Interview Ernährungswissenschaftler Uwe Schröder Nahrungsergänzungsmittel im Sport: Was sich lohnt – und wo Gefahren lauern

Bad Nauheim/Trier · Wer im Wettkampf oder im Training die letzten Reserven mobilisieren möchte, findet im Fachhandel ein großes Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler. Hält die Werbung, was sie verspricht? Antworten auf wichtige Fragen liefert der Experte vom Deutschen Institut für Sporternährung e.V..

 Ein (Kraft-)Sportler mischt sich Proteinpulver in seinen Shaker. Auch in anderen Bereichen greifen Leistungs- und Hobby-Sportler gerne zu Nahrungsergänzungsmitteln. Was sich lohnt und wo Gefahren lauern – darüber klärt ein Ernährungswissenschaftler auf.

Ein (Kraft-)Sportler mischt sich Proteinpulver in seinen Shaker. Auch in anderen Bereichen greifen Leistungs- und Hobby-Sportler gerne zu Nahrungsergänzungsmitteln. Was sich lohnt und wo Gefahren lauern – darüber klärt ein Ernährungswissenschaftler auf.

Foto: picture alliance/dpa/Nicolas Armer

Der Markt an Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler scheint unaufhaltsam zu wachsen. Es gibt Tabletten, Pillen, Pulver, Trinkampullen, Riegel und Gele. Woran liegt das?

Schröder: Viele Sportler wollen es so einfach wie möglich haben: Die Einnahme der Mittel spart Zeit, vereinfacht die Abläufe, ist bequem. Zudem geben sie das Gefühl einer garantierten Bedarfsdeckung, die mit ,normalen‘ Lebensmitteln oft schwer messbar ist.  Nahrungsergänzungsmittel liegen zudem im Trend und gehören für viele zum Lifestyle – genauso wie das passende Sport-Outfit.

Oft werden Effekte versprochen, die mit normalen Lebensmitteln angeblich nicht zu erreichen sind, sodass die Nahrungsergänzungsmittel gut ankommen. Eine Studie konnte nachweisen, dass verschiedentlich der Placebo-Effekt groß und messbar ist.

Hinzu kommt der Optimierungswunsch vieler Sportler: Nahrungsergänzungsmittel dienen ihnen entweder als Ausgleich eines nicht so guten Ernährungsverhaltens oder der Optimierung eines bereits guten Ernährungsverhaltens, um 100-prozentig abgesichert zu sein.

Die Werbung verfängt vor allem bei Jüngeren. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Schröder: Social Media und Influencer haben hier einen entscheidenden Anteil. Im Netz ist die Fitness- und Gesundheitskommunikation oft verknüpft mit Nahrungsergänzungsmitteln. Sie werden zudem oft von Sportlern beworben. Das weckt die Hoffnung, auch so auszusehen beziehungsweise Gleiches zu leisten, wenn man dieselben Mittel nimmt.

Vor allem Jüngere lassen sich verführen, etwa auch von der Wirkung für zeitgemäßes Aussehen (Muskeln zum Posen, nicht fürs Fußballspielen). Dieses verstärkte Körperbewusstsein wird dann in den sozialen Medien präsentiert.  

Grundsätzlich: Worauf sollte ich als Sportler bei der Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln achten?

Schröder: Zunächst ist hier zwischen Substitution und Supplementation zu unterscheiden.

Was bedeuten diese beiden Begriffe?

Schröder: Bei der Substitution werden Substanzen ersetzt, die der Körper zwingend in ausreichender Menge benötigt, deren Bedarfsdeckung aber entweder tatsächlich nicht gewährleistet oder scheinbar nicht gewährleistet ist. Beispiele sind Vitamine und Mineralstoffe, von denen vermutet wird, dass die individuelle Deckung nicht erreicht wird beziehungsweise bei denen durch ein Ernährungsprotokoll oder eine Laboranalytik einen Unterdeckung diagnostiziert wurde.

Vitamin D zum Beispiel sollte gerade in den Wintermonaten grundsätzlich substituiert werden. Auch die Einnahme von sekundären Pflanzenstoffen zum Beispiel über ein Konzentrat aus ausgewählten Gemüse-, Obst- und Kräutersorten kann sinnvoll sein. Vor allem dann, wenn nicht regelmäßig fünf Portionen Gemüse und Obst am Tag verzehrt werden, was in Deutschland eher die Regel als die Ausnahme ist.

Wenn ein großes Defizit bei Mineralstoffen und Vitaminen besteht, kann dieses sinnvollerweise durch Nahrungsergänzungsmittel kompensiert werden.

Und weiß heißt Supplementation?

