"So viel erhalten wie möglich"

Hier oben auf dem Gerüst sieht die Welt ganz anders aus. Gemütlich ist es unter den Kappen des gotischen Gewölbes, ganz dicht an den Spitzbögen. Zum Greifen nah ist der Schlussstein mit dem eleganten Engel.

Zwei steinerne Bischöfe, denen die Zeit arg zugesetzt hat, strecken ihre Köpfe über die Holzbohlen, so wie Kinder, die es gerade mal schaffen, auf den Tisch zu gucken. Durch die Rose im Maßwerk der Fenster sehen die Touristen mit ihren Kameras im Innenhof wie Figuren im Theater aus. Seit Mai wird im Kreuzgang des Trierer Doms restauriert.

Dass die kostspielige Maßnahme angegangen werden konnte, verdankt Trier einem Geldsegen aus dem erstmals vom Bund aufgelegten Investitionsprogramm für die Unesco-Welterbestätten. Neben den römischen Monumenten gehört dazu in Trier auch die Doppelkirchenanlage von Dom und Liebfrauenkirche. Rund 1,2 Millionen Euro steuerte der Bund an Mitteln bei, 133 600 Euro die Stadt. Erst einmal wird der am stärksten angegriffene Südflügel restauriert. Der Nordflügel gegenüber soll als Nächstes folgen, gemeinsam mit der Sanierung der Domsingschule.

Vorsichtig gehen die Restauratoren ans Werk. So behutsam wie möglich sollen die Eingriffe vorgenommen werden. "Uns geht es darum, so viel historische Substanz wie möglich zu erhalten und wirklich nur dort Maßnahmen zu ergreifen, wo die Bausubstanz bedroht ist", erklärt Barbara Dentler, die Chefin der Bischöflichen Denkmalpflege.

Substanz ist besonders im Arkadenbau des Südflügels in Gefahr, wo Risse und Verwitterungsschäden den Verfall beschleunigen und das Gleichgewicht des Baus gefährden. Der hat jahrhundertelange Stürme aller Art hinter sich, wofür der schneidende Wind, der durch die Arkaden des Südflügels weht, Symbol wie Beleg ist. Aus dem 13. Jahrhundert stammt der gotische Kreuzgang, der die Bischofskirche und Liebfrauen verbindet und den Zugang zur Sakristei ermöglicht. Zudem hatte die eindrucksvolle Anlage die Aufgabe, die Räume des Domkapitels und das Bischofshaus zu erschließen. Erstmals wird in Trier das gemeinschaftliche Leben eines Domkapitels übrigens im zehnten Jahrhundert in der Geschichtsschreibung erwähnt. Rund 300 Jahre später wurde der heutige Kreuzgang wohl auf den Resten einer romanischen Anlage gebaut, von der kaum noch etwas zu sehen ist.

Auf Sponsoren und Zuschüsse war man schon damals angewiesen. In einer Urkunde von 1258 erlaubt Papst Alexander IV. seinen "geliebten (Trierer) Söhnen", fünf Jahre lang Geld für die Vollendung ihres Kreuzgangs zu sammeln. Dem Bauwerk hat der Sammeleifer genutzt. Französische Gotik und ihre Baumeister stellen sich im Domkreuzgang dar, ein weiteres bauliches Beispiel für Frankreich in Trier. Französische Gotik - allerdings mit angezogener Handbremse - bemängelte in der Vergangenheit so mancher Kunsthistoriker angesichts der Rundbögen der Arkaden des Südflügels. So ganz wollte man sich wohl doch nicht von der Romanik trennen. Aus heutiger Sicht haben solche Brüche und Unregelmäßigkeiten durchaus ihren Reiz.

Überhaupt ist der Trierer Kreuzgang mit seinem Innenhof, der dem Domkapitel heute als Friedhof dient, ein Ort von geradezu malerischer Schönheit. Wie auf ein Gemälde gibt das Rechteck den Blick auf den Dom und Liebfrauen frei. Was draußen in der Vorderansicht wie ein riesiges Bollwerk Gottes wirkt, scheint hier in der Abgeschiedenheit des friedlichen Gevierts, in der Staffelung der Massen und dem Wechsel aus Glas und Stein leicht und sogar anmutig. Und auch der Innenhof selbst mit seinen regelmäßigen schlichten Gräbern ist ein wohltuender Ort weltabgeschiedener Ruhe. Nur die barocken Vasen, die nach einem Domumbau hier aufgestellt wurden, vermitteln Prachtentfaltung.

"Ein wirklich schöner Ort", bestätigt auch Bernd Dobrzynski. Der Bildhauer und Restaurator hat bereits in St. Matthias und St. Maximin gearbeitet. Die Arbeit im "extrem windigen" Domkreuzgang bedeutet für ihn eine weitere spannende Herausforderung. "Wir haben uns jedes Mal neu zu fragen: Wie weit gehen wir beim Restaurieren, wo müssen wir erneuern oder den bestehenden Zustand belassen, um ein schlüssiges Erscheinungsbild zu behalten." Oberstes Gebot sei die Sicherung des Baus.

Unbedingt ersetzt werden müssen Teile der tragenden Rippen des gotischen Kreuzgewölbes. Sind sie schadhaft, kann das Gewölbe einstürzen. Sorgfältig vermessen und ausgebessert werden zudem die zahlreichen Setzungsrisse. Restauriert wird auch der seltene Schlussstein mit Figurenschmuck. Vorausgegangen ist der Restaurierung eine umfangreiche Bauforschung mit Bestandsaufnahme. Dabei wurden gegenüber im Nordflügel mittelalterliche Farbreste entdeckt. Zwei wertvolle Epitaphe (Grabmale) wurden überdies gesichert.

Im Winter soll die Arbeit am ersten Restaurierungsabschnitt abgeschlossen sein. Im nächsten Jahr soll es im Nordflügel und in der bereits entkernten Domsingschule weitergehen, so dass 2012 bei der Heilig-Rock-Wallfahrt die Restaurierung abgeschlossen ist. "Wir hoffen natürlich auf weitere Zuschüsse", erklärt Barbara Dentler.

Hinunter vom Gerüst und durch das Tor hinaus ins Freie. Draußen am Gebäude der Domsingschule wird gegraben. Römische Münzen und ein paar Scherben haben die Archäologen schon gefunden, dazu etliche mittelalterliche Schreibgriffel.

Eva-Maria Reuther

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