Gesellschaft Bei den Seelsorgern sind Geheimnisse sicher

Wittlich · Bei Sorgen und Problemen können sich Häftlinge in Wittlich an die Gefängnisseelsorger wenden. Thilo Müller und Thomas Reichert sind ihre Ansprechpartner.

Um in den Andachtsraum der Jugendstrafanstalt (JSA) und der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Wittlich zu kommen, muss man durch Höfe, Gänge, Treppenhäuser und vor allem viele Türen laufen – ein richtiges Labyrinth für Besucher. Jede Tür muss auf- und zugeschlossen werden. Ein beklemmendes Gefühl. Im Andachtsraum angekommen entpuppt sich der kleine Saal als eine Art Kapelle. Dort werden Gottesdienste gehalten, Gefangene getauft oder Firmungen zelebriert. Thomas Reichert und Thilo Müller sind Seelsorger in der JVA.

Der evangelische Pfarrer Müller ist seit März 2016 dabei, der katholische Diakon Reichert seit April 2010. Beide haben sich bewusst dafür entschieden, Gefängnisseelsorger zu werden. Thilo Müller fasste den Entschluss nach fast zehn Jahren als Gemeindepfarrer. „Ich wollte nochmal etwas lernen. Und hier kann ich so viel lernen“, sagt der 54-Jährige. Bei Thomas Reichert fiel die Entscheidung schon im Theologiestudium. Nach 17 Jahren als Pastoralreferent begann er seine Arbeit im Gefängnis vor acht Jahren.

Die eigentliche Arbeit der beiden findet aber nicht im Andachtsraum statt, sondern meistens in den Zellen der Gefangenen. Sie sind Seelsorger im Gefängnis und dafür da, den Gefangenen ein offenes Ohr zu leihen. Das Besondere: Sie unterliegen der höchsten Schweigepflicht. Das bedeutet, alles was ihnen erzählt wird, darf nicht weitergesagt werden. „Unsere Aufgabe besteht vor allem darin, den Dampf aus dem Kessel zu nehmen und den Gefangenen eine neue Perspektive zu geben“, beschreibt Thilo Müller seine Arbeit.

Mit den Seelsorgern können Gefangene über Dinge sprechen, die sonst nicht zur Sprache kommen. Etwa, wenn es um Themen geht, die man nicht mit Mitgefangenen austauschen kann, da die Informationen ausgenutzt werden könnten. Das Feedback sei in jeder Altersgruppe ähnlich: Nämlich, dass diese Schweigepflicht wichtig und erwünscht ist. Laut Müller liegt der Fokus des Gesprächs darauf, dass von Mensch zu Mensch gesprochen werden kann. „Wer zu uns kommt weiß, dass er reden kann, ohne, dass etwas Schlimmes passiert.“

Kommt ein neuer Gefangener in das Gefängnis, muss er keine Angaben zu seiner Religion machen. Das wird teilweise von den Neuankömmlingen auch nicht gewollt, da sie Angst haben, ihren Glauben zu offenbaren. Zu Beginn stellen sich die Seelsorger den neuen potentiellen Schützlingen vor. Wenn diese den Wunsch nach einem Gespräch verspüren, müssen sie einen Antrag ausfüllen oder mit Beschäftigten sprechen, um einen Termin zu vereinbaren. Zwar gebe es auch Gruppenstunden, dort werde aber eher Grundsätzliches besprochen. „Ich hake in Gruppenstunden nicht nach, wenn es persönlich wird,“ sagt Reichert.

Thilo Müller betreut neben seinen evangelischen Schützlingen auch Gefangene anderer Religionen sowie Insassen, die keiner Glaubensrichtung angehören. Da die JVA Wittlich in einer eher katholisch geprägten Region liegt, gibt es neben Reichert noch zwei katholische Seelsorger in den beiden Anstalten. Außerdem gibt es noch neben Müller einen weiteren Pfarrer vor Ort, zuständig für die JVA.

Wenn es auf hohe Feiertage zugehe, verdichteten sich  Gefühlslagen aller Art, sagt Müller, gerade bei Insassen mit Kindern oder jugendlichen Gefangenen. Aber auch Sterbefälle im Familien-oder Bekanntenkreis, Krankheitsfälle oder Geburten verstärken das Bedürfnis der Gefangenen, sich einem Seelsorger anzuvertrauen.

Bei den Gesprächen haben weder Reichert noch Müller jemals Angst gehabt, sagen sie. Tatsächlich: Die Gesprächsatmosphäre sei eher höflich und erwartungsvoll. „Ich wurde noch nie rausgeschmissen, im Gegenteil“, sagt Müller und lacht. Eher werde meist direkt der einzige Stuhl in der Zelle angeboten.

Wer als Seelsorger arbeite, habe nach zehn Jahren beinahe alles, was möglich ist, erlebt, sagen sie. Das sei eine Redewendung unter Menschen, die in dem Bereich arbeiten. Man bekomme immer wieder viele verschiedene Situationen mit. Auffällig: Die gesellschaftlichen Veränderungen übertragen sich beinahe eins zu eins, sagen sie. Sprachbarrieren, unterschiedliche Herkünfte, fehlende Abschlüsse und Drogen und damit einhergehende psychische Erkrankungen fänden sich genauso im Gefängnis wie auch außerhalb. Mit diesen neuen Herausforderungen muss man umgehen können.

In den Strafanstalten in Wittlich sind Gefangene aus 30 verschiedenen Nationen untergebracht, aber vor allem Deutsche. In der JSA sitzen Jugendliche und junge Erwachsene von 14 bis 24 ein. Ab dann wird von einer soweit fortgeschrittenen körperlichen und geistigen Entwicklung ausgegangen, dass sie in dem Gefängnis für Erwachsene untergebracht werden. Jugendliche, die ihre Zeit im Gefängnis absitzen müssen, haben meist schon eine gewisse Karriere hinter sich, sagt Jürgen Thum, der Leiter der Jugendstrafanstalt. Jugendliche werden nicht bei wenigen oder kleinen Straffälligkeiten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Alle drei sind sich einig, dass die Gesellschaft falsche Erwartungen an die Mitarbeiter eines Gefängnisses haben. „Wir sind hier keine Reparaturwerkstatt“, sagt Reichert. Zwar gehe der Großteil der Gefangenen auf die Angebote ein, aber nicht alle. Den Eindruck, dass die Gefangenen nur in den Gottesdienst kommen, um wenigstens für eine Stunde aus ihrer Zelle zu kommen, haben sie nicht unbedingt. Zwar könne dies vorkommen, aber das sei nicht die Regel. Zeigen Insassen besonderes Interesse, wird dies unterstützt: Ist jemand musikalisch begabt oder an den Inhalten interessiert, werden diese Gefangenen eingeladen, den Gottesdienst mitzugestalten. Etwa als Leser von Fürbitten oder als musikalische Unterstützung am Keyboard.

Mittlerweile nehmen aber nicht nur Gefangene, sondern auch Bedienstete, die Möglichkeit eines Gesprächs mit den Seelsorgern wahr. Zu viel Druck und anstehende Burn­outs sind vor allem die Gründe.

Eine weitere wichtige Aufgabe der beiden: Da im Gefängnis meist die Defizite im Vordergrund stehen, wollen sie auf die Ressourcen gucken und, vor allem bei jüngeren Gefangenen, neue Perspektiven vermitteln.

(Patrizia Prechtel)
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