Schröder: Bei der Supplementation werden Substanzen aufgenommen, von denen eine zusätzliche Wirkung zum Beispiel hinsichtlich Leistungssteigerung oder Unterstützung des Immunsystems erwartet wird. Hierzu zählen zum Beispiel Kreatin oder Beta-Alanin, aber auch hochdosiertes Vitamin C und Zink (fürs Immunsystem).

Wenn Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden, ist sicherzustellen, dass es für die individuelle Zielsetzung – das heißt für die Sportart, die Intensität und die Häufigkeit der betriebenen Belastung – überhaupt geeignet ist. Es ist zu klären, welche Nahrungsergänzungsmittel diese individuelle Zielsetzung unterstützen können, beziehungsweise, ob ein Defizit hinsichtlich lebensnotwendiger (essenzieller) Nährstoffe besteht.

Darüber hinaus ist die individuelle Dosierung, das Timing und die Dauer der Aufnahme so wie die potenzielle Kombination mit anderen Nahrungsergänzungsmitteln abzustimmen.

Wie wichtig ist die Herkunft eines Nahrungsergänzungsmittels?

Schröder: Es sollten zielgerichtet nur Nahrungsergänzungsmittel namhafter Hersteller sowie mit belegter Wirkung verwendet werden. Eine gute Übersicht bietet die sogenannte Kölner Liste im Internet (https://www.koelnerliste.com/). Von Billigpräparaten über dubiose Internet-Seiten sowie von undeklarierten Substanzen, die ,unter der Ladentheke‘ erworben werden, ist in jedem Fall abzuraten.

Lassen Sie uns mal genauer auf Inhaltsstoffe schauen. Energie- und Sport-Riegel sollen vor allem der Zufuhr von Kohlehydraten dienen, die eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung während des Sports spielen. Wer braucht sie?

Schröder: Diese Riegel enthalten in der Regel schnell verdauliche Kohlenhydrate (Zucker), getrocknete Früchte, Haferflocken und Maltodextrin. Zucker lässt den Blutzuckerspiegel schnell steigen – sinnvoll ist das bei allen intensiven Aktivitäten von mehr als 45 Minuten Dauer, zur Stabilisierung des Blutzuckerspiegels vor einer intensiven oder mental fordernden Aktivität sowie zur schnellen Regeneration. Mit ihnen können nach einem Ausdauertraining die Kohlenhydrat-Speicher wieder aufgefüllt werden.

Die Bedeutung schnell verfügbarer Kohlenhydrate vor, während und nach intensiver körperlicher Aktivität ist wissenschaftlich eindeutig belegt und wird auch von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestätigt. Ob die Energie dabei aus Sportgetränken, Gels oder Riegeln kommt, spielt für die Verfügbarkeit und die Wirkung keine Rolle. Hier kann situationsspezifisch und nach individuellen Geschmackspräferenzen vorgegangen werden.

Und wo lauern Gefahren?

Schröder: Da diese speziellen Sportnahrungsprodukte konzentrierte, schnell verfügbare Kohlenhydrat-Energie liefern, können sie bei hohem Konsum im Freizeit- und Breitensport durchaus mehr Kalorien liefern, als bei der sportlichen Aktivität tatsächlich verbraucht wird. Damit könnte es mittel- bis langfristig sogar zu einer Gewichtszunahme kommen. Deshalb sind der Einsatz und die verzehrte Menge idealerweise auf die individuelle sportliche Situation und Zielsetzung abzustimmen.

Bei amerikanischen Collegestudenten konnte zudem gezeigt werden, dass der regelmäßige, dauerhafte Konsum von zuckerhaltigen Sportgetränken das Risiko von Zahnschäden erhöht. Dies dürfte aber auch für alle anderen gesüßten Getränke bei Dauerkonsum gelten.

Wer Sport mit niedriger Intensität – zum Beispiel zur Gewichtsreduktion – und gesundheitsorientiert betreibt, sollte auf schnell verfügbare Kohlenhydrate aus Nahrungsergänzungsmitteln, aber auch aus der Banane oder Fruchtsaftschorle rund um die Aktivität verzichten, da ansonsten eine effektive Reizsetzung hinsichtlich eines Fettstoffwechseltrainings oder einer Fettstoffwechsel-Optimierung nicht möglich ist.

Aminosäuren sind die Bausteine von Proteinen (Eiweiß). Der Muskelaufbau soll mit Eiweiß- und Aminosäurepräparaten unterstützt werden. Macht es für Freizeitsportler Sinn, sich gezielt einzelne Aminosäuren zuzuführen, um damit der Muskulatur etwas Gutes zu tun?

Schröder: Häufig werden die sogenannten BCAAs (dabei handelt es sich um die verzweigtkettigen Aminosäuren Valin, Leucin und Isoleucin) und EAAs (die Abkürzung umfasst die insgesamt neun essenziellen Aminosäuren) zugeführt, da sie vom Körper nicht selbst hergestellt werden können. EAAs sowie Protein allgemein können ganz eindeutig bei entsprechendem Training den Muskelaufbau fördern. Von der Zufuhr einzelner Aminosäuren wird inzwischen abgeraten, mit der Ausnahme von Leucin, das gerade im Bereich der Prävention von ,Muskelschwund‘ bei Senioren eine herausragende Rolle einnimmt.

