Wenn Hartplatz-Legenden vom Kunstrasen träumen

In der Serie "Elf Freunde" rücken Traditionsvereine aus der Region in den Fokus - und die Menschen, die seit Jahren für ihren Club leben. Den Auftakt macht ein Kreisligist, der in seinen Glanzzeiten Eintracht Trier schlug und im DFB-Pokal spielte: SV Speicher, Gründungsmitglied der Oberliga Südwest.

 Früher war Mainz 05 zu Gast, inzwischen sind Daleiden II oder Koosbüsch die Gegner. Der SV Speicher (hier in Blau im Spiel gegen Bettingen) hat eine große Tradition. TV-Foto: Hans Krämer

Früher war Mainz 05 zu Gast, inzwischen sind Daleiden II oder Koosbüsch die Gegner. Der SV Speicher (hier in Blau im Spiel gegen Bettingen) hat eine große Tradition. TV-Foto: Hans Krämer

Speicher. Ein gedanklicher Rückpass ins gute, alte Manni-der-Libero-Land. Kleine Anekdoten, große Emotionen. Aus einer Zeit, in der Köln noch Deutscher Meister werden konnte, Beckenbauer in New York kickte, die Fanschals lizenzfrei in Oma Käthes Küche gehäkelt wurden. Und der FSV Mainz 05 im Bus den Hunsrück querte, um in der Liga in Speicher antreten zu dürfen. Auf dem Hartplatz. Wo sonst?

Das ist es, was der TV-Reporter hören will. Die taktische Vorgabe, theoretisch. "Ach, bloß nicht", murrt die Runde. Das hustet den Staub der Jahrzehnte. Klingt schwitzig nach Gestern, nach Verklärung, nach ewigem Hartplatz eben. Und der war lange genug Thema in Speicher.

Es ist Mittwochabend, Nebenraum im Vereinslokal "Unter den Kastanien". Helmut Scharff - seit fast drei Jahrzehnten Vorsitzender des SV - hat Verstärkung mitgebracht. Den 2. Vorsitzenden, Karl-Heinz Hermes, Fachmann für den Frauen- und Jugend-Fußball. Und einige Spieler, die den Dorfverein einst nach oben trugen. Bis in die Oberliga Südwest, Aufstieg 1978. Erwin Hallschmid war dabei. Oder Torhüter Günther Anhuth, heute noch mit vollen dunklen Locken und Schnurrbart, der Elfmeter-Spezialist. Zweitligist Völklingen wollte ihn einst ins Saarland lotsen. Anhuth überlegte kurz - und blieb in der Eifel. Warum? Er zuckt mit den Schultern: "Hier ist es doch schöner."

Aus dem Schankraum säuselt "Wind of Change" durch die Türritze, die Scorpions. Klaus Meine pfeift den Mauerfall: Da darf man schon mal nostalgisch werden, für ein Stündchen und ein Bier, oder? Auch wenn der SV Speicher natürlich ein lebendiger Club ist und nicht nur von Andenken und "Weißt-du-noch?" lebt.

Klaus Nospes pfeift drauf. Wem nutzt schon die Erinnerung? Tradition schießt keine Tore. "Speicher braucht endlich einen Kunstrasen", prescht er vor. "Lassen Sie uns darüber reden." Übers Heute, über die Zukunft. Jahrelang war Nospes eine Institution im Sturm des SV. Solange es nur den Hartplatz gebe, könne man von besseren Fußballzeiten und höheren Ligen nur träumen.

Gestern und Gegenwart, da liegt die Diskrepanz: Bernd Reinharts Fußballstatistik weist den SV Speicher im Zeitraum 1970 bis 1980 als viertbesten Verein im Regierungsbezirk Trier aus. Hinter Eintracht Trier, Leiwen, Bitburg, aber etwa noch vor dem FSV Salmrohr. Aktuell kämpft Speicher in der Eifel-Kreisliga B 2 ums Überleben. Tabellenvorletzter, dahinter nur noch Daleiden II.

