Die 10 000 Erben des "Schäng"

Vom Ich zum Wir: Der Traditionsverein Fortuna Köln hat eine eindrucksvolle Wandlung hinter sich. Jahrzehntelang hatte beim Club der Mäzen Jean Löring das Sagen. Jetzt entscheiden über 10 000 "Co-Trainer" im Internet über Spielerprämien, Bierpreise oder Neuverpflichtungen.

Köln. Irgendwann kann Jean Löring ihn nicht mehr ertragen, diesen trüben, kalten Mittwochabend im Dezember 1999, diesen Überdruss: Sein Verein, Fortuna Köln, liegt im heimischen Südstadion mit 0:2 gegen Mannheim hinten. Der Präsident hat es eilig. Hin zu Trainer Toni Schumacher. Und weg mit ihm. "Hau ab in die Eifel", schleudert Löring dem früheren Weltklasse-Torhüter entgegen. Es ist ein origineller Zeitpunkt für eine Beurlaubung: die Halbzeitpause. "Ich als Verein musste handeln", wird der Patriarch argumentieren.

Es hilft alles nichts. Ein halbes Jahr später wird die Fortuna aus ihrem Fußball-Eden vertrieben sein. Das Ende des Establishments, nach 26 Jahren in der zweiten Liga. Als Löring, der große Mäzen und Erfolgsbringer der Südstädter, im März 2005 einem Krebsleiden erlag, schien auch sein Verein irdisch am Ende: Zwei Monate vorher hatte der Club den Spielbetrieb in der Oberliga eingestellt. Kein Geld. Keine Zukunft. Keine Chance ohne "de Schäng". Oder?

Zurück ins Heute. Es ist nicht alles anders in der Rückrunde der Saison 2008/09. Fortuna Köln spielt an diesem März-Abend gegen Wattenscheid 09. Der Erste gegen den Neunten der ewigen Zweitliga-Tabelle, werden Nostalgiker notieren. Für Pragmatiker ist es das Duell zweier Mittelmaß-Teams in der fünftklassigen NRW-Liga.

Mit treuen, engagierten, lauten Fans im Südstadion. Es sind nur rund 700 da, weniger als erhofft. Aber beim Schumacher-Rauswurf waren es damals auch nicht mehr. Die Erinnerungen an Löring überdauern: Auf Transparenten am Zaun ("In Memoriam"), auf Aufklebern im Klo ("Schäng Gäng - Im Auftrag des Herrn"), in den Köpfen und Herzen. Aber ein "Fortuna - c'est moi", frei nach dem Sonnenkönig Ludwig XIV., gibt es nicht mehr.

In der Halbzeitpause geht der Fortuna-Vorsitzende Klaus Ulonska nicht fluchend zum Trainer, sondern freundlich zu den Fans auf den Stehplätzen - mitsamt "Spenden-Ball": "Wer will noch mal, wer hat noch nicht?" Nach dem Spiel wird der drahtige Mittsechziger im Vereinsheim ins Schwärmen geraten: "Kennen Sie einen Oberligisten, der über 10 000 Mitglieder hat?"

Das ist der himmelweite Unterschied zwischen damals und heute: Fortuna Köln hat sich gewandelt, von der liebevollen Diktatur in der Löring-Ära zum 1. FC Basisdemokratie, sozusagen. Über 10 000 Manager entscheiden seit diesem Jahr mit. Darüber, wieviel das Kölsch im Stadion kosten soll (Sie wählten die günstigste Alternative). Sie entschieden, dass die Stehplatzränge wieder öffnen. Auch bei der Höhe der Spielerprämien für die nächste Saison hatten die Manager ihre Stimme. Wie das geht? Es liegt an der Zusammenarbeit mit dem Projekt "deinfussballclub.de" (DFC), das den Mitgliedern ein Mitspracherecht einräumt. Schirmherr ist Regisseur Sönke Wortmann. "Wir haben dabei zwei Ziele", sagt DFC-Pressesprecher Burkhard Mathiak. "Zum einen wollen wir beweisen, dass Fans in der Lage sind, einen Fußballverein wirtschaftlich und sportlich zu managen. Zum anderen wollen wir den Verein möglichst schnell in den bezahlten Fußball bringen." Dabei soll auch Jens Nowotny helfen. Der frühere Nationalspieler arbeitet als Sportlicher Berater für die Fortuna. Die Kölner sollen von Nowotnys Kontakten profitieren. Er soll ein Türöffner sein, soll auch die Mitglieder bei Entscheidungen beraten. Denn bisher läuft vieles nur auf dem virtuellen Spielfeld. An den Abstimmungen beteiligen sich zwar laut Mathiak bis zu 2000 Manager. Nur ein Bruchteil der DFC-Mitglieder zieht es aber regelmäßig ins Stadion. "Das liegt auch daran, dass nur 30 Prozent der Leute aus Köln kommen", sagt Mathiak.

Diejenigen, die sich das Spiel gegen Wattenscheid anschauen, werden zumindest belohnt. Eine Viertelstunde vor Schluss steht es 1:1. Dann kommt Stürmer Kevin Kruth rein, schießt drei Tore, lässt sich feiern. Am Ende steht es 5:1. "Das ist der Wahnsinn hier", sagt Kruth gleich nach Spielende. Die Fans, die Begeisterung, die Mitbestimmung. "Wo gibt es so etwas sonst noch in der Oberliga?" Während die Fans schon Text und Melodie für die Zukunftsmusik kennen: Irgendwann werden sie nach Mailand fahren, um Fortuna Köln zu sehen. Diese Vorstellung hätte auch Jean Löring gefallen. Ganz bestimmt.

HINTERGRUND

Fortuna Köln: Die erste Fußball-Mannschaft ist seit 2009 aus dem Verein ausgegliedert. Es wurde eine Spielbetriebsgesellschaft mit deinfussballclub.de (DFC GmbH) gebildet. Das spülte wohl rund 300 000 Euro in die Fortuna-Kasse. Im Gegenzug werden die DFC-Mitglieder (aktuell: 10 413) in fast jede Vereins-Entscheidung einbezogen. Bei der Mannschaftsaufstellung hat aber Trainer Matthias Mink das letzte Wort. Erfolge: Nur einmal gab es im DFB-Pokal-Finale ein Stadt-Duell: 1983 unterlag die Fortuna unglücklich dem 1. FC Köln. 1973/74 spielte die Fortuna in der Bundesliga. Nach dem Abstieg 1974 hielt sich der Club bis 2000 in der zweiten Liga.

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