Silvesterlauf Trier Der Traum von der Freiheit und von Olympia

Gerolstein/Trier · Samuel Fitwi ist nicht nur das Ass der Region beim Silvesterlauf in Trier, sondern auch ein Hoffnungsträger auf den vierten deutschen Sieg im Männer-Eliterennen. Der 26-Jährige stammt aus Ostafrika. Laufen gelernt hat er aber erst in Deutschland.

Aus Eritrea in die Eifel und in die europäische Spitze läuft Samuel Fitwi, der in neuen Jahr von der LG Vulkaneifel zum Verein Silvesterlauf Trier wechselt.

Aus Eritrea in die Eifel und in die europäische Spitze läuft Samuel Fitwi, der in neuen Jahr von der LG Vulkaneifel zum Verein Silvesterlauf Trier wechselt.

Foto: Holger Teusch

Der 11. August 2024 ist in Samuel Fitwis Kalender nicht nur deshalb rot markiert, weil es ein Sonntag ist. Auf dieses Datum richtet sich beim erfolgreichsten Läufer der Region bereits seit Monaten alles aus. Am Schlusstag der Olympischen Spiele von Paris wird nämlich der Marathon gestartet. Und Fitwi möchte damit seine bisherige Läuferkarriere krönen.

Statt die noch rund 600 Tage bis zum olympischen Marathonstart zählt der 26-Jährige momentan aber erst einmal die Wochen bis zu seinem Debüt auf den klassischen 42,195 Kilometern im spanischen Sevilla. Aus dieser Vorbereitung heraus startet Fitwi am 31. Dezember als einer der aussichtsreichsten Deutschen im Acht-Kilometer-Asselauf des Bitburger-0,0%-Silvesterlaufs in Trier. Dass er aus dem Marathontraining heraus auf den kurzen Distanzen erfolgreich sein kann, bewies Fitwi beim Gewinn der Deutschen Crosslauf-Meisterschaft Ende November. Sein 26. Platz bei der Europameisterschaft in Italien vor zwei Wochen stand bereits unter dem Einfluss einer leichten Erkältung, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Rückschläge, die Fitwi angesichts seiner Geschichte nicht aus der Bahn werfen. Als 17-Jähriger flieht er aus Eritrea. Aus dem Land, das Manche als „Nordkorea Afrikas“ bezeichnen. Wo Frauen wie Männer auf unbestimmte Zeit fürs Militär zwangsverpflichtet und drangsaliert werden. Fitwi riskiert sein Leben für die Freiheit. Monatelang lebt er in einem Flüchtlingscamp in Äthiopien. Durch den Sudan und Libyen, auf der lebensgefährlichen Route übers Mittelmeer nach Italien und schließlich nach Deutschland führt seine Flucht. Was ist da schon eine durch einen sich ankündigenden Infekt vermasselte Europameisterschaft?

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In der Eifel kommt der Teenager zur Ruhe. Fitwi spielt Fußball in Oberbettingen, belegt Deutschkurse und findet Geborgenheit in einer Pflegefamilie in Stadtkyll. Laufen? Zunächst mehr oder weniger zufällig. Fast auf den Tag genau acht Jahre, bevor er am 19. Februar seinen ersten Marathon laufen wird, steht Fitwi in Gerolstein erstmals an einer Startlinie. „Ich hatte gedacht, dass wir zum Fußball fahren würden“, erinnert er sich, dass er an diesem kalten Februarsamstag eigentlich mit einem Hallentraining rechnet. Stattdessen geht es in gestreiftem Wollpulli, grüner Jogginghose und profillosen Turnschuhen auf die Geländelaufstrecke. „Ich bin mehrmals hingefallen“, erzählt Fitwi.

Dass der junge Mann trotzdem den vierten Platz über 4000 Meter belegt, fällt aber keinem Talentspäher auf. Erst als er an seinem letzten Schultag am Internat in Neuerburg beim berüchtigten Coopertest (zwölf Minuten lang so weit wie möglich laufen) deutlich mehr als drei Kilometer rennt, spricht sein Pflegevater Christian Linden, der die Grundschule in Hillesheim leitet, seinen damaligen Kollegen Thorben Dietz an. Der Marathon-Bezirksrekordler (2:19:20 Stunden) nimmt Fitwi mit zum gemeinsamen Dauerlauf mit Yannik Duppich und zu Trainer Willy Oelert.

