Radsport Kohl und Totschnig: Zwei Ex-Gerolsteiner-Fahrer und ihr heutiges Leben

Céret · Ab Sonntag geht die Tour de France in die Pyrenäen. Dort feierten Fahrer des einstigen Teams Gerolsteiner große und fragwürdige Erfolge. Was ist aus den (gefallenen) Helden geworden?

 Das war 2008: Stolz zeigt Bernhard Kohl sein Bergtrikot mit Gerolsteiner-Logo.

Das war 2008: Stolz zeigt Bernhard Kohl sein Bergtrikot mit Gerolsteiner-Logo.

Foto: JŸrgen Burkhardt/jb-photodesign/JŸrgen Burkhardt/jb-photodesign.de

Am Sonntag schlägt die Tour de France ein neues Kapitel auf. Auf der 15. Etappe startet das Feld am östlichen Rand der Pyrenäen und visiert nach 191,3 Kilometern das Ziel im Fürstentum Andorra an. Das kleine, nicht einmal 8000 Einwohner zählende Städtchen Céret im Département Pyrénées-Orientales, ist zum ersten Mal der Ausgangspunkt eines Teilstücks der „Großen Schleife“.

Die Pyrenäen: In dem französisch-spanischen Grenzgebirge hatte das einstige Team Gerolsteiner seine erfolgreichste aber auch zwielichtigste Zeit. Zwei Protagonisten damals im Kampf auf Augenhöhe mit dem Team Telekom: die Kletter-Spezialisten Bernhard Kohl und Georg Totschnig.

Es war der französische Nationalfeiertag, der 14. Juli, des Jahres 2008, als der Kärntner Kohl als seinerzeit 26-Jähriger auf der Königsetappe der Rundfahrt mit der Bergwertung am Col du Tourmalet und der anspruchsvollen Auffahrt zum Ziel in Hautacam nicht nur auf Rang vier im Gesamtklassement hinter dem neuen Gesamtführenden Cadel Evans fuhr, sondern auch den Grundstein für das gepunktete Bergtrikot legte.  Ein Kleidungsstück, das ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Noch im selben Jahr outete sich der Gesamtdritte jenes Jahres nach einer nachträglichen Dopingprobe in Wien als Konsument unerlaubter Substanzen, nämlich des Epo-Dopingmittels Cera: „Ich bin der Versuchung erlegen, weil der auf mir lastende Erfolgsdruck unglaublich groß gewesen ist“, sagte Kohl.

Er betreibt heute ein Radsport-Fachgeschäft im Süden von Wien mit 40 Angestellten und lebt mit seiner Familie in Brunn am Gebirge der Nähe von Mödling. Dem Newsportal noe.orf.at sagte er kürzlich, diese Zeit sei „ein Abschnitt gewesen, der zu meinem Leben dazugehört. Ich bin nicht stolz darauf, was da passiert ist. … Damals, als ich mich im Profisport befunden habe, war Doping leider gang und gäbe… Man macht dann mit und das wird dann leider zur Normalität“. Später habe er reinen Tisch gemacht und sei „heilfroh, wie alles gekommen ist“.

Bereits drei Jahre zuvor hatte sein Landsmann Georg Totschnig für den ersten Tagessieg eines Fahrers im cyanblauen Trikot und damit für den Ritterschlag einer Tour-Equipe gesorgt. Es war der bis dato Aufsehen erregendste Erfolg  der „Sprudelradler“. Im Pyrenäen-Ressort Ax-3-Domaines schrieb ,Totsch’ Geschichte. Der heute 50-jährige Tiroler fuhr von 2001 bis 2006 für das Team Gerolsteiner. Es war die Hochzeit des Eifeler Profi-Rennstalls. Dessen schillerndste, aber auch dunkelste Seiten fanden ihren Quell in den unzugänglichen Pyrenäenschluchten.

Totschnig, den Teamchef Hans-Michael Holczer 2001 vom Team Deutsche Telekom loseiste, war ein Mann der Gegensätze: Wo andere am Berg eingingen, lebte der Tiroler quasi auf. Dagegen hasste er die ultralangen Tagesstücke von mehr als 200 Kilometern vor solchen Prüfungen. Aber wenn er im Hochgebirge in der richtigen Verfassung sei, so wie bei seinem historischen Sieg in Ax-3-Domaines, dann vergäße er alle Schmerzen. Dann könne so ein Tag „der Horror, aber auch irgendwie sehr schön sein. Ich bin dann wie in einem Trancezustand“. Ob es auch wirklich nur die Glückshormone waren, die ihn beflügelten, ist nie geklärt worden.

Jahre später gab es eine zufällige Begegnung mit dem Ex-Gerolsteiner-Profi – bei einer Podiums-Veranstaltung der „Tiroler Tageszeitung“ in Zams. Leutselig und aufgeschlossen gab er sich, antworte auf alle Fragen, auch zum Thema Doping: „Ich stell’ mich nicht her und rede groß darüber – aber sicher ist: Spitzensport geht garantiert über die Grenzen.“ Wenn man „sauberen und feinen Sport“ fordere, dann müsse man auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Die Lacher auf seiner Seite hatte er für seine Abschlussbemerkung, die sein letzter Arbeitgeber kaum als lustig empfunden hätte: Seinen Wechsel von Team Telekom zu Gerolsteiner charakterisierte er, „als wenn’st von den Münchner Bayern zur Wiener Austria gehst…“

Auch Teamchef Holczer war zur besten Zeit seiner Equipe immer ein Kritiker wahnwitziger Etappen mit dem Col du Tourmalet, dem Col d’Aspin, dem Peyresourde, dem Col du Portillon und dem Puerto de Beret als quälendem Abschluss. Der heute 67-Jährige führte schon damals im Gespräch mit unserer Zeitung an: „Es mutet seltsam an, dass von den Fahrern mit einem solchen Streckenprofil auf der einen Seite extreme Leistungen verlangt werden. Aber auf der anderen Seite beklagt man sich, wenn man medizinisch an die Grenze geht und darüber hinaus.“

Der Peyresourde und der finale Aufstieg hinauf nach Saint-Lary-Soulan in über 2200 Meter Höhe warten in diesem Jahr am französischen Nationalfeiertag (14. Juli) auf die Fahrer. Den Tourmalet gilt es einen Tag später auf der Prüfung von Pau nach Luz Ardiden zu bezwingen. Inzwischen längst ohne das Team Gerolsteiner, das seit 2008 Geschichte ist.

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