Fußball Legenden vom Rhein – Als der 1. FC Köln vor 45 Jahren das Double gewinnt

Köln  · Vor 45 Jahren feiert der 1. FC Köln den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte: den Gewinn des Doubles aus Pokal und Meisterschaft. Wolfgang Weber und Bernd Cullmann sind damals mit dabei. Jetzt blicken sie zurück: Rührend amüsante Erinnerungen an eine unvergessliche Saison.

Die FC-Legenden Heinz Flohe und Hannes Löhr feiern das Double 1978. Flohe verstarb im Jahr 2013, Löhr im Februar 2016.

Die FC-Legenden Heinz Flohe und Hannes Löhr feiern das Double 1978. Flohe verstarb im Jahr 2013, Löhr im Februar 2016.

Foto: dpa

 Eigentlich hat Wolfgang Weber an jenem 29. April 1978 einen klaren Auftrag. Hennes Weisweiler, der Chef höchstpersönlich, hat ihn nach Wuppertal geschickt. Stadion am Zoo, 2. Bundesliga Nord. Auf dem Spielplan: Wuppertaler SV gegen Hannover 96. Weber erinnert sich: „Ich sollte mir dort ein paar Wuppertaler Spieler ansehen, schauen, ob die was für den 1. FC Köln sein könnten.“

Weber, die FC-Legende, fungiert in der Saison 1977/78 als Co-Trainer und Scout von Kölns Jahrhundert-Trainer Weisweiler. Die Folgen einer Herzmuskelentzündung haben den Vize-Weltmeister von 1966 und WM-Dritten von 1970 wenige Monate zuvor gezwungen, seine aktive Karriere zu beenden. Der Wuppertaler SV verliert die Partie gegen die 96er im Stadion am Zoo mit 2:3 – Wolfgang Weber allerdings kriegt davon nichts mit. Denn „Bulle“ Weber – wie ihn Weisweiler und die Teamkollegen rufen – setzt keinen Fuß ins Stadion, sitzt während der gesamten Partie in seinem Auto auf dem Parkplatz und hört Radio, ARD-Bundesligakonferenz.

Es geht nicht anders. Weber kommt nicht raus aus dem Wagen. Denn das, was der Mann aus Köln-Porz da mitanhören muss, ist unfassbar, an Dramatik nicht zu überbieten. „Ich bin auf dem Autositz von einer Ohnmacht in die nächste gefallen – das war der pure Wahnsinn“, erzählt Weber 40 Jahre später (der Text erschien erstmals im August 2018, Anm. d. Red.).

In der Fußball-Bundesliga läuft der letzte Spieltag. Webers Kölner – mit denen er in der Vorsaison als Spieler den DFB-Pokal geholt hat – reisen als Tabellenführer zu Absteiger FC St. Pauli. Verfolger Mönchengladbach liegt punktgleich auf Rang zwei und empfängt Borussia Dortmund, hat allerdings das um zehn Tore schlechtere Torverhältnis gegenüber dem FC. Lockeres Ding also für die Herren aus der Domstadt – von wegen! Als Jupp Heynckes in der 59. Minute das 7:0 für die Elf vom Niederrhein gegen den BVB erzielt, führt Köln in Hamburg nur mit 1:0. Weber stirbt in seinem Auto Tausend Tode. „Ich konnte das nicht fassen, hatte richtig Angst, dass wir die Meisterschaft noch aus der Hand geben“, gesteht der heute 74-Jährige. Doch in den folgenden Minuten beruhigt sich sein Puls.

Zwar gewinnt Mönchengladbach am Ende gar mit 12:0, doch Yasuhiko Okudera, Heinz Flohe und Bernd Cullmann sorgen mit ihren Toren dafür, dass Köln den FC St. Pauli mit 5:0 bezwingt und die zweite Bundesliga-Meisterschaft nach 1963/64 einfährt. Und nicht nur das: Die Jungs vom Rhein machen auch das erste und bisher einzige Double der Vereinsgeschichte perfekt. Denn zwei Wochen zuvor hatte die Weisweiler-Elf bereits den DFB-Pokal gegen Fortuna Düsseldorf (2:0) gewonnen. „Was für ein fantastischer Erfolg für den FC“, resümiert Weber rückblickend.

 Echte Legende: Bernd Cullmann spielte nicht nur für den „EffZeh“, sondern auch für das Nationalteam. Der Mann aus Köln-Porz wurde Weltmeister 1974 und Europameister 1980.

Echte Legende: Bernd Cullmann spielte nicht nur für den „EffZeh“, sondern auch für das Nationalteam. Der Mann aus Köln-Porz wurde Weltmeister 1974 und Europameister 1980.

