Neidischer Blick auf die Rasen-Künstler

Dillendorf · Auf dem Weg zurück zu einer Sportgroßmacht hat Russland mit vielen Problemen und (Doping-)Auswüchsen zu kämpfen. Mit Blick auf die Fußball-Europameisterschaft ist Igor Domaschenko skeptisch. Dem Handball-Tausendsassa vom Hunsrück fehlt ein durchdachtes Jugendkonzept.

Neidischer Blick auf die Rasen-Künstler
Foto: (g_sport

Gut 17 Millionen Quadratkilometer, elf Zeitzonen, viele Klimazonen. Russland ist ein Riesenland. Wie riesig, hat Igor Domaschenko schon selbst erlebt. Er stammt aus Krasnodar, einem der wichtigsten Zentren in Südrussland mit fast schon mediterranem Flair. 1560 Kilometer Luftlinie entfernt liegt Samara. Dort hat der heute 58-Jährige zwischenzeitlich gelebt - und kalte sowie lange Winter erlebt. "Dort lag von Oktober bis Mai Schnee", erinnert er sich.

Russland - ein Staat der Gegensätze und Widersprüchlichkeiten. Und keine Fußball-Nation - jedenfalls aus Sicht von Domaschenko.

"Klimatisch ist es alles andere als einfach, überall auf Rasen zu spielen. Fußball in Russland - das ist für mich künstlich", sagt der Sportlehrer an der Realschule plus Sohren-Büchenbeu ren, der als Handball-Profi 1989 nach Göppingen gekommen war. Eishockey - das passe zu Russland. Und auch Handball, Domaschenkos großer Lebensinhalt. 16 Jahre lang - die meiste Zeit in der ersten Liga - spielte er für Krasnodar.

Im Ausland war er nicht nur für Göppingen, sondern auch für Komló in Ungarn und Viking Stavanger in Norwegen aktiv. Inzwischen ist Domaschenko mit seiner Familie in Dillendorf (Rhein-Hunsrück-Kreis) sesshaft geworden. Aktuell trainiert er drei Handball-Teams der SG Gösenroth/Laufersweiler (erste Herren, bei denen auch Sohn Anton spielt), die B-Jugend und die C-Jugend).

Als Trainer war der ehemalige russische Nationalspieler auch bei der HSG Irme nach, der HSG Wittlich und den Trierer Miezen aktiv.

Ein Tag ohne Handball ist für Domaschenko ein verlorener Tag. Auch deshalb steht er dem Fußball reserviert gegenüber. "In Russland ist Fußball mehr ein Geschäft als Sport. In den Fußball wird viel Geld gesteckt, in den Handball leider nicht. Ja, deshalb bin ich auch ein bisschen sauer", gibt Domaschenko zu. Für ihn stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht. "Als ich Trainer in Samara war, haben die Fußballer des dortigen Clubs zehn Mal mehr verdient als ein sportlich erfolgreicherer Handball-Nationalspieler meines Teams.

Domaschenko, der acht Semester an der Sportakademie Krasnodar studiert hat, vermisst im russischen Fußball ein ausgeklügeltes, auf Nachhaltigkeit angelegtes Nachwuchskonzept. Er bestreitet nicht, dass sich viele Russen für Fußball interessieren. Die WM 2018 werde auch positive Effekte haben - zum Beispiel für die Infrastruktur in den Städten oder den Tourismus. "An einen längerfristigen sportlichen Schub für den Fußball glaube ich aber nicht. Dafür sind die Strukturen zu schwach."

So überlegt Domaschenko noch, ob er sich die EM-Spiele der Russen im Fernsehen anschauen wird. "Bei großen Fußball-Turnieren oder in der Champions League schaue ich mir Spiele auf gutem Niveau schon gerne an." Domaschenko zweifelt aber noch daran, ob die russische Nationalmannschaft diesen Ansprüchen in den Vorrundenpartien gegen Wales, die Slowakei und England gerecht werden kann.Extra

Am 10. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich . Der TV stellt im Vorfeld die 24 Teilnehmernationen vor. Dazu treffen wir uns mit Landsleuten, die in der Region Trier verwurzelt sind. Bei einem landestypischen Essen oder Getränk plaudern wir über Land und Leute - und Fußball. Heute geht's um Russland - mit Igor Domaschenko. Alle bisher erschienenen Serienteile gibt's hier in unserem Dossier online

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