"Ich bin ein Visionär"

Dreimal war er Welt-Schiedsrichter des Jahres, wurde in 20 Jahren Bundesliga zu einem Markenzeichen der deutschen Fußballer-Eliteklasse und erwarb sich einen Ruf als tadel- und (fast) fehlloser Referee. Am 17. Mai diesen Jahres, beim 4:1 der Münchener Bayern gegen Hertha BSC Berlin, pfiff Dr. Markus Merk sein letztes Bundesliga-Spiel.



Otterbach. (jüb) Mit TV-Mitarbeiter Jürgen C. Braun sprach Merk gut ein halbes Jahr später zu Hause in Otterbach über persönliche Herausforderungen, seine neue Rolle als Deutschlands gefragtester Unternehmens-Referent sowie über ethische und moralische Wertvorstellungen.

Nach der Altersregelung hätten Sie noch ein Jahr Bundesliga pfeifen dürfen. Sie haben ihre Karriere in diesem Jahr dennoch beendet. Warum?

Merk: Den Zeitpunkt meines Abschieds wollte ich selbst bestimmen. Ich wollte nicht, dass es heißt, der Merk ist auf Abschiedstour, der nimmt das sowieso nicht mehr ernst. Ich hätte noch zehn Jahre weiter gepfiffen und es noch zehn Jahre ernst genommen. Nach meinem ersten Bundesligaspiel 1988 habe ich gesagt: Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugabe. Es sind 20 Jahre Bundesliga und 15 Jahre international geworden. Ich bin dreimal Welt-Schiedsrichter geworden. Tolle Zugaben.

Jahrelang sind Sie zwischen Bundesliga, Champions League, Welt- und Europameisterschaften hin und her gependelt. Sind Sie denn jetzt öfter zu Hause?

Merk: Weniger als früher. Aber ich bestimme meinen Terminkalender jetzt selbst. Für das nächste halbe Jahr bin ich völlig ausgebucht.

2005 haben Sie Ihre Zahnarztpraxis verkauft, sind mittlerweile zu Deutschlands gefragtestem Referenten geworden. Wie bezeichnen Sie Ihre neue Tätigkeit?

Merk: Ich habe selbst keine Bezeichnung dafür. Das "Handelsblatt" formulierte es einmal so: "Ich verkaufe die Marke Merk." Ich spreche über Konflikt- und Entscheidungsmanagement, begleite Firmen bei Entscheidungsprozessen. Die Säle sind ausgebucht.

Was vermitteln Sie nach 20 Jahren Schiedsrichter-Tätigkeit auf höchstem Niveau den Zuhörern in Ihren Seminaren?

Merk: Vor allen Dingen, dass das Leben keine Wissenschaft ist. Es besteht aus vielen Doppelpässen. Schiedsrichter ist jeder von uns in seinem eigenen Leben. Ein Fußballspiel korrekt zu leiten, ist nichts anderes als Projektmanagement. Wer im Fußball keine Entscheidung treffen kann, der kann auch im Leben für sich selbst keine treffen.

Sie haben 20 Jahre in einem "gläsernen Kasten" gelebt. Wie schwierig ist es, in diesem Umfeld zu kommunizieren und dennoch Abstand zu bewahren?

Merk: Kommunikation, aber keine Diskussion, ist auf dem Platz unabdingbar. Meine Souveränität habe ich mir auch erst in vielen Jahren erarbeiten müssen. Ich habe früh gemerkt, dass ich das Potenzial habe, ad hoc Entscheidungen zu treffen. Die große Kunst der Schiedsrichterei ist es, Spannungsfelder zu vermeiden.

Wie schwer ist es, in diesem Umfeld Freunde zu finden?

Merk: Die Distanz zur Glitzerwelt des Fußballs habe ich mir immer bewahrt, nie die Bodenhaftung verloren. Heute bin ich besonders stolz darauf, mit Leuten aus einer Generation wie Horst Eckel oder Ottmar Walter befreundet zu sein. Zu Fritz Walter hatte ich ein besonderes Verhältnis.

Sie mussten immer strittige Entscheidungen treffen, die von Millionen diskutiert wurden. Aber sie klettern auch auf die höchsten Berge oder laufen in einer Woche 450 Kilometer auf Skiern. Sind Sie ein Mensch, der das Extreme braucht?

Merk: Nein. Ich kann mich wunderbar in mich selbst zurückziehen, liebe die Natur. Ich bin nicht süchtig nach Adrenalinstößen. Ich habe viel positive Energie konserviert, die ich in ganz besondere Projekte stecken möchte.

Zum Beispiel?

Merk: Im Moment arbeite ich an einem Projekt, das sich "8tung Bildung" nennt. Das wollen wir bundesweit vorwiegend in Grundschulen installieren. Ich bin ein Visionär. Ich möchte meine positive Energie in Dinge stecken, die ich selbst beeinflussen kann. Ich brauche keine Funktion, um etwas zu bewegen.

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