürger) wären die Investitionskredite des Kreises Bernkastel-Wittlich in Höhe von 74,5 Millionen Euro im ersten Quartal 2125, also in 112 Jahren, bezahlt. Die Rechnung bei den Liquiditätskrediten (24 Millionen Euro), den Geldern, die die Zahlungsfähigkeit sichern, bei durchschnittlich 1,1 Prozent Zinsen und einer jährlichen Tilgung von ebenfalls 110 000 Euro: Der Kreis wäre diese Verbindlichkeiten im vierten Quartal 2125 los und ginge schuldenfrei ins Jahr 2126.
Bei allem Optimismus über den Anstieg der Lebenserwartung: Selbst wer heute geboren wird, erlebt diesen Tag nicht.
So weit so gut: Völlig abstrus wird die Rechnung, wenn in beiden Beispielen bei ansonsten gleichen Bedingungen mit einer Tilgung von einem Euro pro Jahr gerechnet wird. Dann wären die Investitionskredite im vierten Quartal 2558, also in knapp 545 Jahren getilgt, bei den Liquiditätskrediten wäre dies im ersten Quartal 3155 und damit in 1142 Jahren der Fall.
Das Gegenbeispiel: Tilgt der Kreis pro Jahr etwa 2,324 Millionen Euro, wäre er bei entsprechenden Zinsen in 30 Jahren schuldenfrei. Doch woher nehmen und nicht stehlen! Alle Rechnungen stünden natürlich unter einem Vorbehalt: Der Kreis macht keine neuen Schulden und die Zinssätze bleiben über die gesamte Laufzeit gleich. Das zu glauben, ist irrwitzig.
Die Rechnung hat Kreistagsmitglied Rainer Stablo (Die Linke und Holger Knippschild) aufgemacht und gleichzeitig die entsprechenden Fragen an die Verwaltung geschickt. Der Lehrer hat kein Problem mit solchen Zahlenspielereien, denn er unterrichtet Mathematik. Er wollte testen, ob der Kreis ebenfalls rechnen kann. Er kann es. "Die Fragen sind komplett und richtig beantwortet worden", sagt Stablo.
Ganz ernst nimmt er die Sache selbst nicht, spricht vom ernsten Hintergrund und einem guten Schuss Ironie. Er wolle nur zeigen, dass es mit Einsparungen, wie sie täglich im Gespräch sind, nicht möglich ist, Schulden zu senken. Nur ein radikales Umdenken könne helfen. "Oder es müsste Geld vom Himmel regnen, das nicht zurückzuzahlen ist", sagt er. Wie radikales Umdenken aussehen könnte, bleibt offen.
Vier Stunden habe ein Mitarbeiter der Verwaltung für die Antwort der zwölf Fragen gebraucht, sagt Alfons Kuhnen, Pressesprecher der Kreisverwaltung. Anfragen haben eine hohe Bedeutung, sagt Landrat Gregor Eibes und macht gute Miene zum Spiel. Aber in diesem Fall sei der Aufwand einfach zu hoch gewesen. Mögliche Nachahmer verweist er deshalb gleich in die Schranken: "So etwas werden wir nicht mehr beantworten." cb
Meinung

Auf der Suche nach Sterntalern
Der Mathematiklehrer fordert die Kreisverwaltung heraus: Haben die nichts Besseres zu tun, als auszurechnen, welche Mechanismen greifen müssen, um den Kreis schuldenfrei zu stellen? Wer auf dem Laufenden ist, weiß, dass dies mit den derzeit zur Verfügung stehenden Instrumenten unmöglich ist. Da müsste es wirklich Gold vom Himmel regnen, wie es die Gebrüder Grimm im Märchen "Sterntaler" schreiben. Eines wird aus den irrwitzigen Beispielen aber klar. Es muss ein neues Denken her, um sich ernsthaft mit dem Schuldenabbau zu beschäftigen. c.beckmann@volksfreund.de

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