Fußball Oh Fortuna - Ein Kölner Südstadtclub wird 70

Trier/Köln · Die großen Zeiten sind lange vorbei, doch Fortuna Köln belegt noch immer Platz 3 in der ewigen Tabelle der 2. Bundesliga. In wenigen Wochen wird der Kultclub aus der Südstadt 70 Jahre alt. Grund genug mal nachzuhören, wie es dem Verein heute so geht und was den Club in den vergangenen Jahrzehnten geprägt hat. Geschichten über den Boss, einen Gepard und einen großen Traum.

 „Ich als Verein musste handeln“ - mit diesen Worten entlässt Fortuna-Ikone Jean Löring (rechts) Ende der 90er Jahre Fortuna-Trainer Toni „Tünn“ Schumacher (links).

„Ich als Verein musste handeln“ - mit diesen Worten entlässt Fortuna-Ikone Jean Löring (rechts) Ende der 90er Jahre Fortuna-Trainer Toni „Tünn“ Schumacher (links).

Foto: picture-alliance / dpa/dpa

Den Satz, der diesen Club vielleicht am besten zusammenfasst, den spricht Helmut Bergfelder aus, als der Vormittag schon fast vorüber ist. Zwei Stunden lang hat er da schon erzählt, eine Anekdote nach der anderen zum Besten gegeben – „Verzällcher vun de Fortuna“, wie er es in seinem rheinischen Singsang nennt. Hat bei der Geschichte mit den 500 Mark und dem Besuch beim „Boss“ im Büro so heftig gelacht, dass die Kaffeekanne auf dem Tisch vor ihm zu wackeln begann. Hat bei der Story „vum Schäng“ und der Immobilien-Sanierung in Köln-Gremberg so zufrieden gegrinst, als wolle er dem „Boss“ in diesem Moment am liebsten noch mal persönlich dafür danken. Aber jetzt, als sich das Gespräch am Esstisch in seinem Haus im Trierer Süden dem Ende entgegenneigt, als der Kaffee getrunken und das letzte Fotoalbum durchgeblättert ist, da fällt dieser Satz: „Den Verein“, sagt Helmut Bergfelder, „den muss man einfach gernhaben.“

Im Trierer Fußball ist Bergfelder eine große Nummer, zwischen 1976 und 1981 hat er 138 Spiele für die Eintracht absolviert. Die Stadt an der Mosel hat es ihm angetan. Hier hat der Mann aus Erftstadt vor mehr als 40 Jahren seine neue Heimat gefunden, hier ist er durch seine langjährige Arbeit im Trierer Sportamt tief verwurzelt. Doch wenn er nach der spannendsten Zeit in seiner Karriere als Fußballprofi gefragt wird, dann überlegt er nicht, dann sagt er sofort: „Das waren die Jahre bei der Fortuna, doch, doch, ganz sicher.“

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Als Fortuna Köln vor gut 40 Jahren die bisher größte Saison der Vereinsgeschichte spielt, in der Spielzeit 1973/74 in der 1. Bundesliga mitkickt und so zum Besten zählt, was der deutsche Club-Fußball damals zu bieten hat, da ist der heute 71-Jährige mittendrin. Bergfelder läuft als Stammspieler auf, steht in jener Runde 32-mal auf dem Platz, erzielt drei Tore.

Insgesamt sechs Jahre ist er für den Club aus dem Stadtteil Zollstock aktiv. Erlebt während dieser Zeit Spieler, Trainer und Funktionäre hautnah, die nicht nur die Vereinsgeschichte der Kölner Fortuna bis heute prägen, sondern es – wie Trainerlegende Rudi Gutendorf oder Torwart-Urgestein Wolfgang Fahrian – aufgrund ihrer bewegten Laufbahnen in jeden deutschen Fußball-Almanach geschafft haben. Doch über allem – daran lässt Helmut Bergfelder keinen Zweifel – da steht „de Boss“, Fortuna-Präsident und Südstadt-Ikone Jean „Schäng“ Löring.

 Trainer Uwe Koschinat kämpft aktuell mit Fortuna Köln um den Aufstieg in die 2. Bundesliga.

Trainer Uwe Koschinat kämpft aktuell mit Fortuna Köln um den Aufstieg in die 2. Bundesliga.

