Serie „Was macht eigentlich ...?“ Andy Schleck: Alpenpässe meistert er jetzt auf dem E-Bike

Mertert · Andy Schleck ist nach Charly Gaul der einzige luxemburgische Tour-de-France-Gewinner der Nachkriegszeit – und ein tragischer dazu. Im Tour-Tross ist der 37-Jährige immer noch dabei, er hat aber auch sein eigenes Profiradteam.

 Tour-de-France-Gewinner Andy Schleck zeigt noch heute gerne die Jubel-Szene von vor elf Jahren in mehr als 2600 Metern Höhe.

Tour-de-France-Gewinner Andy Schleck zeigt noch heute gerne die Jubel-Szene von vor elf Jahren in mehr als 2600 Metern Höhe.

Foto: Holger Teusch

Wenn am Freitag die 109. Tour de France in Kopenhagen in Dänemark startet, ist Andy Schleck wieder mit dabei. Der Sieger von 2010 aus Luxemburg gehört auch acht Jahre nach seinem Rückzug aus dem Leistungssport immer noch zum berühmtesten Radrennen der Welt dazu. Er ist als Botschafter des Auto-Ausstatters der Tour unterwegs, betreut Ehrengäste, analysiert die Etappen. „Morgens fahre ich mit denen auch ein bisschen Rad“, berichtet der immer noch jugendlich wirkende 37-Jährige.

Wir sitzen im Außenbereich eines Restaurants eines Einkaufscenters in Mertert. Schleck ist nicht nur durch die Tour weiterhin dem Radsport verbunden. An der luxemburgisch-deutschen Grenze arbeitet er in den Monaten vor dem Tour-Start für die Eröffnung seines zweiten Radladens. Den ersten hat er 2016 in Itzig, nahe Luxemburg-Stadt, in einem alten Bauernhaus aufgebaut. „Ich wollte etwas anderes machen als einen normalen Bike-Shop. Ich bin ja immer viel herumgereist und habe viele Ideen aufgegriffen, die ich umgesetzt habe. Das war schwierig am Anfang“, sagt der ehemalige Radprofi.

Der Ruf als Tour-de-France-Sieger 2010 – er bekam den Erfolg nach der Doping-Sperre gegen Alberto Contador im Nachhinein zugesprochen – ist für ihn Segen und Fluch zugleich: „Ja, das hilft. Aber es ist zweischneidig. Wenn bei mir etwas schiefgeht, dann reden die Leute. Wenn bei mir eine schlechte Kritik ist, wird 15 Mal kommentiert.“ Aber nach schwierigen Anfangsjahren läuft der Laden. Die Expansion ist Schlecks Antwort auf den Radboom. „Alles zu jonglieren, das ist schon manchmal eine Challenge“, gibt er zu.

Schleck besitzt nicht nur zwei Radgeschäfte und ist Botschafter für die Tour de France, er hat auch ein eigenes Frauen-Profiradteam ins Leben gerufen. Bei den Touren, die er organisiert, sei ihm bewusst geworden, wie Männer-dominiert die Szene ist. „Wir haben dann angefangen, Workshops für Frauen zu machen“, berichtet Schleck. „Dann kam die Idee, wir machen in Luxemburg einen Club: Schlecks-Women-Cycling, und dann wurde ein Team draus. Heute ist es ein Continentalteam. Die Idee ist, jungen Frauen eine professionelle Struktur zu bieten, damit sie auch große Rennen fahren können.“

Bei den nationalen Meisterschaften am vergangenen Wochenende gingen drei luxemburgische Titel an das Andy-Schleck-Team. Die Thüringerin Friederike Stern wurde bei den Deutschen Meisterschaften U-23-Sechste im Einzelzeitfahren.

