Warum Mats Hummels ihm das Herz bricht

Er hat mit einem halben Dutzend aktueller Fußball-Nationalspieler gearbeitet: Der langjährige Chef der Bayern-Nachwuchsabteilung, Werner Kern (66), im Gespräch mit TV-Redakteur Andreas Feichtner über Riesen-Talente, am Boden zerstörte Väter, den liebgewonnenen Ruhestand und zwei sehr schöne Jahre in Trier.

Herr Kern, Sie waren bis zum Sommer 14 Jahre lang Leiter des Nachwuchs-Zentrums beim FC Bayern München. Wer war denn im Rückblick der beste Spieler, mit dem Sie je gearbeitet haben?
Werner Kern: Der Beste? Machen wir es so, ich sage Ihnen die Namen und Sie nennen mir den Besten - es spielen ja allein sechs Spieler aus der Bayern-Jugend in der Nationalmannschaft.
Schießen Sie los!
Kern: Philipp Lahm, Holger Badstuber, Bastian Schweinsteiger. Thomas Müller, Toni Kroos, Mats Hummels aus der deutschen Nationalmannschaft. Und David Alaba - das wird auch noch ein super Spieler.
Ich kann mich nicht entscheiden. Was macht denn den Unterschied zwischen einem ewigen Talent und einem Star aus?
Kern: Die Spieler, die ich genannt habe, besitzen natürlich das nötige Können - aber das haben auch einige mehr. Entscheidend ist die Mentalität, die Persönlichkeitsentwicklung. Man muss beim Übergang von der Jugend in den Erwachsenbereich einen Schritt machen, und den haben sie alle gemacht. Sie können sich alle im Haifischbecken Profifußball sehr gut behaupten.
Bekommt man ein Händchen dafür, wer es von den 15-, 16-jährigen Talenten ganz nach oben packt?
Kern: Man muss etwas Glück haben. Die Anlagen kann man sehen, aber die sind keine Garantie für eine Profikarriere. Es gab auch Spieler, von denen wir viel erwartet hatten, die es nicht gepackt haben. Die Nationalspieler von heute haben sich alle weiterentwickelt. Philipp Lahm ist jetzt natürlich eine ganz andere Person als mit 19. Oder Bastian Schweinsteiger …
… als 18-Jähriger mit der, na ja, "Cousine" im Bayern-Whirlpool beschäftigt …
Kern: Lange her. Er hat eine unglaubliche Persönlichkeitsentwicklung hinter sich. Und dass Thomas Müller - bei all seiner Begabung - Star bei der WM 2010 würde, das konnte auch niemand voraussagen.