 Im Februar 2015 lief Samuel Fitwi damals noch als Fußballspieler beim Crosslauf in Gerolstein mit, stürzte mit Turnschuhen mehrmals, belegte aber trotzdem den vierten Platz.

Im Februar 2015 lief Samuel Fitwi damals noch als Fußballspieler beim Crosslauf in Gerolstein mit, stürzte mit Turnschuhen mehrmals, belegte aber trotzdem den vierten Platz.

Foto: Holger Teusch

Dann geht es rasend schnell: Anfang August 2016 siegt Fitwi gemeinsam mit Duppich in Pronsfeld über fünf Kilometer (17:47 Minuten). Einen Monat später überrascht er als Gewinner des Bitburger Stadtlaufs über die doppelte Distanz (32:55 Minuten). Im März 2017 ist beim Klassiker „Rund ums Bayerkreuz“ in Leverkusen niemand schneller. 30:21 Minuten für zehn Kilometer, das ist erweiterte deutsche Spitze.

Kurz darauf folgt ein Ereignis, das Fitwi aus der Bahn hätte werfen können. Bei den Deutschen Crosslaufmeisterschaften wird er klar in Führung liegend kurz vor dem Ziel aus dem Rennen genommen. Grund: Er hat keinen deutschen Pass! „Das war heftig und ich war sehr enttäuscht“, erzählt er.

Doch zehn Monate erhält Fitwi die ersehnte deutsche Staatsbürgerschaft - und gibt richtig Gas. Bei der Cross-DM gewinnt er den U-23-Titel und wird anschließend Vizeeuropameister bei den Unter-23-Jährigen. „Als ich 2018 starten durfte, war alles perfekt“, sagt er. Erst recht 2019, als er als Sechster die beste Platzierung eines Deutschen überhaupt bei einer Crosslauf-Europameisterschaft - als Feierabendsportler! - erreicht. Fitwi ist damals noch in der Ausbildung zum Maler und Lackierer bei einem Betrieb in Lissendorf. Im Sommer fährt er oft mit dem Fahrrad die rund sieben Kilometer. „Im Winter bin ich um halb sechs Uhr morgens auch schon mal zu Fuß gegangen.“

 Schon beim Trierer Silvesterlauf 2019 war Samuel Fitwi im gelben Trikot zusammen mit dem deutschen Marathonrekordler Amanal Petros (TV Wattenscheid, rechts) vorne mit dabei, während der spätere Sieger Isaac Kimeli (Belgien, hinter Petros) noch taktierte.

Schon beim Trierer Silvesterlauf 2019 war Samuel Fitwi im gelben Trikot zusammen mit dem deutschen Marathonrekordler Amanal Petros (TV Wattenscheid, rechts) vorne mit dabei, während der spätere Sieger Isaac Kimeli (Belgien, hinter Petros) noch taktierte.

Foto: Holger Teusch

Schnell wird Fitwi und Yannik Duppich, der 2018 sein Training übernimmt, klar, dass mit nur einer Übungseinheit pro Tag weitere Steigerungen schwer erreichbar sind. Der logische Schritt ist der zum Laufprofi und der Umzug in die eigene Wohnung nach Gerolstein. Der Wechsel von der LGV zum Verein Silvesterlauf Trier soll ab 2023 mit einer weiteren Professionalisierung weitere Leistungsreserven heben. Die Steigerung des Trainingsumfangs bringt Fitwi bereits zur Europameisterschaft nach München und zu einer neuen 10.000-Meter-Bestzeit (28:03,92 Minuten). „Der neunte Platz bei der EM war nach der Verletzung im Frühjahr optimal. Ich bin einfach glücklich. Vor 45.000 Zuschauern zu laufen, das war wie beim Fußball“, sagt Fitwi und kann sicher sein: Bei seinem letzten Start im LGV-Trikot beim Silvesterlauf wird er auf dem Trierer Hauptmarkt ähnlich angefeuert werden.

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