Sehen und erkennen

Die Allianz ist alt und eng. Seit Jahrhunderten steht die Kunst im Dienst der christlichen Lehre. Auch der Deutsche Katholikentag in Saarbrücken wird von Künstlern mitgestaltet. Braucht Kirche Kunst?

"Ich kann mir einen Kirchenraum und auch eine Liturgie ohne Kunst nicht vorstellen", sagt Bischof Reinhard Marx und meint damit die künstlerischen Aktionen in ihrer ganzen Vielfalt: die Musik, die kunstvollen Texte und natürlich auch die Bilder und Statuen und nicht zuletzt den Kirchenbau selbst. "Man spürt, hier geht eine Dimension in das gottesdienstliche Miteinander ein, die über den Menschen hinausweist." Und darum gehe es schließlich, sagt der Bischof. "Kunst im Gottesdienst und im Kirchenraum muss helfen, den Menschen in das Geheimnis Gottes hineinzuführen."Auch andernorts hat sich die keineswegs immer konfliktfreie Partnerschaft von Kunst und Kirche bewährt. Als Mittlerin und Dolmetscherin leistet die Kunst wertvolle Hilfe, wenn es darum geht, nahe am Menschen und seiner zwiespältigen Wirklichkeit zu sein, bestätigt der Theologe. "Auch die Zerrissenheit des modernen Menschen in der Frage: Was ist der Mensch, wer ist Gott, muss künstlerisch zum Ausdruck kommen", betont Bischof Marx. Dabei dürfe sich der Dialog mit der Kunst keinesfalls auf ausdrücklich christliche Kunst beschränken. Für das geistliche Oberhaupt des Bistums Trier ist es seit jeher selbstverständlich, die kirchlichen Ausstellungsorte und Museen auch den Zweiflern, den anders oder nicht gläubigen Künstlern zu öffnen. "Was ist der Mensch, was bedeutet der Tod, was ist das Gute, welches sind die Mächte des Bösen. All diese Fragen, die gerade die moderne Kunst thematisiert, interessieren uns genauso", betont Marx. Natürlich gehörten die Frage nach der Sexualität und der Liebe genauso in diesen künstlerischen Themenkatalog wie die Darstellung des verletzten und beschädigten Lebens. Die freilich komme fast einer christlich motivierten kunstgeschichtlichen Revolution gleich: "Mit dem Kreuz geht ein Bruch durch die Kunst. Die Ästhetik des Kreuzes hat etwas Neues in die Kunst gebracht, indem sie einen Gott darstellt, der am Galgen hängt."

Provokation im Kirchenraum - etwa einen nackten Christus am Kreuz - mag der Bischof nicht dulden. "Man sollte religiöse Gefühle nicht einfach missachten. Ich denke auch nicht, dass das zu einer produktiven Auseinandersetzung führt, eher zum Gegenteil. Und dafür ist der Kirchenraum nicht der richtige Ort." Zeitgeistlicher Aktionismus hat vielerorts auch die Kirchen erfasst, die mit möglichst attraktiven Angeboten ihre Gemeindeglieder halten wollen. Was Wunder, dass in beiden Kirchen der Ruf nach mehr Spiritualität immer lauter wird.

Die abstrakte Kunst mit ihren meditativen Bildern, ihrem "Prinzip des Geistigen" scheint besonders geeignet, solche Spiritualität zu fördern. Könnte Sie vielleicht sogar die neue Bildsprache der christlichen Kunst werden? "Kritik an einer zu flachen Gegenständlichkeit gibt es durchaus", bestätigt der Bischof. "Aber wir haben natürlich auch ein Bild Gottes, das ist der Mensch und das ist Jesus von Nazareth." Entscheidungsbedarf, ob gegenständliche oder abstrakte Kunst besteht für ihn auch künftig nicht. Nicht um Stile und Ausdrucksmittel gehe es, sondern um die Frage nach authentischer, aus innerem Drang geschaffene Kunst. Die Befürchtung mancher katholischen Theologen, dass abstrakte christliche Kunst zu Missverständnissen und Glaubensbeliebigkeit führen könne, teilt der Bischof nicht.

Die Kirche als Ort der Zwiesprache mit Gott und Schauplatz seiner Herrlichkeit - angesichts schwindender Mittel kommen die wertvollen künstlerischen Zeugnisse und Geräte dafür immer öfter ins Gerede. Kann man sie überhaupt noch verantworten in Zeiten von Armut und Verelendung? Kosten-Nutzenrechnungen dieser Art hält Marx für zu kurz gedacht. Nicht alles sei verrechenbar. Und außerdem: "Meine Erfahrung zeigt, dass Gemeinden, die auch im künstlerischen Bereich Qualität fordern, auch bereit sind, für die sozialen und karikativen Aktivitäten etwas zu tun." Selbstdarstellung nach dem Motto "Wir können uns den prächtigsten Altar leisten", lehnt der Bischof allerdings entschieden ab.

Was er auch ablehnt, sind willfährige künstlerische Erfüllungsgehilfen. "Der gläubigste Christ ist nicht unbedingt der beste Künstler. Der Künstler muss offen sein für die Botschaft, aber er muss nicht im devoten Sinn ein Auftragskünstler sein." Unerlässlich ist hingegen Dialogbereitschaft und die gleichermaßen im Umgang mit den kirchlichen Auftraggebern wie mit den Gläubigen, an die sich das Kunstwerk richtet. Dass dabei Streit geradezu programmiert ist, hält Bischof Marx eher für Bewusstseinsbildend und heilsam. Wie zu seinen Kunstdenkmälern wird das Bistum auch künftig zu seinem Diözesanmuseum stehen - als Ort des Gedächtnisses und als Ort der Menschenbildung und Selbstfindung. "Ich glaube, dass große Kunstwerke dem Menschen den Horizont weiten und ihn anregen, auch über sich selbst nachzudenken und sich zu erkennen", sagt der Bischof. In Zeiten extremer Bilderfluten sei das manchmal schwierig. "Wir müssen helfen, dass Menschen wieder sehen lernen, dass sie wieder einen Blick für Qualität bekommen. Kunst will ja eine Botschaft sein und kein Design nach dem Motto: "Ich kauf mir eine schöne Madonna, die passt gut zu meinen Möbeln."

Sehen lernen sei auch für angehende Priester wichtig. "Ich sage immer den Mitbrüdern, dass sie gerade in unseren alten Kirchen Sinn haben müssen für Kunst und Kunstgeschichte." Einen bevorzugten Stil hat Bischof Marx nicht. Gerade hat er in Berlin die Ausstellung "Melancholie" be sucht. Dabei ist er erneut zum Caspar-David-Friedrich-Fan ge worden. "Die Bilder haben mich unmittelbar ange sprochen. Das ist nicht nur Romantik. Das ist der mo derne auch religiöse Mensch in seiner Ein samkeit, seiner Sehnsucht, seiner Un- gewissheit." Und im Übrigen steht für ihn fest: "Das enge Ver- hältnis zwischen Kirche und Kunst wird so bleiben, bis zum Ende aller Tage."

Eva-Maria Reuther

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