Foto: dpa

Die Saison 1977/1978 – sie ist die erfolgreichste Spielzeit des 1. FC Köln bis heute. In der Geschichte der Bundesliga ist der Gewinn des Doubles neben Köln nur Bayern München, Borussia Dortmund und Werder Bremen gelungen.

Gut 40 Jahre danach, an einem Tag Anfang August, betont Bernd Cullmann: „Diese Saison damals, das sage ich ganz ehrlich, die war mein Karriere-Highlight.“ Der heute 68-Jährige hat knapp 350 Bundesligaspiele für den FC bestritten, ist mit Deutschland 1974 Welt- und 1980 Europameister geworden – doch: „Der Double-Gewinn, der war für mich bedeutender. Ich habe mehr dazu beigetragen, viele Spiele gemacht, auch das eine oder andere wichtige Tor geschossen.“

Auch bei jenem 5:0 des FC am letzten Spieltag gegen St. Pauli, das Wolfgang Weber vor dem Autoradio in Wuppertal verfolgt, erzielt „Culli“ – wie sie ihn am Geißbockheim bis heute rufen – einen Treffer. Es ist das zwischenzeitliche 4:0 im Volksparkstadion. Denn St. Pauli muss das Heimspiel in der riesigen Betonschüssel des Stadtrivalen Hamburger SV austragen und nicht wie gewohnt im engen und stimmungsvollen Stadion am Millerntor.

 Ein Kult-Trainer und einer seiner besten Stürmer: FC-Double-Coach Hennes Weisweiler und Dieter Müller.

Ein Kult-Trainer und einer seiner besten Stürmer: FC-Double-Coach Hennes Weisweiler und Dieter Müller.

Foto: dpa

Der Grund ist kurios: Der damalige FC-Präsident Karl-Heinz Thielen ordert im Vorfeld der Partie 15 000 Tickets für seinen FC. Die Folge: Das Millerntor Stadion, in das nur rund 20 000 Zuschauer passen, fällt als Austragungsort weg – St. Pauli muss ins große Volksparkstadion umziehen Der Heimvorteil ist dahin. Cullmann gesteht lachend: „Ich glaube nicht, dass wir am Millerntor so hoch gewonnen hätten.“

Bernd Cullmann und Wolfgang Weber: Acht Jahre lang liefen die beiden FC-Legenden gemeinsam in Rot und Weiß auf, prägten den Verein in dessen erfolgreichsten Jahren, feierten 1978 den Double-Gewinn – der eine als Spieler, der andere als Co-Trainer und Scout. „Culli“ und „Bulle“, sie sind bis heute eng befreundet, leben beide in Köln-Porz – „op der Schäl Sick“, wie Weber lachend betont.  Gemeinsam fahren sie zu fast jedem Heimspiel ins Rhein-Energie-Stadion – an jenen Ort, an dem sie vor 40 Jahren die Grundlagen für den  größten Erfolg der Vereinsgeschichte legten.

Es wäre möglich, die Geschehnisse jener Spielzeit 1977/78 kurz und knapp herunterzurattern. Hier gewonnen, da verloren, hier ‘ne Rote Karte, da ein Eigentor, am Ende großer Jubel. Wie gesagt, wäre möglich. Bernd Cullmann und Wolfgang Weber allerdings sind dafür die falschen Ansprechpartner. Was die beiden FC-Legenden zu berichten haben, ist weit mehr als bloße Erinnerungs-Wiedergabe. Im sympathisch-rheinischen Singsang sprudelt es förmlich aus ihnen heraus, sobald sie auf die Geschehnisse aus jener historischen Saison angesprochen werden.

Ein Name, nahezu omnipräsent in vielen Anekdoten: Hans „Hennes“ Weisweiler. Immensen Anteil habe „de Weisweiler“ – wie Cullmann und Weber ihn nennen – am Double-Gewinn des FC gehabt. „Er war ein großartiger Trainer, keine Frage“, betont Cullmann. „Er hat das Team enorm weiterentwickelt und die Spieler das Siegen gelehrt“, ergänzt Weber. „In taktischen Dingen war er ein Vorreiter. Wir haben unter ihm Spielzüge fest einstudiert. Vieles, was wir auf dem Platz zeigten, folgte einem festen Plan. Er war einer der ganz wenigen, der das so trainieren ließ zu dieser Zeit – so wie die herausgespielten Konopka-Flanken.“ Harald Konopka schlägt die Bälle scharf auf Dieter Müller rein, und der Stürmer vollendet per Kopf. „Auf diese Weise haben wir sehr viele Tore erzielt“, erinnert sich Weber.

