Winzer sind im Hoch, Schweinebauern im Tief

Bernkastel-Wittlich · 1970 hatte der Bauern- und Winzerverband Bernkastel-Wittlich 4000 Mitglieder. Heute hat ihr Verband, den Stefanie Sakwerda seit einem guten halben Jahr leitet, nur noch 2350. Die Kampfansagen an die Politik sind trotzdem kein bisschen leiser geworden. Die 11,8 Millionen Euro Fördermittel, die voriges Jahr in die Landwirtschaft im Kreis geflossen sind, seien Investitionen in Tier- und Naturschutz sowie Landschaftspflege.

Schweinezüchter Jörg Rittgen verbringt viel Zeit mit seiner Zucht, doch die Preise lassen zu wünschen übrig. TV-Foto: Klaus Kimmling

Schweinezüchter Jörg Rittgen verbringt viel Zeit mit seiner Zucht, doch die Preise lassen zu wünschen übrig. TV-Foto: Klaus Kimmling

Bernkastel-Wittlich. Eine Frau in einer Männerdomäne? Gegen diese Vorstellung wehrt sich Stefanie Sakwerda vehement. Eine Juristin inmitten von Landwirten ist sie aber doch. Seit einem guten halben Jahr führt die 29-Jährige aus Dieburg bei Darmstadt, die heute in Longuich lebt, die Geschäfte des Bauern- und Winzerverbands im Kreis Bernkastel-Wittlich. Damit war sie die erste Frau, die einen solchen Posten innerhalb des Verbands Rheinland-Nassau innehatte.
Dass sie keinen Stallgeruch hat, reibt ihr niemand unter die Nase. "Schließlich brauchen die Winzer und Bauern niemanden, der ihnen ihre Arbeit erklärt." Vielmehr kommt sie bei Fragen rund um Recht und Versicherung ins Spiel, vermittelt zwischen Kommunen und Landwirten. "Es ist gut, wenn jemand von außen kommt und auch mal die eingefahrenen Wege verlässt", sagt Manfred Zelder, Kreisvorsitzender des Bauern- und Winzerverbands aus Wittlich.
Erkannt hat Sakwerda seit ihrem Dienstbeginn vor allem: "Landwirte sind sehr flexibel und reagieren schnell auf neue Entwicklungen." Welche Baustellen sie in diesem Jahr zu meistern haben, darüber hat der TV mit Sakwerda, Zelder und Ernst-Josef Kees, Vizepräsident des Weinbauverbandes Mosel aus Graach, gesprochen.

Baustelle 1: die erneuerbaren Energien. Viele Landwirte sind nicht mehr ausschließlich Ernährer, sondern auch Energieerzeuger. Auf ihren Feldern stehen Windräder, auf ihren Höfen Biogas- und auf ihren Dächern Solaranlagen. Nur zusammen mit der Landwirtschaft könne man die Energiewende schultern, sagt Zelder. Gefährlich seien dagegen Investorenanlagen auf dem Betriebsgelände der Landwirte, die ihnen nicht gehören. "Kleinere, dezentrale Anlagen müssen wir fördern", appelliert Zelder. Sakwerda ergänzt: "Und Photovoltaik gehört aufs Dach und nicht auf Felder."

Baustelle 2: die Betriebsstrukturen. "Unsere Betriebe sind viel zu klein, sie müssen wachsen", sagt Kees, denn die kleinteiligen Strukturen mit im Schnitt drei Hektar pro Weingut erhöhten die Produktionskosten. Doch wenn sie wachsen, stünden sie vor dem nächsten Problem: dem Fachkräftemangel. In den 90er Jahren seien zu wenige Nachwuchskräfte im Weinbau ausgebildet worden, das spüre man heute, sagt Kees. Und mehr Technik bedeute auch gestiegene Anforderungen an die Mitarbeiter. Immerhin: In den vergangenen beiden Jahrzehnten habe die Kameradschaft unter den Winzern zu- und das Kirchturmdenken abgenommen. Man helfe einander. Im Hinblick auf den Rückgang der Betriebe sagt Zelder: "Man kennt sich ja mittlerweile auch gegenseitig." Er schätzt, dass es noch 800 Vollerwerbsbauern im Kreis gibt.

Baustelle 3: die Preise. Absatzprobleme haben derzeit vor allem die Schweinebauern, sagt Zelder. Um das Fleisch verstärkt regional zu vermarkten, müsse die Politik nicht nur die Vermarktung fördern, sondern auch die Verarbeitung an Ort und Stelle. Es gebe nur noch sechs Bauern im Kreis, die Fleisch selbst verarbeiten.

Baustelle 4:die Politik. Die Förderung der Öko-Betriebe durch die Landesregierung führt dazu, "dass wir konventionellen Winzer und Bauern uns schon fast an den Pranger gestellt fühlen", sagt Kees. "Der Ökomarkt ist eine Nische, und das bleibt sie auch", sagt Zelder. Er schätzt, dass fünf Prozent der Betriebe im Kreis Ökolandwirtschaft betreiben.
Besonders groß ist die Abneigung des Bauern- und Winzerverbands gegen den Plan von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos, volle Prämien nur dann zu gewähren, wenn der Landwirt sieben Prozent seiner Äcker und Wiesen aus der Produktion nimmt und als ökologische Ausgleichsflächen nutzt. Kees spricht sich zudem für eine allgemeine Steillagenförderung aus. Zelder: "Insgesamt fehlt es uns am Bekenntnis der Politik, dass die Landwirtschaft gebraucht wird."

Hier läuft es rund: Frohe Botschaften gibt es vor allem aus den Winzerbetrieben zu verkünden, die ihre Weine selbst vermarkten, sagt Kees. Er schätzt, dass sie 30 bis 35 Prozent der hiesigen Moselwinzer stellen. Auch werde in der Region immer mehr Moselwein getrunken. Problematisch hingegen sei die Lage für die Fassweinwinzer, die im vorigen Jahr nur geringe Preise erzielen konnten.
Insgesamt ist das durchschnittliche Einkommen der Landwirte leicht angestiegen. Dass seine Berufsgruppe gerne mal als Nörgler dasteht, will Zelder natürlich nicht auf sich sitzen lassen und erklärt: "Wir jammern nicht, sondern schimpfen."Extra

 Stefanie Sakwerda: „Landwirte sind sehr flexibel und reagieren schnell auf neue Entwicklungen.“TV-Foto: Ursula Quickert

Stefanie Sakwerda: „Landwirte sind sehr flexibel und reagieren schnell auf neue Entwicklungen.“TV-Foto: Ursula Quickert

11 815 217 Euro haben Land, Bund und EU 2011 nach Auskunft der Kreisverwaltung an die landwirtschaftlichen Betriebe im Kreis gezahlt. Zu diesen Agrarfördermitteln zählen Betriebsprämien, Milchprogramme, Eiweißpflanzenprämien, die Ausgleichszulage in den benachteiligten Gebieten, das Förderprogramm umweltschonende Landbewirtschaftung, das Programm Agrar-Umwelt-Landschaft, die Weinbaumarktordnung und der Zuschuss zur Hagelversicherung. Das Wort Subventionen nehmen Sakwerda und Zelder nicht gerne in den Mund. Vielmehr sei das Geld eine Entlohnung dafür, dass Landwirte und Winzer die Landschaft in Ordnung halten und Tier- und Pflanzenschutz betreiben. Zelder: "Außerdem bräuchten wir die Unterstützung nicht, wenn wir ordentliche Preise bekommen würden." uq

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