Die Sache mit den Fesseln

Wer läuft, kommt auf andere Gedanken. Und wer durch die Stadt läuft, wird zusätzlich durch aufgesprühte Farbenpracht und Graffitisprüche inspiriert. Ein Beispiel beschreibt TV-Laufkolumnist Rainer Neubert.

 Philosophie für Läufer. So ein Graffitiy am Rande des Laufweges bringt interessante Gedanken.

Philosophie für Läufer. So ein Graffitiy am Rande des Laufweges bringt interessante Gedanken.

Foto: Rainer Neubert

Wer in Städten läuft, begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. Gemeint sind Graffitis und auf alle möglichen und unmöglichen Stellen gesprayte Sprüche. Über wahre Kunstwerke in Unterführungen freue ich mich. Über rote Herzen und Spitznamenkürzel auf historischen Gemäuern und Hauswänden weniger.

Auf einer Runde um den idyllischen Mattheiser Weiher in Trier ist mir vor drei Tagen ein Abfallbehälter mit aufgesprühtem Sinnspruch förmlich ins Auge gesprungen: "Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht!"
Eine Denksportaufgabe für den müden Jogger am Morgen. Sollte man dann seinen Sport nicht besser sein lassen? Schließlich tun Fesseln weh und machen unglücklich. Von Streifzügen zu Fuß oder mit dem Fahrrad durch die Natur lässt sich das mit großer Sicherheit nicht behaupten. Kaum denkbar, dass der sprachlich gewandte Urheber der Aufschrift den Begriff Fesseln im übertragenen Sinn für Fußgelenke verwendet wissen will.

Also doch eher in die andere Richtung denken: Nur wer sich bewegt, nimmt seine Fesseln wahr. Und nur wer seine Fesseln wahrnimmt, wird versuchen, diese abzuwerfen, auch wenn es schwerfällt. Ja, das musste es sein. Das passte so wunderbar zu dem, was mir an diesem Tag bevorstand. Nur wer sich bewegt, kommt voran, auch wenn es manchmal etwas weh tut.

Nein, ich bin an diesem Tag keinen Marathon gelaufen. Und ich hatte auch keine Therapiestunde am Schlingentisch meines Physiotherapeuten. Verraten sei nur so viel: Ich werde mich mehr bewegen - und das sollte niemand nur auf das Laufen beziehen - ganz im Sinne dieses Sinnspruchs am Mattheiser Weiher.

P.S.: Urheberin des Spruchs ist übrigens Rosa Luxemburg (1871 - 1919)

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