Mit seinen 37 Jahren könnte Andy Schleck theoretisch selbst noch als Radprofi aktiv sein. Sein fünf Jahre älterer Bruder Fränk trat erst mit 36 vom Leistungssport zurück. Doch ein schwerer Unfall auf der dritten Tour-Etappe 2014 besiegelte das Ende seiner Karriere. Schleck kollidierte mit einem Zuschauer. Zunächst sah es nicht so dramatisch aus. Hautabschürfungen an der rechten Körperseite. Doch eine Kernspintomografie in der Schweiz zeigte den Riss mehrerer Bänder und einen Knorpelschaden im rechten Knie. „Ich dachte, das wird schon wieder. Aber die Ärzte waren schon nicht so zuversichtlich. Nach der OP haben sie mir gesagt, dass ich mich auf eine lange Reha einstellen müsse.“

Insgesamt fünfmal wurde Schleck operiert. „Ich hätte noch weiter fahren können, aber ich wäre nie wieder die Tour de France gefahren. Und wenn man mal so weit oben war, dann ist es schwer. Und einfach ein paar Jahre weiterzufahren, nur um Geld zu verdienen, das war nicht meine Philosophie“, sagt er. Man merkt ihm an: Dieser Schicksalsschlag schmerzt immer noch.

Zumal sich Andy Schleck 2014 gerade wieder zurückgekämpft hatte. „Es war eigentlich meine Comeback-Tour.“ Zwei Jahre zuvor hatte er sich bei einem Sturz beim Critérium du Dauphiné das Kreuzbein gebrochen. „Wenn man als Profi zwei Monate pausieren muss, braucht man ein Jahr, um zurückzukommen“, erklärt er. 2013 fuhr er wieder die Tour. „Es wäre blöd, wenn ich sage, es war schlecht. Ich wurde 20.“, sagt er und lacht. Es war halt keine Podiumsplatzierung, die die Öffentlichkeit von einem Tour-Sieger erwartet. Doch Schleck gab nicht auf: „Meine Idee war, 2014 wieder mit vorne dabei zu sein. Ich wäre wahrscheinlich nicht aufs Podium gefahren, aber ich wäre unter die ersten Fünf gekommen.“

In gewisser Weise hat Andy Schleck seinen Frieden mit seinem nicht selbst bestimmten Karriereende gemacht. „Heute sage ich: Ich stand bei der Tour oft auf dem Podium. Aber auch wenn ich sie 2010 gewonnen habe, im Gelben Trikot in Paris ganz oben zu stehen, das Gefühl kenne ich nicht“, sagt er.

Denn zum Tour-Sieger 2010 wurde er erst Ende Mai 2012 ernannt. So lange dauerte der Gang durch die Instanzen der Sportgerichtsbarkeit bis zum Internationalen Sportgerichtshof CAS im Dopingfall Contador. Beim Spanier, der 2010 auf den Champs-Élysées als Sieger (39 Sekunden vor Schleck) geehrt wurde, waren in einer Dopingprobe das anabole Steroid Clenbuterol und Spuren von Weichmachern, wie sie nach Bluttransfusionen häufig zu finden sind, nachgewiesen worden. Contador schob den Clenbuterol-Befund auf ein kontaminiertes Stück Fleisch. Der spanische Radsportverband folgte der Argumentation seines Topfahrers, Der Radsport-Weltverband (UCI) und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) legten Berufung ein, und der CAS sperrte Contador im Februar 2012 rückwirkend.

„Das ist schon bitter“, sagt Schleck, dass er so lange auf seine Ehrung als Tour-de-France-Sieger warten musste und ergänzt: „Bitter in der Hinsicht, dass er (Contador) noch heute behauptet, er hätte gewonnen.“ Bitter auch, weil Contador nach Ablauf seiner Sperre im August 2012 wieder von Erfolg zu Erfolg radelte, während Publikumsliebling Schleck seine Kreuzbeinfraktur auskurieren musste. Bitter auch finanziell. „Nicht wegen des Preisgeldes. Aber wenn man als Tour-de-France-Sieger einen neuen Vertrag unterschreibt, ist das etwas anderes, als wenn man das als Zweiter tut“, sagt Schleck.