Foto: Marek Fritzen

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Uwe Koschinat bestellt Bratkartoffeln mit zwei Spiegeleiern und Salatbouquet. Er sitzt im „Café Höninger“ in Köln-Zollstock, 500 Meter Luftlinie vom Kölner Südstadion entfernt. Es ist Spätherbst. Der Trainer von Fortuna Köln belegt mit seinem Team in der 3. Liga zu diesem Zeitpunkt Platz zwei, in wenigen Tagen empfängt der SC den Tabellendritten Magdeburg zum Spitzenspiel. Doch wer draußen vor dem Café an der Straßenbahnhaltestelle Herthastraße einen Blick auf die Express-Titelseite im knallroten Verkaufskasten wirft, der sieht: Kein Satz zur Fortuna, dafür gleich zwei Geschichten über den 1. FC Köln.

Nichts Neues für Koschinat, er sagt: „Der große FC, die kleine Fortuna: Ich habe gelernt, dass es eine Konstellation ist, gegen die man nicht ankämpfen kann – im Gegenteil, ich weiß die Vorteile mittlerweile zu schätzen.“ Für seine Spieler, so erzählt der gebürtige Koblenzer, bringe diese Konstellation viel Positives mit sich. „Wir können die Jungs ganz gut am Boden halten, denn meine Ansprachen sind so fast die einzigen, mit denen sie unter der Woche konfrontiert werden. Hätten wir denselben Erfolg in Aachen oder Essen - die Leute würden uns den ganzen Tag durch die Stadt tragen.“

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Die Entwicklung der Fortuna, so erzählt Helmut Bergfelder, die verfolge er immer noch sehr genau. „Ich würde dem Club von ganzem Herzen wünschen, dass er es über kurz oder lang mal wieder in die 2. Bundesliga schafft – wenn’s schon diese Saison klappt, wär’s natürlich großartig.“ Bergfelder sagt nicht „großartig“, er sagt „jroßartisch“. Gut 40 Jahre an der Mosel haben seinen rheinischen Akzent nicht verschwinden lassen. Seine Mutter kommt aus Köln-Gremberg, sein Vater aus Köln-Deutz – „vun der Schäl Sick“, wie er lachend hinzufügt. Aufgewachsen ist er in Erftstadt, gut 25 Kilometer von der Domstadt entfernt. Es ist auch der Akzent, der seine „Jeschichten vun de Fortuna“ so authentisch, so eindrücklich erscheinen lässt.

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Bergfelder kann Geschichten erzählen. Geschichten, die es heute so wohl nicht mehr gibt im Profi-Fußball. Geschichten, die vielleicht nur ein Club wie die Fortuna schreiben kann. Geschichten, die es einfach wert sind, erzählt zu werden – ganz besonders jetzt, in diesen für die Fortuna so außergewöhnlichen Monaten. In wenigen Wochen, am 21. Februar, feiert der SC seinen 70. Geburtstag. Da stelle man sich nur mal vor, die Herren aus dem Südstadion spielten in der Rückrunde weiterhin derart erfolgreich in der 3. Liga wie in der Vorrunde, in der sie sich mit einem neu formierten Team ohne Stars sensationell auf Platz sechs vorgespielt haben, nur drei Punkte hinter dem SV Wehen Wiesbaden auf Relegationsrang drei.

Während sich in der Domstadt in diesen Wochen alles auf den taumelnden Riesen 1. FC Köln stürzt, kämpft die Fortuna im Schatten des großen Bruders mit kleinem Etat und kleinem Kader um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Läuft beim FC weiterhin alles so schief und bei der Fortuna alles so rund, dann könnte es in der kommenden Saison tatsächlich mal wieder ein Kölner Stadtderby geben – so wie damals in der Bundesligasaison 1973/1974, als der FC die kleine Fortuna am 30. März 1974 mit 5:0 besiegte. Oder wie zuletzt in der Zweitliga-Spielzeit 1999/2000, als Fortuna den EffZeh im April 2000 überraschend mit 4:1 nach Hause schickte. Zu alledem hat Fortuna-Trainer Uwe Koschinat so seine ganz eigene Meinung.

