Ein Treffer, der keiner war

Trier · Früher war Angela Oakeshott Fan des AFC Bournemouth. Heute geht die Britin lieber in die Oper. Sie erinnert sich aber noch gut an die Spiele, die sie gesehen hat - auch an das umstrittene WM-Endspiel im Wembley-Stadion.

Ein Treffer, der keiner war
Foto: (g_sport

Trier. Genau 50 Jahre ist es her, dass Angela Oakeshott zum letzten Mal ein Spiel des englischen Nationalteams gesehen hat. Und es war ausgerechnet das WM-Finale von 1966 gegen Deutschland - jenes historische Match bei dem es zum sogenannten Wembley-Tor kam und die Mannschaft von der Insel den größten Erfolg in ihrer bisherigen Fußballgeschichte feiern durfte.

Ein Blick zurück: Nach dem Abpfiff steht es 2:2 im Londoner Wembley-Stadion. Das Spiel geht in die Verlängerung. In der 101. Minute schafft es der britische Stürmer Geoff Hurst am deutschen Torwart Hans Tilkowski vorbei und schießt aus kurzer Distanz aufs Tor.

Der Ball trifft die Latte und prallt zu Boden, bevor der deutsche Spieler Wolfgang Weber ihn übers Tor wegköpft. Ob das Leder die Torlinie überquert hat, ist mit bloßem Augenmaß kaum einzuschätzen. Die Schiedsrichter beraten sich und entscheiden schließlich: Der Ball war drin! Damit geht England in Führung und kurz darauf folgt das nächste Tor. Deutschland verliert, England wird Weltmeister. Erst 2006 klärt die Auswertung eines 35-mm-Filmbandes, dass der Ball die Linie nicht überschritten hat und der entscheidende Treffer keiner war.

Für Oakeshott ist das heute nicht mehr wichtig. Der Fußball spielt längst keine Rolle mehr in ihrem Leben. Auch die EM wird vorübergehen, ohne dass sie sich ein Spiel ansieht. Damals aber habe sie schon mitgefiebert und die "Three Lions" vor dem Fernseher angefeuert, sagt sie. Als junge Frau habe sie sich mit dem Team über den bislang einzigen Titel gefreut, den es mit auf die Insel genommen hat. Zu dieser Zeit lebte Oakeshott noch in der südenglischen Küstenstadt Bournemouth - der Heimat des Fußballclubs AFC Bournemouth. "Ich war ein Fan", sagt sie. Doch das ist lange her.
Dass die Mannschaft in dieser Saison den Aufstieg in die Premier League geschafft hat, hat sie nicht mehr mitbekommen. Heute geht sie lieber in die Oper als ins Fußballstadion, hört lieber klassische Musik als Fangesänge. Und anders als vor 50 Jahren würde sie heute eher den Deutschen den Titel gönnen als ihren Landsleuten - fühlt sie sich hier inzwischen doch viel eher zu Hause als in ihrer alten Heimat.

Seit 1968 wohnt sie schon in der Bundesrepublik - hat kurz Station in Berlin und Tübingen gemacht, bevor sie eine Stelle an der Universität Trier bekam und sich hier niederließ. Bis zu ihrem Ruhestand arbeitete sie dort als Fachlehrerin, hielt Kurse über englische Sprache und Kultur. Hier an der Mosel gefalle es ihr immer noch gut. Nur "manchmal", sagt sie, fühle sie sich in der kleinen Stadt "beengt". Dann muss sie raus. Meistens reicht es, nach Saarbrücken zu fahren, manchmal muss es aber auch London sein, ihre Geburtsstadt. Einmal im Jahr, sagt sie, schlendere sie durch die Museen und Galerien der Metropole. "Das ist immer wie eine Frischzellenkur!" Wenn Oakeshott über die Stadt an der Themse redet, gerät sie ins Schwärmen - sogar über die englische Küche, die weltweit einen eher fragwürdigen Ruf hat.

Britische Restaurants gibt es darum nur wenige jenseits der Insel. Immerhin ein Trierer Restaurant serviert das inoffizielle Nationalgericht des Vereinigten Königreichs: Fish & Chips, frittierten Kabeljau mit Pommes. "Schön fettig und in Zeitung eingepackt - so muss das aussehen", sagt Oakeshott. Und so sieht es dann auch aus auf dem Teller. An das Londoner Original kommt es dann aber doch nicht ganz heran, sagt Oakeshott, während der Regen gegen das Fenster prasselt. Wenigstens das Wetter ist heute ganz wie zu Hause.England
Bisherige EM-Teilnahmen: 1968, 1980, 1988, 1992, 1996, 2000, 2004, 2012 Größte Erfolge: Weltmeister: 1966 EM-Dritter 1968, EM-Halbfinale 1996 Trainer: Roy Hodgson Stars: Wayne Rooney, Harry Kane, Jamie Vardy Bilanz gegen Deutschland: 12 Siege - 6 Unentschieden - 16 NiederlagenExtra

Ein Treffer, der keiner war
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Am 10. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich . Der TV stellt im Vorfeld die 24 Teilnehmernationen vor. Dazu treffen wir uns mit Landsleuten, die in der Region Trier verwurzelt sind. Bei einem landestypischen Essen oder Getränk plaudern wir über Land und Leute - und Fußball. Heute geht's um England - mit Angela Oakeshott. Alle bisher erschienenen Serienteile gibt's hier in unserem Dossier online

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