Sie machen ihr Dorf selbst: Mehrgenerationenwohnen in St. Paul

Wittlich · Zukunftsweisende Wohnform, soziales Miteinander der Generationen, besonderer Gemeinschaftscharakter: Im Unterschied zu ganz normalen Neubaugebieten sollte bei St. Paul etwas Besonderes entstehen: ein Mehrgenerationendorf. Dank eines Vereins wird ein Teil der Idee auch gelebt.

Sie machen ihr Dorf selbst: Mehrgenerationenwohnen in St. Paul
Foto: klaus kimmling (kik), klaus kimmling ("TV-Upload kimmling"

Wittlich. Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus, Eigentums- und Mietwohnung, Spezialprojekt für betreutes Wohnen, Baugrundstück: Das alles bietet ein Gelände zwischen Wittlich und Wengerohr. Dort verwandelt sich freie Landschaft in ein Wohngebiet. Das Gelände rings ums Missionshaus St. Paul ist bei Bauherren vom Privatmann bis zum erfahrenen Investor begehrt.

Kräne ragen an der einen Stelle himmelwärts, ein paar Meter weiter haben sich Familien ihren Traum vom Eigenheim schon verwirklicht, andere haben als Alleinstehende Gesellschaft gesucht und eine neue Heimat im Mehrfamilienhaus gefunden. Auch, weil das Gelände, das alle nur "St. Paul" nennen, immer noch mit einem besonderen Aspekt vermarktet wird: dem Begriff vom "Mehrgenerationendorf" oder "Mehrgenerationenwohnen".

Um es einfach zu sagen: So wie ein Dorf im Idealfall früher als gewachsene Struktur funktionierte, indem alle Altersklassen nicht isoliert voneinander leben, sondern als aktive Gemeinschaft, so soll auf dem flachen Land binnen Kurzem eine besondere Art des Zusammenlebens von Menschen angestrebt werden, die zuvor Fremde waren. Und zwar als eine "zukunftsweisende Wohnform" als "Symbiose vom gemeinschaftlichen Wohnen und einem selbstbestimmten nachbarschaftlichen Lebenskonzept für Jung und Alt".

So können es Immobilieninteressenten auf www.st-paul-wittlich.de nachlesen. Die Vorstellung einer "zukunftsweisenden Wohnform", erleichterte auch dem Stadtrat, einer sogenannten Außenentwicklung zuzustimmen. 2011 gründete sich auch ein Bürgerverein Generationendorf St. Paul, dessen Mitglieder ihre gemeinsame Zukunft in St. Paul planten, Ideen sammelten, mit Investoren, anderen am Großprojekt Beteiligten, Kontakt hielten (der TV berichtete).Ihr Plan geht auf


Jetzt ist für einige der noch 70 Vereinsmitglieder aus der Idee Realität geworden. So sind die aktuelle Bürgervereinsvorsitzende Roswitha Herres und ihre Stellvertreterin Maria Densborn schon umgezogen. Die frühere erste Vorsitzende Elisabeth Schoppe wird nicht nachziehen: Sie bleibe in Wittlich, sagt sie auf TV-Nachfrage. Im Sommergarten heißt dagegen die neue Adresse ihrer Vereinskolleginnen im Neubaugebiet, das nun ihre Heimat ist. Das klingt idyllisch. Und wie steht es konkret mit dem "Mehrgenerationenwohnen"?
Maria Densborn wohnt schon mehr als ein Jahr in St. Paul. Die 70-Jährige sagt: "Ich habe fünf Jahre geplant, hierher zu kommen und bin sehr zufrieden."

Die frühere Oberkailerin hat eine Eigentumswohnung und sagt über die neue Hausgemeinschaft: "Es ist Usus: Wenn einer in Urlaub fährt, wird gefragt: ,Soll ich die Post reinholen?' Oder wenn jemand zum Arzt muss und nicht fahren kann, übernimmt das ein anderer." Sieben Singles und vier Paare wohnen in der Nachbarschaft, die funktioniert: "Wir backen Plätzchen, feiern zusammen. Zum Spaziergang klopft immer mal jemand an." Das kann auch bei guten Nachbarn in jedem Mietshaus so sein.

