Heutige Läufer sind dem Pensum der Frühmenschen kaum gewachsen

In Fitnessmagazinen werden Laufeinsteiger auf der Suche nach dem richtigen Laufstil immer wieder auf das Vorfußlaufen eingeschworen. Nur dieser Stil sei der natürliche, im Laufe der Evolution optimierte Bewegungsablauf. Doch dieser Rat hat seine Tücken.

Unsere vor etwa 1,8 Millionen Jahren lebenden Vorfahren waren exzellente Jogger. Sie mussten große Strecken auf der Suche nach Nahrung und auf der Flucht vor Fressfeinden in kurzer Zeitspanne zurückzulegen. Wissenschaftler gehen von einer täglichen Geh- und Laufleistung von 20 bis 50 Kilometern aus. Um fast täglich einen solchen Halbmarathon oder Marathon zu bewältigen, sind spezielle Anpassungen des Bewegungsapparates erforderlich. Aus fossilen Skelettfunden können Forscher rückblickend auf den Körperbau und das Laufverhalten der Frühmenschen schließen. Dazu gehören unter anderem starke Gesäßmuskeln, die der Stabilisierung des Beckens beim Laufen dienen und die erstmals beim Homo erectus vor 1,8 Millionen Jahren auftraten. Auch eine breite Rückenmuskulatur, die den Oberkörper beim Laufen stabil hält, deutet auf ausgedehntes Laufen hin.
Die Stabilisierung des pendelnden Oberkörpers ist nur eine Vor-aussetzung, um den täglichen Halbmarathon bewältigen zu können. Um möglichst energiesparend laufen zu können - Nahrung war kostbar in jener Zeit -, bildete sich ein ausgeprägtes Längsgewölbe an der Fußinnenseite aus, das durch Sehnen und Muskeln ähnlich einem Flitzbogen gespannt wird. Während des Laufens dehnt sich diese bogenförmige Konstruktion, wobei die Sehne etwas in die Länge gezogen wird und elastische Energie speichert, die beim Abstoßen vom Boden wieder abgegeben wird. Ähnlich arbeitet das System aus Achillessehne und Wadenmuskulatur, das vor allem dann gefordert wird, wenn der Fuß im Vorfuß- oder Mittelfußbereich aufgesetzt wird. Fossile Funde lassen vermuten, dass unsere Vorfahren beim Laufen vor allem auf dem Vor- und Mittelfuß landeten. Darauf waren die Federsysteme der Fußgewölbe sowie von Wadenmuskeln und Achillessehne optimal angepasst.
Ist es ausgehend von diesen Kenntnissen nun logisch, den Vorfußlauf zum natürlichen Laufstil zu küren? Mitnichten, sagt Dr. Gert-Peter Brüggemann, Biomechanik-Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Nur auf dem Vorfuß zu laufen, erfordere eine stark trainierte Wadenmuskulatur. Unsere Vorfahren waren von Kindesbeinen an muskulär auf diese Bewegung hin trainiert - nicht jedoch der heutige Mensch.
Was können Läufer dennoch aus den Erkenntnissen der Evolutionsbiologen lernen? Zum einen, dass Vorfußlaufen eine sehr gut trainierte Wadenmuskulatur und eine strukturell starke Achillessehne voraussetzt. Zum zweiten, dass beim Mittelfußlauf zusätzlich die natürliche Dämpfung des Fußgewölbes die Last auf den Gelenken vermindert. Des Weiteren, dass eine stark ausgebildete Gesäß- und Rumpfmuskulatur notwendig ist, um längere Distanzen gut zu überstehen. Aber vor allem, dass unsere Vorfahren eben gut trainierte reine Barfußläufer waren, deren Laufstil sich daher nicht mit dem Laufen in Schuhen gleich welcher Art vergleichen lässt. redExtra

Beim Laufen auf erdigem Untergrund, wie es bei unseren Vorfahren üblich war, hatten die Zehen auch die wichtige Aufgabe, die Beschaffenheit des Bodens zu ertasten. Das ist nicht zu vergleichen mit dem Joggen auf befestigten oder gar asphaltierten Wegen. Auch wenn Minimalschuhe versuchen, die Beweglichkeit der Fußgelenke nicht zu beeinflussen, lassen sie nicht die gleiche Sinnesinformation zur Fußsohle durch, wie dies barfuß der Fall wäre - vom Laufen in stark gedämpften Schuhen ganz zu schweigen. red

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