"Wir dürfen nicht wegschauen": Trainer Lorenz Müller ist überzeugt, dass man Zivilcourage lernen kann

Wittlich · Man weiß nie, was passiert, wenn man sich einmischt und schützend vor Schwächere stellt. Das hat der tragische Fall der in Offenbach getöteten Studentin Tugce A. gezeigt, die durch ihre Zivilcourage zum Opfer einer Gewalttat wurde. Trainer Lorenz Müller spricht im TV-Interview über Zivilcourage - wie man sie lernt und wo ihre Grenzen liegen.

 Lorenz Müller. TV-Foto: Christian Moeris

Lorenz Müller. TV-Foto: Christian Moeris

Mehr als 20 Jugendliche und Erwachsene wird Lorenz Müller am Dienstag, 27. Januar, in Wittlich zum Thema Zivilcourage schulen. Der diplomierte Pädagoge arbeitet in der Fachstelle für Kinder und Jugend des Bistums Trier in Wittlich mit Jugendlichen. Er bildet Jugendgruppenleiter der Vereine und kirchlichen Verbände aus. Dabei geht es auch um die Sensibilisierung bei Konflikten und das speziell im Zivilcourage-Training, das Müller seit 2008 anbietet.

Im Interview mit Volksfreund-Reporter Christian Moeris erklärt Müller, ob man Zivilcourage lernen kann und wo ihre Grenzen liegen.

Herr Müller, die Studentin Tugce A. stellte sich am 15. November 2014 vor einem Schnellrestaurant in Offenbach schützend vor zwei Mädchen. Sie wurde dabei selbst Opfer einer Gewalttat und bezahlte ihre Zivilcourage mit dem Leben. Hätte die damals 22-Jährige in dieser Situation eventuell anders gehandelt, wenn sie zuvor ihr Zivilcourage-Training besucht hätte?
Lorenz Müller: Wenn es brutal wird, sollte man sich möglichst nicht selbst einmischen, sondern die Polizei rufen und Öffentlichkeit herstellen, indem man andere Leute darauf aufmerksam macht. Denn oft reicht es schon, wenn der Täter gestört wird. Denn bei Zivilcourage geht es nicht darum, den Helden zu spielen. Unser wichtigstes Signal beim Zivilcourage-Training ist daher, sich selbst nicht zu überschätzen. Wir ermutigen niemanden, sich in Gefahr zu bringen.

In der Theorie ist das leicht gesagt. Haben Sie selbst auch praktische Erfahrungen mit Zivilcourage?
Müller: Ich bin mal abends mit dem Zug von Trier nach Föhren gefahren. Im Abteil pöbelten zwei Rechtsradikale einen Farbigen an und schubsten ihn. Ich habe ihnen gesagt, dass sie das sein lassen sollen, habe das Handy rausgeholt und die Polizei gerufen, was geholfen hat. Der Farbige stieg in Trier-Ehrang aus, ich bin mit den Skins im Zug weitergefahren und hatte bis Föhren ein ziemlich mulmiges Gefühl.

Aber kann man Zivilcourage lernen?
Müller: Das geht, indem man sensibel wird und sich mit sich selbst beschäftigt. Was habe ich für Verhaltensmuster? Bin ich ängstlich? Wie reagiere ich in Konflikten? Wo sind meine Grenzen?

Was erlebe ich als Teilnehmer ihres Zivilcourage-Trainings?
Müller: Wir üben mit Rollenspielen und gehen eher von Alltagssituationen aus: Die Mutter sitzt mit ihrem behinderten Kind in der Eisdiele, und Jugendliche äffen es nach. Da sollte man sich zeigen und nicht weggucken. Im Rollenspiel können Teilnehmer, die das ansonsten nicht in ihrem Repertoire haben, sich selbst als Handelnde erleben. In dieser geschützten Trainingssituation können auch ängstliche Menschen mal laut werden. Wenn sich dann jemand im Rollenspiel getraut hat, zu intervenieren, kann das ermutigen, auch im Alltag Gesicht zu zeigen. Man hat es dann einfach abgespeichert.

Sie arbeiten im Training hauptsächlich mit Jugendlichen. Haben diese in Bezug auf Zivilcourage denn ein Defizit gegenüber Erwachsenen?
Müller: Nein. Zivilcourage ist ein Gesellschaftsthema. Ich wage sogar die These, dass Jugendliche noch eher hinschauen, weil sie sensibler und spontaner als Erwachsene sind. Man kann das jedoch nicht verallgemeinern. Wichtig ist jedoch immer die Frage: Was geben Erwachsene für ein Vorbild ab?

Haben Sie dazu ein Beispiel?
Müller: Ein Kind wird im Supermarkt an der Kasse von seiner Mutter geschlagen. Schauen sie in so einer Situation mal hin, wo die meisten Erwachsenen dann hinblicken: Sie gucken weg - aus Angst, Eigenschutz, Feigheit oder gar Ignoranz. Die Skala variiert da sehr. Jugendliche würden da noch eher intervenieren. Aber die Dinge gehen alle etwas an. Wir dürfen nicht wegschauen. Kinder und Jugendliche müssen lernen, zu etwas zu stehen.

Wenn gute Vorbilder fehlen: Wie lehrreich kann da ein Zivilcourage-Training sein?
Müller: Das ist schwer messbar. Aber es gibt Lerneffekte. Man merkt, dass die Teilnehmer selbstbewusster werden. Die Beschäftigung mit dem Thema hat immer Auswirkungen. Am anderen Tag werden die Teilnehmer Dinge eher wahrnehmen, weil sich ihr Blick geweitet hat.

Das Zivilcourage-Training für Jugendleiter und Jugendliche ab 16 Jahren von Lorenz Müller startet am 27. Januar in den Räumen der Fachstelle Jugend in Wittlich-Bombogen. Die Veranstaltung ist kostenlos und dauert von 18.30 bis 21.30 Uhr. Anmeldung: Telefon 06571/95491413, oder per E-Mail:
lorenzmueller@email.deExtra

Am Donnerstag, 4. Dezember, hat Innenminister Roger Lewentz in Mainz drei Jugendliche aus Bernkastel-Kues, Monzelfeld und Morbach mit dem Zivilcourage Preis 2014 ausgezeichnet. Die drei Jungen stoppten im August 2014 den Angriff eines jungen Mannes gegenüber einer Frau, als dieser ihr mehrmals mit dem Fuß ins Gesicht trat. cmo

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