Doch so genial „Don Hennes“ als Taktiker ist, so dickköpfig kann er im Umgang mit seinen Spielern  sein. Wie sich das anfühlt, bekommt auch Bernd Cullmann schon mal zu spüren. Ein Beispiel: In der Spielzeit 1976/77 setzt Weisweiler den Abwehrmann häufig auf die Bank. „Ihm hat es nicht gefallen, wie ich die Rolle des Liberos interpretierte“, erzählt der heute 68-Jährige. „Als das Publikum dann auch noch anfing,  im Stadion meine Einwechslung zu fordern, war das für mich eine Katastrophe. Denn je lauter die meinen Namen gerufen haben, desto klarer war mir: ‚Jetzt kommst du nie rein‘ – der Weisweiler konnte richtig stur sein.“

Inzwischen lautet die Realität am Rhein wieder 2. Bundesliga. Doch die Geißböcke wollen schnellstmöglich zurück ins Oberhaus.

Inzwischen lautet die Realität am Rhein wieder 2. Bundesliga. Doch die Geißböcke wollen schnellstmöglich zurück ins Oberhaus.

Foto: TV/Schramm, Johannes

Frustrierende Situation für den Weltmeister aus dem Jahr 1974, es riecht nach Trennung. Dann, kurz vor der Saison 1977/78, meldet sich BVB-Trainer Otto Rehhagel telefonisch bei „Culli“, will den gebürtigen Hunsrücker in den Ruhrpott lotsen. „Es passte alles. Rehhagel wollte mich, ich hätte in Porz wohnen bleiben und täglich nach Dortmund pendeln können.“

Doch aus dem Wechsel wird nichts: Als beide Clubs über die Ablösesumme verhandeln, erzielen sie keine Einigung. „Vor Saisonbeginn 1977/78 kam unser Präsident zu mir und sagte: ‚Culli, räumen Sie Ihren Spint wieder ein, Sie bleiben beim FC.‘“ Als Cullmann nun im August 2018 davon berichtet, fängt er herzlich an zu lachen. „Im Nachhinein muss man ja sagen: Was für ein Glück. Wäre ich gegangen, hätte ich nicht nur das Double verpasst, sondern mit dem BVB am letzten Spieltag auch noch diese bittere 0:12-Packung ausgerechnet gegen die Gladbacher kassiert.“ Doch Cullmann bleibt am Rhein, und Weisweiler setzt wieder auf ihn. Der Porzer entwickelt sich zu einer der Säulen des Double-Teams, spielt 27-mal und erzielt sechs wichtige Treffer in jener Saison. In der darauffolgenden Spielzeit macht „Don Hennes“ Cullmann gar zum Kapitän.

Wie es ist, mit Hennes Weisweiler aneinanderzugeraten, weiß auch Wolfgang Weber. Der Torschütze des 2:2-Ausgleichstreffers im WM-Finale 1966 erinnert sich heute amüsiert an einen Disput mit Hennes Weisweiler aus der Double-Saison. Als amtierender DFB-Pokalsieger startet der 1. FC Köln in der Spielzeit 77/78 im Europapokal der Pokalsieger. In der ersten Runde wartet ein echter Hammer: der FC Porto. Das Hinspiel in Müngersdorf endet 2:2. Vor dem Rückspiel in Portugal schickt Weisweiler seinen Scout Weber gen Süden, um den FC Porto in einem Liga-Duell zu beobachten. „Ich sollte herausfinden, wie die zu Hause auftreten“, erinnert sich der heute 74-Jährige. Gesagt, getan: Weber setzt sich in den Flieger, reist nach Portugal und sieht ein Duell, das Porto überlegen gewinnt. Zurück in Köln überreicht Scout Weber Boss Weisweiler ein Din-A4-Papier. Darauf fein säuberlich notiert: jede Menge Informationen über den kommenden Gegner. „Ich hatte unter anderem geschrieben, dass Porto den Gegner sehr früh im Spielaufbau attackiert, oft schon in der eigenen Hälfte“, erinnert sich Weber.

Wenige Tage später reist der FC dann zum Rückspiel. Genau wie Weber analysiert hat, stört Porto früh im Spielaufbau und gewinnt am Ende mit 1:0 – Köln ist raus. „Das war trotzdem nicht so schlecht“, findet Weber noch heute, „Porto war schon damals ein europäisches Spitzenteam, da kann man schon mal mit 0:1 verlieren“. Weisweiler allerdings ist da ganz anderer Meinung. Verlieren, das mag „Don Hennes“ überhaupt nicht. Daher gibt’s für Weber nach dem Spiel mal zügig was auf die Ohren. „Er kam zu mir und sagte: ‚Mensch Bulle, was haste denn da aufgeschrieben?‘“ Als Weber entgegnet, dass er Portos Spielweise doch exakt vorhergesagt und speziell auf das frühe Stören im Spielaufbau hingewiesen habe, platzt dem Boss der Kragen: „Quatsch Bulle“, habe Weisweiler gebrummt, „du hättest Forechecking schreiben müssen, F-O-R-E-C-H-E-C-K-I-N-G – das haben die gespielt. Dann hätte ich Bescheid gewusst.“ Heute kann Weber schallend darüber lachen. „Schon klar, was der für ein Problem hatte“, sagt er juchzend, „Forechecking und frühes Angreifen sind natürlich dasselbe – dem ging es nur darum, einen Schuldigen zu finden.“ Er habe Weisweilers Wutausbruch ganz entspannt an sich abprallen lassen und nichts erwidert. „Ich wusste ja, dass er sich auch wieder beruhigt.“