Was daran ist denn nun Mehrgenerationenwohnen? Roswitha Herres, neue Vereinsvorsitzende, sagt: "Gut. Wir haben keinen Gemeinschaftsraum. Den können wir uns auch eigentlich nicht leisten. Wir haben ja keine finanziellen Mittel. Anfangs war ich sehr dafür. Aber so ist es gut. Dann muss auch keiner gucken, wie der unterhalten und versorgt wird. Unsere Aktivitäten sollen nicht von einem Raum ausgehen." Und sie sagt auch: "Unser Anspruch ist mittlerweile ganz anders. Es geht um Feste, Ausflüge, Fahrten."
Generell arbeite man mit bestehenden Gruppen zusammen, die ähnlich schon aktiv seien: Wittlicher Brücke, Seniortrainer, Projekte wie "Zuhause alt werden", Caritas nennen die Damen.
Maria Densborn sagt: "Alle steht und fällt mit den Leuten, die hier wohnen und das pflegen." Roswitha Herres sagt: "Jetzt ist das Kennenlernen, Vertrauen aufbauen wichtig. Und wir fragen: ,Was brauchen wir hier. Was können wir hier leisten?'. Wir wollen eine Dorfstruktur in positivem Sinne aufbauen. "

Sie denke daran, den Vereinsnamen zu ändern, vielleicht in "Miteinander in St. Paul". Ansonsten sei man aktiv.
Roswitha Herres etwa hat für ein Grillfest oder ein gemeinsames Frühstücksbuffet geworben und an jeder Tür geklingelt. Das Ganze sei ein Erfolg gewesen, auch ohne offiziellen gemeinsamen Grillplatz, auch ohne dass mancher Bewohner je vom Bürgerverein Generationendorf gehört habe. Apropos Gemeinschaftsflächen: Ein Spielplatz sei noch wünschenswert.
Ansonsten sei man glücklich mit der neuen Adresse. Maria Densborn: "Man kann raus, man ist in Freiheit, man hat kurze Wege zu Freunden, trotzdem hat jeder seinen eigenen Bereich. Und nach Wittlich wäre ich nie gegangen. Da habe ich keinen Draht zu, zu so einer Stadt."
Das sieht auch Karin Ballmann so. Die 61-Jährige hat ihr Haus verkauft und will nach St. Paul: "Diese Wohnform in nachbarschaftlicher Nähe ist doch eine einmalige Sache. Man steht nicht immer allein da." Und alle drei freuen sich, dass sie nun doch einen Raum etwa für Vereinsstammtische haben: Den gibt's ja ab sofort im Alten Brauhaus.Extra

Die Steyler Missionare kommen 1922 nach Wittlich-Wengerohr und errichten 1925 das Missionshaus. Ab 1926 gibt es erste Missionsschüler im Internat, das 1939 durch die NSDAP aufgelöst wird. 1941 bis 1945 dient die Anlage als Lazarett. Nach dem Krieg nehmen 1946 bis 1948 Internat und Missionsschule wieder die Arbeit auf. 1968 wird die Schule aufgelöst und zum Internat für Schüler des Gymnasiums in Wittlich. 1969/70 wird die Kirche neben dem Kloster gebaut. Ab 1972 wird ein Missionsmuseum im Verbindungsbau zur Kirche eingerichtet. 1980 wird das Internat aufgelöst und später das Gebäude zur Tagungs- und Bildungsstätte ausgebaut. 2007 wird das Kloster aufgelöst und an die Kloster Machern AG verkauft. 2009 übernimmt die Immobiliengesellschaft St. Paul die Immobilie. Neben dem zweiten Bauabschnitt, der damals als "Mehrgenerationendorf" beworben wurde und einmal bis zu 700 Einwohner haben soll, umfasst der erste Bauabschnitt Gelände rund um die heutige Autobahnkirche und das Klostergebäude. Dort wurde als Erstes das Seniorenheim errichtet und zuletzt die Gastronomie im Alten Missionshaus fertig. Das ortsbildprägende Klostergebäude, für das es unter anderm Hotelpläne gab, ist eine Riesenbaustelle: Hier sollen Therapieräume, eine Erweiterung des Seniorenheims und Büro- und Verwaltungsräume entstehen. Außerdem ist auf einem rund 37 Hektar großen Gebiet ein Gesundheitspark geplant. sos Kontakt zum Bürgerverein Generationendorf St. Paul: Telefon 0160/97279414 oder paula.wittlich@gmail.com.

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