Dass seine Karriere als Radprofi fast schon vorbestimmt war, glaubt Andy Schleck nicht. Der jüngste der drei Söhne des siebenmaligen Tour-de-France-Teilnehmers Johny Schleck spielte in seiner Jugend Fußball und Tennis. Eishockey war und ist seine heimliche Liebe. Druck aus dem Elternhaus gab es nicht. „Ich habe es immer gemacht, weil ich es wollte. Ich hatte morgens noch ein Fußballspiel, und nachmittags bin ich Radrennen gefahren“, berichtet Schleck. Aber natürlich sei er durch seinen Vater, der bei der Tour de France auch VIPs betreute, im Radsport-Zirkus groß geworden: „Ich war immer schon ein Radsportfan!“

Und dann war da natürlich Bruder Fränk. Zwischen den beiden habe es eigentlich nie Konkurrenz gegeben. Fränk sei eher sein Vorbild gewesen. Noch heute unternehmen die Brüder sonntags zwei- bis dreistündige Ausfahrten. „Da nehmen wir auch keinen mit. Da sind nur Fränk und ich! Das ist uns wichtig“, sagt Andy Schleck.

Als der Jüngste der Familie 2004 zehn Tage nach seiner letzten Abiturprüfung unverhofft das Etappenrennen Flèche du Sud gewann, bot das dänische CSC-Team von Bjarne Riis, bei dem Fränk schon unter Vertrag stand, die Möglichkeit an, als sogenannter ,Stagiaire‘ mitzufahren. Mit 19 hatte Andy Schleck seinen ersten Profivertrag. Dreimal in Folge (2008 bis 2010) gewann er bei der Tour de France das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers. 2009 schaffte er es als Zweitplatzierter erstmals aufs Gesamt-Podium.

2011 fuhren die Schleck-Brüder die erfolgreichste Tour de France. Sie sind die bisher einzigen Geschwister, die als Zweit- und Drittplatzierte (hinter dem Australier Cadel Evans) gemeinsam in Paris auf dem Podium standen. Andy gewann 100 Jahre nach der Erstbefahrung des Col du Galibier die bisher höchste Bergankunft der Tour (in 2642 Metern Höhe). Das Gelbe Trikot verlor er aber wieder beim Zeitfahren.

„Man hat nur sehr wenige Möglichkeiten, die Tour de France zu gewinnen, aber man kann sie jeden Moment verlieren“, sagt Andy Schleck über das berühmteste Radrennen der Welt. Für ihn als Kletterer hieß das, heil und ohne große Zeitverluste in die Berge zu kommen, um dann so viel Zeit wie möglich gutzumachen, von der er dann in den Einzelzeitfahren zehren konnte.

Nach seinem Karriereende fiel Andy Schleck sportlich erst einmal in ein Loch. „Ich habe ein Jahr lang nichts gemacht – und viel zugenommen“, berichtet er. Mittlerweile treibt er wieder viel Sport – „vier- bis fünfmal pro Woche. Aber was ich in einer bis eineinhalb Stunden erledigen kann“. Bei Schleck steht dann Schwimmen oder Crossfit im Terminkalender. Wenn er die Zeit für seinen Sport nicht planen würde, würde er nichts machen. „Die ersten Jahre habe ich das gemerkt. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich weg war. Als Geschäftsmann hat man ja keinen freien Tag. Über die Jahre habe ich aber gelernt, dass ich auch das Recht auf Zeit habe.“

 Einer seiner größten Karriere-Momente: Luxemburgs Andy Schleck gewinnt am 21. Juli 2011 die 18. Tour-de-France-Etappe mit dem Ziel hoch oben auf dem Col du Galibier.

Einer seiner größten Karriere-Momente: Luxemburgs Andy Schleck gewinnt am 21. Juli 2011 die 18. Tour-de-France-Etappe mit dem Ziel hoch oben auf dem Col du Galibier.

Foto: picture alliance / dpa/Guillaume Horcajuelo

Im Urlaub geht es mit der Familie (mittlerweile zwei Kinder) in die Berge, in denen Andy Schleck seine größten Erfolge gefeiert hat. „Da fahren wir dann Pässe“, erzählt er. Anders als bei der Tour de France nur zum Genießen – und alle auf dem E-Bike.

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