Auf einen Döner mit Cemal und Celal Bayindir: Wittlicher Brüder trauen der Türkei bei der Fußball-EM einiges zu

Wittlich · Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt: Fußball in der Türkei lebt von Extremen. Die Brüder Cemal und Celal Bayindir aus Wittlich sehen die Nationalelf derzeit auf einer Euphoriewelle reiten. Das mache Mut mit Blick auf die EM - ein Beitrag zu unserer neuen Serie rund um die kommende Fußball-Europameisterschaft in Frankreich.

Auf einen Döner mit Cemal und Celal Bayindir: Wittlicher Brüder trauen der Türkei bei der Fußball-EM einiges zu
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Wo sie geboren sind, ist der Waldrapp eine ganz große Nummer. In der am Euphrat gelegenen Stadt Birecik im Südosten der Türkei hielt sich lange Zeit die letzte im östlichen Mittelmeerraum bekannte Population dieses Schreitvogels. Weil er in der biblischen Geschichte der Arche Noah eine wichtige Rolle spielt, wurde der Waldrapp in und rund um Birecik als heiliges Tier geschützt. Mit jährlichen Festen wurde ihm außerdem gehuldigt.

"Während der Waldrapp jedes Jahr vom Euphrat zum Nil und zurückgezogen ist, sind wir von dort nach Wittlich gekommen", scherzt Cemal Bayindir. Das war 1979. Er war damals drei Jahre alt, sein Bruder Celal Bayindir fünf. Ihr Vater arbeitete bei Ideal Standard, über das Anwerbeabkommen mit der Türkei war er nach Deutschland gekommen. Celal machte nach der Schule eine Ausbildung zum Schlosser, Cemal wurde Schreiner.

Seit 18 Jahren widmet sich die Familie - die Bayindirs sind fünf Geschwister - zu großen Teilen einem eigenen Betrieb, dem Sultan Kepab Haus in der Wittlicher Friedrichstraße. Ein kleiner Laden, dessen Wandschmuck orientalisches Flair verbreitet. Sobald irgendwo Fußball übertragen wird, flimmert das runde Leder über den Fernsehbildschirm an der Wand. Türkischer Fußball. Deutscher Fußball. "Wir fiebern mit. Cemal ist Fan von Fenerbahce, ich von Galatasaray Istanbul", sagt Celal Bayindir. Die zwei großen Clubs sind in großer Feindschaft verbunden. Überhaupt: Fußball in der Türkei, das ist Leidenschaft, das ist Emotion pur. Doch es zeigt sich auch die hässliche Fratze des Sports. Gewalt, Manipulation, Korruption - damit hat der türkische Vereinsfußball ebenfalls zu kämpfen.

"Für mich ist beim Fußball das Erlebnis wichtiger als das Ergebnis", sagt Cemal Bayindir, der früher für Türkgücü Wittlich gespielt hat und heute als Schiedsrichter in der Kreisliga pfeift. Wobei er natürlich hofft, dass die türkische Nationalmannschaft bei der EM dank guter Resultate weit kommt. Dank eines Tors in der 89. Minute zum 1:0-Erfolg gegen Island hat sich die Türkei auf den letzten Drücker als bester Gruppendritter der Qualifikation für die EM qualifiziert. Erstmals seit 2008, als das Team bis ins Halbfinale vorstieß, ist die von Fatih Termin trainierte Auswahl wieder bei einer Endrunde dabei. Cemal Bayindir: "Die Mannschaft ist sehr erfolgshungrig und motiviert. Ich lasse mich überraschen, was sie zu leisten imstande ist."

Jeder Sieg, so glaubt er, werde die Moral im Land stärken. Die Gemütslage sei angesichts der Kämpfe im Kurdengebiet und der Flüchtlingsproblematik nicht gut. "Fußball kann hier als Ablenkung wirken."

Im Weg stehen könnte der Türkei jedoch die Ungeduld bei Fans und im Umfeld. "Wenn du heute ein Held bist, kannst du morgen schon ganz unten sein", sagt Celal Bayindir, der dennoch guter Dinge ist, dass die Nationalelf die Vorrunde mit den Gegnern Spanien, Tschechien und Kroatien überstehen kann: "Tschechien haben wir in der Qualifikation einmal geschlagen. Und der Kapitän im Team, Arda Turan, weiß als Spieler des FC Barcelona, wie die Spanier ticken."

In ihrem Kebap-Haus pflegen die Bayindirs den interkulturellen Austausch. Zur EM wird ihr Laden zu einem kleinen Fußball-Studio. "Wir schmücken den Gastraum mit Flaggen - draußen hängen wir zudem die türkische und die deutsche Fahne auf. Ein Finale Deutschland gegen die Türkei - das wär's. Cemal Bayindir: "Dann hätten wir doppelten Grund zur Freude."Extra

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Foto: Wolfgang Runge (g_sport

Am 10. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich. Der TV stellt im Vorfeld die 24 Teilnehmernationen vor. Dazu treffen wir uns mit Landsleuten, die in der Region Trier verwurzelt sind. Bei einem landestypischen Essen oder Getränk plaudern wir über Land und Leute - und Fußball. Zum Auftakt geht's heute um die Türkei - mit Cemal und Celal Bayindir.

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