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„Das war in der Bundesliga-Saison 1973/74“, beginnt Bergfelder zu erzählen. Gerade mal einen Punkt holt die Fortuna damals aus den ersten drei Saisonspielen. An Spieltag vier geht’s zu Rot-Weiss Essen an die Hafenstraße. „Wir hatten große Verletzungsprobleme“, erinnert er sich, „aber wir haben es tatsächlich geschafft, dort mit 2:0 zu gewinnen – wenn auch mit viel Glück“. 500 Mark, so hatte es Club-Boss Jean „Schäng“ Löring den Spielern vor Saisonbeginn versprochen, soll’s als Prämie für jeden Sieg geben. Doch als Bergfelder und seine Teamkollegen am Monatsende erwartungsfroh in der Kabine sitzen, der Prokurist vom „Boss“ – wie Spieler und Trainer Mäzen Löring nennen – die Umschläge mit dem Gehalt überreicht, stellen die Spieler mit Entsetzen fest: Die 500 Mark vom Essen-Spiel, sie fehlen. Der „Prokurist vum Boss“ gibt sich ahnungslos, verlässt die Kabine – kehrt jedoch schon wenig später zurück. „Er sagte: ,Sofort zum Boss, alle’. Da gab es dann auch nichts zu diskutieren. In Trainingsklamotten tanzten wir alle in Schängs Büro in Bayenthal an“, erzählt Helmut Bergfelder.

Zwei Stunden lang lässt Löring seine Gäste im Besucherraum warten, dann ruft er einen nach dem anderen in sein Büro. Irgendwann steht auch Helmut „Bego“ Bergfelder vor dem Schreibtisch des Präsidenten: „,Wat is’ loss Jung, wo is’ dat Problem?’ – fragte er mich, als ich reinkam“, erinnert sich der Wahl-Trierer. „Der wusste natürlich ganz genau, um was es ging. Aber er wollte uns ein bisschen provozieren.“ Kleinlaut erklärt Bergfelder dem „Boss“, dass das Team die fehlende Siegprämie aus dem Essen-Spiel vermisse. Daraufhin Löring: „Häs du dinge Vertrach nit jeläs, Jung? Do stäht: L-E-I-S-T-U-N-G-S-P-R-Ä-M-I-E! Ich hann in Essen kein Leistung jesinn, dat wor Jlück! Auf Wiedersehen.“ Genauso sei es aber auch vorgekommen, dass Löring nach Siegen freudestrahlend in den Mannschaftsbus gestiefelt sei, und jedem 1000 Mark zugesteckt habe. „Heute undenkbar, aber so war de Schäng“, sagt Bergfelder lachend.

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Der im Jahr 2005 verstorbene Club-Chef Jean Löring steht in jenen Jahren über allem beim SC, hat in jeder Angelegenheit seine Finger im Spiel, auch im Arbeitsbereich der Trainer. „Schäng hatte eine Vision“, sagt Bergfelder mit einem Lächeln im Gesicht, „er wollte nicht nur der Präsident sein, sondern am besten auch noch der Trainer – er wollte alles machen in seinem Verein“. Der Unternehmer führt sein „Vereinchen“ aus der Bezirksliga in die 1. Bundesliga.

Die Fortuna, das ist sein Ein und Alles. Sieht er sie in Gefahr, muss er handeln. So wie im Jahr 1999. Da entlässt Löring in der Halbzeitpause des Zweitliga-Heimspiels gegen Waldhof Mannheim mal eben Trainer Toni „de Tünn“ Schumacher. Seine Abschiedsworte in Richtung des ehemaligen Nationaltorwarts: „Hau app in de Eifel. Du määs minge Verein kapott. Du häss he nix mie zu sare.“ Nach dem Spiel erklärt er öffentlich: „Ich als Verein musste handeln.“

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Uwe Koschinat und Fortuna Köln – das ist nichts für eine Saison. Der 46-Jährige arbeitet im siebten Jahr für den Kultclub, der heute noch immer Platz drei in der ewigen Zweitliga-Tabelle belegt. Nach dem finanziellen Kollaps des Vereins in der Spielzeit 2004/05, dem Absturz in die Verbandsliga Mittelrhein und der Rettung durch den späteren Vorsitzenden Klaus Ulonska, übernahm Koschinat die Fortuna zur Saison 2011/12 in der Regionalliga. Seitdem stabilisierte der frühere Co-Trainer von Milan Sasic und U19-Trainer der TuS Koblenz den SC und führte ihn in der Saison 2013/14 zurück in die 3. Liga.