 FC-Größe Wolfgang Weber spielte in seiner Karriere 53-mal für die deutsche Nationalmannschaft. Im WM-Finale 1966 erzielte er das 2:2.

FC-Größe Wolfgang Weber spielte in seiner Karriere 53-mal für die deutsche Nationalmannschaft. Im WM-Finale 1966 erzielte er das 2:2.

Foto: dpa

Widerworte, sie sind bei Hennes Weisweiler ohnehin nicht gerne gesehen. „Er war sich seiner Autorität durchaus bewusst“, betont Bernd Cullmann. Geduzt, so erinnert sich Wolfgang Weber, habe den 1983 verstorbenen Meister-Trainer beim FC so gut wie niemand. „Auf keinen Fall, außer unserem Mannschaftsarzt Alfons Bonnekoh war er für alle aus der Mannschaft der ‚Herr Weisweiler‘ – auch für die Physios oder sonstigen Betreuer. Duzen, das war unmöglich!“

Unmöglich ist auch das, was „Herr Weisweiler“ zu Beginn der Double-Saison 1977/78 von der Seitenlinie aus mitansehen muss: 1:5 heißt es am ersten Spieltag für den FC bei Fortuna Düsseldorf. Die Folge: Platz 17. Danach allerdings geht’s schnell bergauf. Am dritten Spieltag gewinnt Köln zu Hause gegen Werder Bremen mit 7:2. Dieter Müller erzielt sechs Tore und schreibt Bundesliga-Geschichte. Am 13. Spieltag setzt sich der FC dann an die Tabellenspitze und verlässt diese bis zum Saison­ende nicht mehr.

Neben Müller, der sich 1977/78 durch 24 Tore die Torjägerkrone erballert, sorgt im Kölner Sturm ein Mann aus Belgien für Furore, sein Name: Roger van Gool. Als der Nationalspieler im Jahr zuvor vom FC Brügge an den Rhein wechselt, bebt die Bundesliga. Van Gool ist der erste Millionen-Einkauf in Deutschland. „Roger war ein grandioser Stürmer“, betont Wolfgang Weber voller Anerkennung. Kurios: Ohne „Bulle“ Weber wäre der Belgier wohl nie in der Domstadt gelandet. Denn während der Saison 1975/76 – auch da arbeitet Weber neben seiner aktiven Karriere schon als Scout für den FC – reist er mit dem damaligen Konditionstrainer Rolf Herings nach Rotterdam zum Länderspiel zwischen Holland und Belgien. Eigentlich wegen  René van de Kerkhof. Den Niederländer sollen sich die beiden mal näher ansehen.

Am Ende allerdings ist da jemand anderes, der der kleinen rheinischen Reisegruppe ins Auge fällt. Denn auch wenn das belgische Team um Eric Gerets von Cruyffs Niederländern mit 0:5 aus dem Stadion katapultiert wird, gibt’s einen Belgier, der aus der Stolper-Truppe herausragt: Roger van Gool.  „Er hat nie aufgegeben, auch als es schon 0:5 stand. Das mussten wir in Köln erzählen.“ Die Folge: Van Gool kommt, erzielt in 127 Pflichtspielen 42 Tore für den FC und hat wesentlichen Anteil am unvergessenen Double-Gewinn 1977/78.

Meisterschaft, Pokalsieg, Europapokal – 40 Jahre später herrscht Tristesse in Müngersdorf. Wieder mal abgestiegen, wieder mal 2. Liga, wieder mal Sandhausen, wieder mal Aue. Doch Bernd Cullmanns und Wolfgang Webers Liebe zum 1. FC Köln kann das nicht erschüttern. „Es ist halt so“, sagt Bernd Cullmann gelassen, „jetzt geht’s halt erst mal wieder um die Rückkehr in die Bundesliga“. Wolfgang Weber sieht das ähnlich. In seinen Worten klingt das so: „Wat willste mache? Da muss man durch – es kommen auch wieder bessere Zeiten.“ Er muss es wissen, er hat es selbst erlebt, damals in Wuppertal vor dem Stadion am Zoo.

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