Ein Fotoalbum treibt dann die Erinnerung voran. Die Spiele des Lebens, die großen Erfolge, auf vergilbtem Zeitungspapier. In den 50ern erlebte der Verein die erste Blüte. Aber die "goldenen Jahre" (Nospes) begannen Ende der 60er und endeten Anfang der 80er.

Zeitsprung. 1973, Speicher hat gerade den Aufstieg in die Amateurliga Rheinland geschafft. Erster Gegner in der neuen Liga ist Eintracht Trier, gerade aus der Regionalliga abgestiegen. "Wir gewannen 3:1", erinnert sich Edgar Kreutz, damals als Spieler dabei: "Ich werde nie vergessen, wie nach dem Spiel Trierer Fans ihre Eintracht-Fahnen verbrannt haben." Ein anderer Trierer Traditionsverein hat noch schlechtere Erinnerungen an die Eifeler. Der VfL zog 1973 im Aufstiegsrennen den Kürzeren und 1978 erneut. Jeweils nach Elfmeterschießen. VfL-Jungstar Paul Linz zog es kurz darauf zu Werder Bremen.

Speicher war nicht nur fußballerisch weit vorn, findet Nospes. "Wir hatten die ersten Discos weit und breit. Piccadilly - und wie sie alle hießen", sagt er. "Das war fast wie auf Mallorca." Scharff nickt: "Hier war echt der Teufel los."

Damals hätte es noch knapp zwei Dutzend Kneipen in der 3000-Einwohner-Gemeinde gegeben. "Und nach unseren Heimspielen war überall was los."

Es gab Zeiten, da kamen 1000 Zuschauer zu den Spielen. Und heute? Nächste Frage, bitte! Kreutz blättert durchs Album, bleibt an einem Namen hängen. Sein Respekt gilt einem Mertesdorfer und früherem Eintrachtler. "Joachim Roepert!", sagt er. "Das war der beste Trainer, den Speicher je hatte." Es waren nicht nur die Spiele, die Feiern, das Jungsein. Auch die Fans sind in Erinnerung geblieben. Etwa Emil, der schon vor Jahren gestorben ist. "Er kam zu jedem Spiel, zu Hause wie auswärts. Und jedes Mal gab es von ihm für die Spieler Leberwurstbrötchen." Ja, der Emil, das war ein guter Typ. Die Runde nickt.

Wie die Zeit rast. Die Jahrzehnte, aber auch die gut zweieinhalb Stunden in Speicher. "War schon sehr schön, damals", schwelgt Anhuth. Das ist das Heute auch. Album zu, Radler leer. Tschüss, SV, und viel Glück! Und noch bevor der TV-Reporter an der Tür ist, versichert sich einer. "Sie wissen ja", hallt es in den Ohren. "Der Kunstrasen. Vergessen Sie den Kunstrasen nicht!"

Die TV-Serie "Elf Freunde" widmet sich in loser Folge den ganz großen Fußballmomenten in der Region, den Machern und Traditionsclubs, die nicht alltäglich im Rampenlicht stehen.

DER SV SPEICHER…

… ist neben dem SV Prüm der einzige Verein aus dem Fußballkreis Eifel, der es seit der Einführung der Oberliga Südwest 1978 in diese Liga geschafft hatte. … schaffte es mal in die DFB-Pokal-Hauptrunde. Auch wenn das Pokalfieber schnell beendet war: Im Gastspiel 1979 beim späteren Zweitliga-Aufsteiger Bocholt war nichts zu holen (0:8). … hatte kurz nach Vereinsgründung 1913 als ersten Gegner Eintracht 06 aus Trier zu Gast (der Club fusionierte erst viel später mit Trier 05 zum heutigen SVE). … schickt weiterhin "eigene" Mannschaften ins Kreisliga-Rennen. Am Sonntag kommt Bitburg II. In der Jugend und bei den Frauen gibt es aber Spielgemeinschaften. … packte den Oberliga-Aufstieg nach einem 3:0 gegen Leiwen mit dieser Elf: Anhuth (Tor), Scheufling, Orth, Roepert, Weber, Herold, Hallschmid, Hoor, Nospes, Urbatzka, Schmitt. (AF)

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