Gemeinsam mit Geschäftsführer und Investor Michael W. Schwetje – einem Internet-Unternehmer – lenkt Koschinat heute die Geschicke des Clubs. „Natürlich würden wir irgendwann gerne den Sprung in Liga 2 wagen. Aber nur unter der Prämisse, dass wir eine schwarze Null erwirtschaften. Im Moment arbeiten wir noch leicht defizitär. Wir werden für den Aufstieg nicht draufzahlen“, betonte Geschäftsführer Schwetje kürzlich in einem Interview mit dem Express.

Michael W. Schwetje und er, so erzählt Uwe Koschinat, während er im Café Höninger mit dem Messer die letzten Bratkartoffeln auf seine Gabel schiebt, befänden sich seit sieben Jahren intensiv im Austausch, das passe sehr gut. „Das Besondere ist bei uns, dass es keine anderen Gremien gibt, die Einfluss auf die Kaderzusammenstellung haben und mir sagen, was ich zu tun habe.“

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Damals, Mitte der 70er, gibt’s nur einen Boss – Jean Löring. Eine Tatsache, von der die Vereinsangestellten durchaus auch profitieren, wie Helmut Bergfelder zu berichten weiß. Das Elternhaus seiner Mutter in Köln-Gremberg ist Mitte der 70er Jahre stark sanierungsbedürftig, „es war sehr verwohnt“, erinnert sich der 71-Jährige. Da kommt Löring ins Spiel: Als der SC-Präsident davon erfährt, verspricht er Bergfelder, die Sanierung zu übernehmen, hält dies sogar in dessen Spielervertrag fest. Kurz darauf schickt der „Boss“ Mitarbeiter aus seinem Firmen-Imperium und lässt das Haus nach Bergfelders Wünschen umbauen – für umme. „Ja, auch das war Schäng. Er stand immer zu seinem Wort, war sehr korrekt und hat viel für uns Spieler getan.“

Lörings Schlösschen in der Eifel zum Beispiel – auf dem er sich auch einen Gepard hält, den er auf Wunsch der Nachbarn später an den Kölner Zoo abgeben muss – steht den Spielern damals für Familien-Kurzurlaube zur Verfügung. „Oder die Weihnachtsfeiern“, sagt Bergfelder und fasst sich mit der rechten Hand an die Stirn, „da hat er die Spielerfrauen gefragt, wen sie auf der Bühne haben wollen. Wenn die den Carpendale wollten, hat er den Carpendale geholt. Wenn die den Jürgens wollten, kam der Jürgens – das war Wahnsinn.“ Kopfschütteln, kurze Pause, dann fügt er an: „Oh Fortuna, was für eine tolle Zeit! Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt.“

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40 Jahre später fühlt sich auch Uwe Koschinat sehr wohl bei der Fortuna, lebt mit seiner Familie „total gerne“ in der Südstadt. Er sagt: „Wenn ich hier morgens Brötchen holen gehe, erkennt mich keine Sau – das ist echt was Tolles.“ Der SC habe viele Zuschauer, die den Club als Zweitverein betrachteten. „Die sagen: ,Ich gehe gern’ zum FC, weil das ein Event ist. Aber ich gehe auch sehr gerne zur Fortuna, weil ich da puren Fußball erlebe und drum8herum einfach nichts ist außer Bratwurst und Kölsch – die Atmosphäre, wie man sie in den 80er und 90ern erlebt hat.’" Genau danach sehnten sich viele Fans, ist sich der Trainer sicher. „In dieser Nische wird die Fortuna positiv wahrgenommen.“

Wie das wohl wäre, wenn es in der kommenden Saison, dem Jubiläumsjahr des SC, tatsächlich zum kölschen Derby in Liga zwei käme? Koschinat hält inne, holt tief Luft. „Ich kann es mir immer noch nicht so richtig vorstellen, weil eine Stadt wie Köln einen Erstligisten braucht – und das muss einfach der 1. FC Köln sein, weil er im Herzen aller ist.“ Daher schiebe er den Gedanken an ein Duell mit dem FC sehr weit weg von sich und versuche sich darauf zu konzentrieren, den Aufstieg zu schaffen. „Denn mehr habe ich eh nicht in der Hand.“

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