Welche Rolle spielen die Eltern?
Kern: Alle Spieler, die ihren Weg gemacht haben, haben in ihrem Elternhaus Wertschätzung bekommen. Druck aufs Kind auszuüben, ist das Verkehrteste, was man machen kann. Nach dem Motto: Das wird mal die Kuh, die man melken kann. Unterstützung ist aber wichtig, etwa bei den Fahrten zum Training. So ist Holger Badstuber ein Jahr lang fast jeden Tag von seiner Mutter in die Säbener Straße gefahren worden - aus der Nähe von Memmingen, 100 Kilometer von München entfernt.
Wie haben denn die Väter reagiert, denen Sie sagen mussten: Bei ihrem Sohn reicht es nicht?
Kern: Für manche bricht eine Welt zusammen. Ich kann das aber nicht verstehen. Die Jungs waren ja frustriert, weil sie in ihrem Team nicht mehr oder kaum noch aufgestellt wurden. Ich will immer, dass meine Kinder Erfolgserlebnisse haben. Nur so können sie sich weiterentwickeln. Wenn es nicht reicht, muss man einen anderen Weg einschlagen. Deswegen spielt die duale Ausbildung - Schule und Fußball - eine große Rolle. Der Verein hat eine Verantwortung gegenüber den Eltern. Laut einer Statistik leben 25 Prozent der Fußball-Profis nach der Karriere von Hartz 4 - davon sind Bundesliga-Spieler natürlich weniger stark betroffen.
Sie sind 66 Jahre alt, seit Sommer im Ruhestand - wie schwer oder leicht ist Ihnen die Umstellung gefallen?
Kern: Die ist mir sehr leicht gefallen. Ich hätte schon im vergangenen Jahr aufhören können, mit 65. Aber man hatte mich gebeten, noch weiter zu machen. Hans-Jörg Butt sollte mein Nachfolger werden, ich habe ihn ein halbes Jahr eingearbeitet. Als ich dann weg war, hat sich Butt nach zwei Wochen überlegt, doch was anderes zu machen. Jetzt macht es Wolfgang Dremmler. Mit 66 Jahren musste für mich auch Schluss sein. Ich konnte mich vom Kopf her gut auf den Ruhestand einstellen. Wir haben gut vorgesorgt und genießen die Zeit.
Wie sehr schmerzt es Sie eigentlich, wenn Sie Mats Hummels im Dortmunder Trikot sehen?
Kern: Das bricht mir jedes Mal das Herz. Der Bub ist immer bei uns gewesen, weil sein Vater Hermann beim FCB gearbeitet hat - er war einer meiner engsten Mitarbeiter. Mats ist uns natürlich ans Herz gewachsen. Aber auf den Wechsel hatten wir keinen Einfluss, das war eine Sache der Lizenzspieler-Abteilung.
Wie sind denn die Erinnerungen an Ihre beiden Jahre als Zweitliga-Trainer von Eintracht Trier?
Kern: Wenn ich zurückblicke, war Trier eigentlich die schönste Station als Cheftrainer. Ich habe angefangen als Co-Trainer bei Bayern München, damals unter Udo Lattek, bin mit Wormatia Worms in die zweite Liga aufgestiegen und 1978 mit Nürnberg in die Bundesliga - dort bin ich aber nach einem halben Jahr beurlaubt worden. Ich habe dann die Verantwortlichen in Trier kennen- und schätzen gelernt, das waren allesamt gute Leute: Bloeck, Bausch, Rottstock. Mir hat das damals sehr viel Spaß gemacht. Zum einen, weil Trier eine hohe Lebensqualität hat. Zum anderen, weil ich dort sehr gut arbeiten konnte. Leider haben wir im zweiten Jahr ganz knapp die Qualifikation für die eingleisige zweite Liga verpasst - als Tabellen-Achter! (Anm.: Es gab eine Drei-Jahres-Wertung) Es ist mir sehr schwergefallen, von Trier wegzugehen. Ich wurde dann für zwei Jahre Trainer in Ulm.
Die Trainerkarriere beendeten Sie schon mit 37 Jahren - warum?
Kern: Ich wollte was anderes machen. 15 Jahre lang war ich internationaler Promotion-Manager bei Adidas. Da habe ich die Welt kennengelernt und war 150 oder 180 Tage im Jahr unterwegs - das war mir sehr wichtig und hat mir in punkto Lebenserfahrung sehr viel gebracht. Bei all den Reisen habe ich aber gemerkt, dass ich auch was vermisse. Ich hatte kleine Kinder und war kaum zu Hause. Da war die Arbeit bei den Bayern eine tolle Aufgabe zum Abschluss meiner Karriere. Es war wunderschön, immer mit jungen Leuten zu arbeiten - da hatte ich nie das Gefühl, dass ich alt werde. AF
Extra

Werner Kern (66) begann seine Karriere mit 27 Jahren als Co-Trainer beim FC Bayern - unter Udo Lattek, später unter Dettmar Cramer. Schon damals galt er als Förderer junger Spieler. So wird ihm die Entdeckung von Karl-Heinz Rummenigge zugeschrieben. Seine erste Cheftrainer-Station war Worms. In Nürnberg war er 1978 einer der jüngsten Bundesliga-Trainer aller Zeiten. Eintracht Trier trainierte er von 1979 bis 1981. Von 1998 bis 2012 leitete Kern die Nachwuchsabteilung des FC Bayern München. AF

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