Schwache Muskeln - ein stark unterschätztes Gesundheitsrisiko

In Deutschland stürzt jeder dritte Bürger über 65 Jahre mindestens einmal im Jahr. Bei den über 80-Jährigen ist es jeder Zweite. Etwa 135?000 Menschen über 65 erleiden dabei einen Oberschenkelhalsbruch. Rund 60 Prozent der Betroffenen sind Frauen.

 Alte Menschen glauben meist, bei körperlichen Beschwerden sei es besser, sich zu schonen anstatt sich zu bewegen. Doch die Forschung zeigt, dass nur regelmäßige Bewegung die Mobilität erhält. Foto: Mauritius

Alte Menschen glauben meist, bei körperlichen Beschwerden sei es besser, sich zu schonen anstatt sich zu bewegen. Doch die Forschung zeigt, dass nur regelmäßige Bewegung die Mobilität erhält. Foto: Mauritius

Foto: imageBROKER / Robert Lehmann (www.mauritius-images.com)

Nach einem Oberschenkelhalsbruch erlangt nur die Hälfte der Patienten die alte Beweglichkeit zurück, besagen Daten der Universität Düsseldorf. Bis zu 20 Prozent werden dauerhaft pflegebedürftig. Und bis zu 24 Prozent versterben sogar im ersten Jahr nach dem Ereignis, meldet die Universitätsklinik Heidelberg. Dabei spielen oft Komplikationen wie Thrombosen und Lungenentzündungen eine Rolle. Somit sind ältere Menschen, die zu Hause leben, durch Stürze und sturzbedingte Verletzungen häufig in ihrer Selbstständigkeit bedroht.

Nicht nur die körperlichen, auch die psychischen Folgen eines Sturzes sind für einen alten Menschen oft dramatisch und führen zu einschneidenden Veränderungen. Viele Betroffene haben große Angst, erneut zu stürzen. Sie ziehen sich zurück und bewegen sich kaum noch. Wenn sie dann mal unterwegs sind, ist das Risiko zu stürzen umso höher. Die Ursachen solcher Stürze sind in zahlreichen großen Studien wissenschaftlich untersucht worden. Dabei wurden übereinstimmend zwei wesentliche Risikofaktoren entdeckt: die zu geringe Muskelkraft und die nachlassende Gleichgewichtsfähigkeit. Das bedeutet nun aber auch, dass ältere Menschen, die regelmäßig ein körperliches Trainingsprogramm absolvieren, das Gleichgewichts- und Kraftübungen umfasst, ihr Sturzrisiko deutlich reduzieren können.

Dass der Körper altert, wird zuerst an der Haut sichtbar und meist in den Gelenken spürbar. Hingegen bleibt oft unbemerkt, dass die Muskelmasse abnimmt. Auch gesunde Menschen verlieren im Laufe der Jahre an Muskelmasse. "Bis zum 80. Lebensjahr gehen etwa 30 Prozent verloren", erläutert Professor Dr. Jürgen Schölmerich von der Universitätsklinik Frankfurt. "Wir spüren dies nicht, da sich die meisten Tätigkeiten im Alltag heute mit geringer Muskelmasse bewältigen lassen."

Der fortschreitende Muskelschwund, medizinisch Sarkopenie genannt, wird daher oft erst festgestellt, wenn es zu einem schweren Sturz gekommen ist. "Die Muskelschwäche ist die häufigste Ursache für Stürze im Alter", sagt Schölmerich. "Und auch an den Sturzrisiken Nummer zwei und drei, den Störungen von Gang und Gleichgewicht, ist häufig eine Muskelschwäche beteiligt." Aus Sicht der Alternsforschung gehört der Muskelschwund eindeutig zu den stark unterschätzten Gesundheitsrisiken im Alter.

Bei übergewichtigen Menschen ist die Sarkopenie oft nur schwer zu erkennen. Ein Hinweis kann ein Wadenumfang von weniger als 31 Zentimetern sein. Die gestörte Beweglichkeit stellt der Arzt fest, indem er die Zeit misst, die sein Patient benötigt, um von einem Stuhl mit Lehne aufzustehen, drei Meter nach vorne und zurück zu gehen und sich wieder zu setzen. "Dauert das 14 Sekunden oder länger, ist die Gang?sicherheit eingeschränkt. Ab 20 Sekunden ist die Mobilität eingeschränkt", sagt Schölmerich.

Muskelschwund ist jedoch kein unvermeidbares Schicksal. "Muskelkraft und Beweglichkeit lassen sich auch im Alter durch Sport steigern", erläutert Professor Dr. Reto Kressig von der Universität Basel.

Hintergrund:
Die Alternsforscherin Professor Dr. Susanne Wurm und ihre Arbeitsgruppe von der Universität Erlangen-Nürnberg hatten mehr als 300 Frauen und Männer ab 64 Jahren eingeladen, um deren Ansichten über das Älterwerden zu erfragen. Es zeigte sich, dass ein Teil der Teilnehmer veraltete Vorstellungen vom Älterwerden hat.

"Es gibt ältere Menschen, die denken, dass sie zu alt sind, um noch körperlich aktiv werden zu können", sagt Susanne Wurm. "Andere meinen, dass sie wegen ihres Alters die ,Früchte' der körperlichen Aktivität, also bessere Gesundheit und besseres Wohlbefinden, nicht mehr ernten könnten. Teilweise herrscht auch der Glaube, es sei zu spät, nachdem man viele Jahre nichts für den Körper getan hat. Und andere denken, Sport war noch nie etwas für mich."
Die Forschung zeige jedoch, dass alle diese Ansichten falsch sind. Bereits gemäßigte körperliche Aktivitäten tragen auch noch im Alter zur Gesundheit bei.

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