Nahles unter Druck Die SPD will nach dem Hessen-Debakel Streitthemen klären

Berlin · Wie schon bei der Bayern-Wahl wird im Willy-Brandt-Haus auch diesmal auf eine offizielle Blumenzeremonie vor laufenden Kameras verzichtet. Andrea Nahles und Thorsten Schäfer-Gümbel kommen schnörkellos zur Sache.

 Sie steht  immer mehr im  Fokus der Kritik: SPD-Chefin  Andrea Nahles.

Sie steht immer mehr im Fokus der Kritik: SPD-Chefin Andrea Nahles.

Foto: AP/Markus Schreiber

Der SPD-Spitzenkandidat bei der Hessen-Wahl spricht von einer tiefen „Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise“ seiner Partei. Und die Bundesvorsitzende gesteht ein: „Es ist uns nicht gelungen, uns ausreichend freizuschwimmen in der Regierung“.

Auf nur noch 19,8 Prozent sind die Genossen am Sonntag in ihrer einstigen Hochburg Hessen gekommen. Ein Rekordtief. Allein 100 000 Stimmen haben die Sozialdemokraten dabei an die Grünen verloren. Für die wurden ebenfalls 19,8 Prozent gemessen. Ein Rekordhoch. Und in absoluten Stimmen haben die Grünen sogar 94 mehr als die SPD. Das schmerzt die Genossen sichtlich. Steht Nahles jetzt selbst zur Disposition? Ihre Antwort fällt auffällig vorsichtig aus: „Eine personelle Neuaufstellung ist nicht in Rede in der SPD“.

Von wegen. Schon kurz darauf verbreiten gestern ein paar SPD-Linke eine Erklärung, in der unmissverständlich ein Rücktritt der Parteispitze samt einer neuen Debatte über den Ausstieg aus der großen Koalition gefordert wird. „Jetzt oder nie. Es ist 12 Uhr.“ Mit den Beschwichtigungen müsse Schluss sein. Jetzt gehe es um das „nackte Überleben der Sozialdemokratie“, heißt es im Text, der unter anderen von dem Bundestagsabgeordneten Marco Bülow und der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange unterzeichnet ist. Bei der letzten Wahl zum Parteivorsitz im April hatte Lange noch gegen Nahles kandidiert und dabei fast 28 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Wirkliche Promi-Namen wie etwa der von Juso-Chef Kevin Kühnert, ebenfalls ein erklärter Groko-Gegner, sind allerdings nicht dabei. Kühnert nimmt es lieber mit Galgenhumor: „Jetzt ist es nicht mehr 5 vor 12, sondern erst mal 5 vor 11“, spottet er mit Blick auf die Zeitumstellung am Wochenende.

In den Sitzungen der Spitzengremien ist der Austritt der SPD aus der Groko kein Thema gewesen, versichert Nahles den Medienvertretern im Anschluss an die Beratungen. Die Nachricht vom Rückzug der Bundeskanzlerin als Vorsitzende der CDU platzt mitten in die Sitzung. Man habe allerdings „genug eigene Hausaufgaben zu machen“, stellt Nahles hinterher klar. Das Präsidium legt dazu ein Positionspapier vor, das als „Aufschlag“ für eine innerparteiliche Diskussion gedacht ist. Darin werden beispielsweise Themen wie Europa, Hartz IV und das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Arbeitsplätzen aufgeworfen, die in der SPD umstritten sind. Hier müsse klarer werden, wofür die Partei stehe, erklärt die Vorsitzende Nahles.

Als Konsequenz aus dem Hessen-Debakel von Sonntag will die Parteichefin darüber hinaus intensive Gespräche mit der Union über einen verbindlichen Fahrplan führen, wie es mit der Arbeit von Schwarz-Rot weitergeht. Abgerechnet werden soll darüber „Ende 2019“. Allerdings ist im Koalitionsvertrag mit der Union ohnehin eine „Bestandsaufnahme“ zur „Mitte der Legislaturperiode“ vorgesehen. Und wichtige SPD-Themen wie etwa die Brückenteilzeit, das „Gute-Kita-Gesetz“ oder die Beitragsparität in der gesetzlichen Krankenversicherung sind praktisch schon abgehakt. Daher dürften die Parteilinken auch nicht so einfach zu besänftigen sein. Juso-Chef Kevin Kühnert fordert zumindest schon mal einen vorgezogenen SPD-Parteitag im kommenden Frühjahr, um dem Erneuerungsprozess der Partei Nachdruck zu verleihen. Es rumort weiter gehörig in der SPD.

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