Nicht zu fassen, dieser Robert!

Paris · Robert Lewandowski - vor dem zweiten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Polen heute Abend (21 Uhr/ZDF) dreht sich vieles um den Top-Stürmer der Polen. Hinter dem Mann aus Warschau steckt eine interessante Geschichte.

Paris. Als Fußball-Deutschland im Jahr 2006 noch ungläubig die Nachwirkungen des Sommermärchens feierte, da machte in Polen ein schmächtiges Kerlchen die ersten Schritte im Profisport. Dem großen Club Legia Warschau war Robert Lewandowski viel zu klein. Er wurde zu Zuicz Pruszkow in die dritte Liga abgeschoben. Zehn Jahre später ist das schmächtige Kerlchen ein ziemlich eindrucksvoller Kerl geworden. Der Mittelstürmer Lewandowski ist mit 27 Jahren ein Weltstar. Er ist längst über die engen Grenzen des polnischen Liga-Fußballs hinausgewachsen, Clubs wie Legia sind inzwischen unter seiner Würde. Heute führt er in Paris als Kapitän die Nationalmannschaft ins zweite EM-Gruppenspiel gegen Deutschland (21 Uhr).
Manchmal scheppert es


Seine Gegenspieler wissen, was sie erwartet. Der deutsche Innenverteidiger Jérôme Boateng spielt mit Lewandowski bei Bayern München in einer Mannschaft. Er kennt also die Qualitäten des Stürmers, der in der zurückliegenden Bundesliga-Saison mit 30 Treffern Torschützenkönig wurde und der Liga eine Quote bescherte, die seit den Müllers (Gerd und Dieter) in den seligen Siebzigern niemand mehr erreicht hatte.
Boatengs Einschätzung ist trotzdem nicht sonderlich originell. "Er ist ein Topstürmer", sagt der Bayern-Verteidiger. Und er weiß, dass Begegnungen mit Lewandowski schmerzhaft sein können - selbst im Training. "Fußball ist ein Kontaktsport", erklärt Boateng, "da kann es auch im Training mal scheppern". Heute Abend im Stade de France ist das erst recht nicht ausgeschlossen. "Aber nach dem Spiel ist es dann auch vorbei", versichert er mit dem gutmütigsten aller Gesichtsausdrücke. Er könnte sofort danach einschlafen.
Das wird sich am Abend ändern. Denn auf dem Platz gehört der Bayern-Verteidiger zwar zur ausgesprochen gelassenen Fraktion, aber er lässt sich sein Revier natürlich nicht streitig machen. Es gibt ein paar Bilder aus der Geschichte von Boateng und Lewandowski, da stehen sie sich als Münchner und Dortmunder wie dampfende Schlachtrösser Nase an Nase gegenüber, wofür sich Boateng ein wenig herunterbeugen muss. "Das gibt es im Sport schon mal", urteilt der Abwehrmann - wieder ganz gutmütig.
Borussia Dortmund gehörte zum großen Karriereplan, den Lewandowskis Manager Cesary Kucharski (44) geschrieben hat. Der war selbst mal ein ganz manierlicher Fußballer, und er kam als Profi schön herum. Er spielte in Polen Griechenland und der Schweiz. Und er erkennt ein Talent, wenn er es sieht - das hatte er den Fachleuten bei Legia voraus. Bevor andere die Augen auch nur aufbekamen, hatte der Agent Lewandowski vom Markt genommen. Und er entwarf am Schreibtisch eine Weltkarriere.
Lewandowski tat das Seine, schoss Tore und legte tüchtig an Muskulatur zu. Kucharski brachte ihn in einem ersten Schritt zu Lech Posen. Doch das sollte nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Bundesliga werden. Der Wechsel nach Dortmund ging mit einer deutlichen Steigerung des Einkommens einher - natürlich auch des Einkommens von Kucharski, der wie jeder Agent bei Abschlüssen um die zehn Prozent kassiert. Aus reiner Nächstenliebe macht er den Job schließlich nicht.
Da ist sein Spieler nicht anders. Das sollte die Dortmunder Fußballfirmen-Spitze ebenfalls erfahren. Es gehört zu Lewandowskis Geschäftsmodell, Verträge kühl zu erfüllen und rechtzeitig ebenso kühl den Absprung zur nächsten Karrierestufe zu machen. Kucharski verhandelte schon mit den Bayern, als sie gegen den BVB im Champions-League-Finale standen. Dortmund bestand allerdings auf Vertragserfüllung. Auch in München rühmen sie seine Berufsauffassung, seine Zuverlässigkeit und seine außerordentlichen Fähigkeiten auf dem Platz. Er selbst ist da bedeutend kritischer. "Wenn ich Messi und Ronaldo sehe, dann erkenne ich, was mir in der Ausbildung gefehlt hat", sagt er. Eine richtige Fußball-Ausbildung, wie sie heute für 98 Prozent aller Talente selbstverständlich ist, hat er nicht erhalten. Der schmale Junge fiel bei der Sichtung durch. Heute profitiert er von seinem eigenen Weg. Als Kind hat er Judo betrieben, und von seiner Frau Anna, einer ehemaligen Weltklasse-Karatekämpferin, hat er Stabilitäts-Übungen gelernt, die ihm im harten Alltag in den Strafräumen Vorteile verschaffen.
Den Menschen Lewandowski rühmen sie weder in Dortmund noch in München. Engere Bindungen an die Kollegen wehrt Lewandowski ab. Er ist lieber für sich. "Er war sehr introvertiert", sagt seine Mutter in Lewandowskis Biografie über den heranwachsenden Robert. Das hat sich nicht geändert.

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