Corona-Chaos bei der Rollstuhlbasketball-EM Dirk Passiwan: „Mich wird nun nichts mehr schocken“

Trier/Madrid · Die Rollstuhlbasketball-Europameisterschaften der Damen und Herren in Madrid wurden zu einer Farce. Mittendrin: Der neue Damen-Bundestrainer Dirk Passiwan und Spielerin Valeska Finger von den Dolphins Trier. Hier berichten sie von ihren Erfahrungen in Spanien.

 Die deutschen Damen um Catharina Weiß verpassten eine EM-Medaille. Doch das Sportliche geriet ohnehin in den Hintergrund.

Die deutschen Damen um Catharina Weiß verpassten eine EM-Medaille. Doch das Sportliche geriet ohnehin in den Hintergrund.

Foto: Steffie Wunderl

Dirk Passiwan hat sich nach der Rückkehr aus Madrid erstmal in eine fünftägige Quarantäne begeben. Freiwillig. Ein für Freitag vorgesehener PCR-Test soll ihn dann wieder zu einem ,freien Mann’ machen.

Der 45-jährige neue Bundestrainer der deutschen Frauen-Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft hat Zeit, die zurückliegenden Chaos-Tage in Spanien Revue passieren zu lassen. „Mich wird nun nichts mehr schocken“, ist Passiwan, der parallel auch Spielertrainer des Bundesligisten Dolphins Trier ist, überzeugt. Die in Spaniens Hauptstadt parallel ausgetragenen Europameisterschaften der Männer und Frauen mutierten zu einer Farce – von vier Spielen um Medaillen wurde am Ende nur eine Partie ausgetragen. Corona überschattete alles.

Das begann schon vor den Turnieren. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) beklagte ein unzureichendes Hygienekonzept des internationalen Verbands – es wurde nach Auskunft des DBS nur marginal nachgebessert. Mit Folgen. Passiwan: „In unserem Hotel gingen auch normale Besucher ein und aus, zudem gingen auch Mannschaften raus zum Joggen oder Sightseeing. Es gab also keine richtige ,Blase’. Zum Essen wurden Buffets aufgebaut, an das sich gleichzeitig sechs, sieben Teams begaben. Es gab keine räumliche und zeitliche Trennung. Und die Shuttle-Busse zu den Spielen schienen nach den einzelnen Fahrten nicht desinfiziert zu werden.“ Hinzu kam eine Strategie, die nur alle zwei Tage Corona-Tests vorsah – die deutschen Teams schwenkten freiwillig auf tägliche Tests um.

Lässige Vorgaben, die dazu führten, dass es so kam, wie es wohl kommen musste. Es traten Corona-Fälle auf. Im Tross der Türken, bei den Briten, bei den Spaniern. Doch die Turniere gingen weiter. Um sich und andere zu schützen, spielten die deutschen Frauen in den Partien gegen die Türkei, Großbritannien und Spanien mit Masken.

Sport mit Mund-Nasen-Schutz, das passt nicht zusammen. Passiwan: „Die Spielerinnen bekamen schlechter Luft. Sie haben sich mehr aufs Atmen als aufs Spiel konzentriert. Ganz zu schweigen von der Kommunikation untereinander, die auf dem Spielfeld fast zum Erliegen kam.“

Nicht ganz so schlimm fasste Dolphins-Spielerin Valeska Finger, die ihre erste EM absolvierte, das Tragen der Masken auf: „Im ersten Moment war es eine Umstellung, aber durch die Konzentration auf die Spiele ist die Maske schnell in Vergessenheit geraten.“ Finger ist mit ihren Auftritten zufrieden: „Gerne hätte ich in manchen Situationen noch mehr Chancen bekommen, meine Leistung auf dem Feld zu zeigen, aber wir waren durch unser kurzes Vorbereitungscamp eine Woche zuvor in einer Ausnahmesituation, in der die Trainer außerordentlich stark gefordert waren, sodass ich den Druck, der auf ihnen lag, nachvollziehen kann.“

Am Ende gingen beide EM-Finals bei den Frauen und Männern kampflos an die Niederlande, weil in beiden Fällen Gegner Großbritannien nicht antrat. Das Bronzespiel bei den Herren zwischen Deutschland und Italien fiel auch flach – beide Teams hatten sich geeinigt, aus Sorge um ihre Gesundheit nicht antreten zu wollen.

Nur bei den Damen ging das Spiel um Platz drei über die Bühne – die Deutschen verloren 40:58 gegen Spanien. „Wir haben lange überlegt, ob wir antreten sollen, zumal ja im Vorfeld drei unserer Spielerinnen abgereist waren.  Sie verzichteten darauf, weiterzuspielen. Wir haben ihnen das offen gelassen, weil die Gesundheit über allem steht und haben für ihre Entscheidung vollstes Verständnis. Letztlich haben wir uns durchgerungen zu spielen. Vielleicht hätten wir es doch nicht machen sollen, weil wir so dem internationalen Verband doch noch eine Plattform geboten haben“, sagt Passiwan, der sich seine Premiere als neuer Frauen-Nationalcoach anders vorgestellt hatte.

Hätte die EM unter diesen Umständen überhaupt stattfinden dürfen? Beziehungsweise hätte sie zwischendurch abgebrochen werden müssen? „Es hätte wohl auch die Möglichkeit gegeben, die EM erst im nächsten Sommer auszutragen. Das wäre vielleicht die beste Lösung gewesen. Gleichzeitig denke ich, dass die Austragung jetzt auch kein Problem gewesen wäre, wenn es eine bessere Organisation gegeben hätte. Die Paralympics in Tokio haben gezeigt, dass nichts passiert, wenn es ein klares Hygienekonzept gibt“, sagt Passiwan.

Sportlich schaffte das deutsche Frauen-Team bei der EM die im Vorfeld angepeilte Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2022 in Dubai. Schon jetzt nimmt Passiwan das Turnier in den Blick: „Wir hatten bei der EM ein Team mit vielen jungen Spielerinnen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Der notwendige Umbruch geht nicht von heute auf morgen. Wir brauchen Zeit.“

Im neuen Jahr soll es mehrere ein- oder zweitägige Mini-Camps geben. Zudem werden individuelle Trainingspläne an die Spielerinnen verteilt. An Ostern soll dann in einem Auswahl-Camp das Aufgebot für die WM ermittelt werden.

Dann will auch Finger wieder zum Kader gehören: „Die WM 2022 ist definitiv mein großes Ziel. Auf der einen Seite möchte ich mich sportlich weiterentwickeln und mich unverzichtbar für das Team machen, und auf der anderen Seite möchte ich auch meinen Trainer stolz machen, der mich seit 18 Jahren bei den Dolphins trainiert.“

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