Auch bei energiearmer Ernährung (etwa bei einem Abnehmwunsch und der Reduktion der Körperfettmasse) können die Aminosäuren Muskelabbau bei Kaloriendefizit verhindern. Wichtig sind sie zudem in der Rehabilitation, in der Rekonvaleszenz und bei spezifischen Krafttrainingsphasen im Jahreszyklus.

Aber braucht’s für die Zufuhr zwingend Nahrungsergänzungsmittel?

Schröder: Nein. Hochwertiges Eiweiß ist auch in vielen Lebensmitteln enthalten (etwa in Fleisch, Eiern, Fisch, Käse, Sojaprodukten, Hülsenfrüchten). Deshalb ist der Bedarf auch über Lebensmittel leicht und meist effektiver abzudecken.

Was ist bei den Eiweißmengen zu beachten?

Schröder:  Beim gezielten Muskelaufbau – ob im Bereich der Rehabilitation, bei Krafttrainingsphasen in Spielsportarten, im Fitness-Sport oder beim reinen Krafttraining, Bodybuilding oder Bodyforming – können bis zu zwei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht am Tag sinnvoll sein. Das bestreitet auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung inzwischen nicht mehr.

Wichtig dabei ist, dass das Eiweiß auf mindestens drei, besser vier Hauptmahlzeiten mit Portionsgrößen von mindestens 20 Gramm Eiweiß verteilt wird. Es ist wenig effektiv, den gesamten Tag über am Eiweißshake zu nuckeln. Stattdessen sollte mit ausgewählten Lebensmitteln jede Hauptmahlzeit hochwertiges und ausreichende Mengen Eiweiß enthalten.

Und was gilt beim Sport, wenn kein gezielter Muskelaufbau im Mittelpunkt steht?

Schröder: Bei veränderter sportlicher Zielsetzung sollten die eben genannten Eiweißmengen reduziert werden. In vielen Sportarten wird zwar ein Krafttraining betrieben, dieses dient aber nicht dem gezielten Aufbau von zusätzlicher Muskelmasse, sondern zum Beispiel der Entwicklung der Schnellkraft oder der Kraftausdauer. Auch dabei ist ein erhöhter Eiweißanteil gegenüber Nichtsportlern sinnvoll. Hier reichen 1,4 bis 1,6 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag völlig aus. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat im Jahr 2021 darauf hingewiesen, dass Personen, die mehr als fünf Stunden in der Woche trainieren, einen erhöhten Eiweißbedarf aufweisen.

Das heißt: Eiweißshakes und Eiweißpulver sind ,Kann‘-Produkte, der Proteinbedarf ist jedoch ebenso gut über eine ausgewogene Ernährung abdeckbar?

Schröder: Eiweißshakes und Eiweißpulver mit hoher Qualität können – zielgerichtet eingesetzt – aufgrund ihres Conveniencegrades, ihrer Praktikabilität und universellen Verfügbarkeit gerade für Menschen mit Zeitmangel, in Turniersituationen, im Sporturlaub oder im Trainingslager eine temporäre Möglichkeit sein, einen erhöhten Bedarf beim Eiweiß zeitpunktspezifisch, leicht und sicher zu decken.

Grundsätzlich ist es aber empfehlenswert, auch den erhöhten Eiweißbedarf beim Sport mit hochwertigen, möglichst wenig verarbeiteten, eiweißreichen Lebensmitteln zu decken.

Neuere Studien sprechen hier von der ,Food Matrix‘, die bei speziellen Aminosäuren wie dem Leucin ein deutlich besseres ,Anfluten‘ im Blut über einen längeren Zeitraum garantiert und somit die Zielsetzung Muskelwachstum oder Muskelreparatur effektiver unterstützt.

Nächsten Mittwoch, zweiter Teil: So groß wie der Markt an Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler ist, so vielfältig ist auch der Informationsbedarf. Deshalb widmen wir uns auch im nächsten Teil unserer Serie „Echt fit!“ am Mittwoch, 13. April, dem Thema. Dann beantwortet Uwe Schröder Fragen zu Kreatin, das als Mittel zur Steigerung der Maximalkraft gepriesen wird, zur Wirksamkeit der allseits beliebten Magnesium-Tabletten, zur Ergiebigkeit von Sportler-Drinks sowie zu Vor- und Nachteilen der Banane als Sportler-Snack. Zudem hat der Ernährungswissenschaftler wichtige Tipps für Vegetarier und Veganer parat.

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