PRÜM Spochtipedia: Aerial Yoga – den Alltagsstress wegschaukeln

PRÜM · Aerial Yoga ist eine Yoga-Variante, die ein luftig-leichtes Gefühl bei den Übungen verspricht. Sportlich normalerweise sehr erdnah unterwegs hat Volksfreund-Reporter Holger Teusch gewagt, sich ins weiche Tuch zu hängen.

 Aerial-Yoga-Lehrerin Anita Reusch demonstriert die „Fledermaus“.

Aerial-Yoga-Lehrerin Anita Reusch demonstriert die „Fledermaus“.

Foto: Holger Teusch

Schaukelt er hin, schaukelt er her. Es sah alles so leicht aus, was Anita Reusch vorgemacht hat. Wie sie in diesem gelben Tuch hin- und herbaumelte und, schwups, kopfüber stand, die Fledermaus machte und vollkommen glücklich und gelöst aussah. Als mache sie sich ein bisschen über das Newtonsche Gravitationsgesetz lustig. Als gäbe es die Schwerkraft nicht.
Aerial Yoga nennt sich die Variante, die Anita Reusch praktiziert. Alles, was sie machte, sah eben spielerisch aus – und sei es auch, versichert die Yoga-Lehrerin. Die speziellen Tücher, die für Aerial Yoga gebraucht werden, sind fast drei Meter breit und gut vier Meter lang. Befestigt sind sie an zwei Punkten an der Decke oder einem Balken. „Ich bin froh, dass ich diesen Raum gefunden habe“, sagt Anita Reusch über ihren Kursraum beim AkitaFit in Prüm. „Normalerweise ist hier der Boxring.“ Die Deckenbefestigungen sollten also einiges aushalten, wenn sich sonst schon mal Kampfsportler der Schwergewichtsklasse in die Seile werfen. „300 Kilogramm halten die Tücher aus. Die Aufhängung ist wie bei Bergsteigern“, versichert Anita Reusch.
Also alles sicher! Und ein bisschen Entspannung nach einem Tag am Schreibtisch und vor dem Monitor tut bestimmt gut, denke ich mir, als die 56-Jährige vorschlägt, mir eine kurze praktische Einführung zu geben. Ein Reißverschluss an der in weiser Voraussicht eingepackten Outdoorhose muss abgeklebt werden. Der könnte die ab etwa 150 Euro erhältlichen Tücher beschädigen.
Dann geht es sehr sanft los. Meine Privatlehrerin gleicht die Höhe, in der das Tuch schwingt, mit meiner Körpergröße ab. Erst soll ich mich einfach auf den Boden setzen und den Kopf ins Tuch legen. Augen zu und bei den leichten Schaukelbewegungen entspannen. Tut schon mal gut!
Es geht leicht weiter: Sieben Handbreit Tuch hüftbreit fassen und hineinsetzen, wie in eine Schaukel. Reitersitz ist auch noch kein Problem. Aber dann kommt‘s: Mit den Füßen soll das Tuch in Richtung Aufhängung, also nach oben, umklammert werden. Ich zappele im Tuch hin und her, komme mir ein bisschen vor wie ein Fisch im Netz, spüre die verkürzten Oberschenkelmuskeln und nehme mir vor, zu Hause wieder mehr Dehnübungen zu machen. Erst muss ich mich aber mit den Händen im Tuch festkrallen und ziehen. „Man bekommt mehr Kraft in die Hände“, versichert Anita Reusch – und ich glaube es ihr sofort. Zum Glück gibt sie etwas Hilfestellung, bis ich irgendwann irgendwie kopfüber hängend schaukele.
Die Yoga-Lehrerin hat mich so im Tuch dirigiert, dass ich mich vollkommen sicher fühle. Aber das Blut schießt natürlich in den Kopf. Vorher hat sie mich gefragt, ob ich Probleme mit Schwindel oder Übelkeit hätte. Ich war mir sicher, das im Griff zu haben. Ein bisschen flau wird mir nun allerdings schon.

„Es ist eine ganz andere Gleichgewichtssituation, als wir es normal kennen“, erklärt Anita Reusch. Die Ehefrau eines passionierten Seglers, die immer seekrank wurde, wenn sie mit ihrem Mann in See stach, habe nach einigen Stunden Aerial Yoga keine Probleme an Bord eines Schiffes mehr gehabt, erzählt Reusch, dass auch solche Probleme wegtrainiert werden können. Allerdings sei Aerial Yoga für Schwangere und Menschen mit entsprechenden Erkrankungen wie Bluthochdruck oder erhöhtem Augeninnendruck nicht geeignet.
Wenn es einmal geschafft ist und man kopfüber über den Boden schaukelt, ist es ein schönes Gefühl – und eine ungewohnte Perspektive. Man muss loslassen, sich dem Tuch anvertrauen. Eine gewisse Leichtigkeit und ein Losgelöstsein stellt sich automatisch ein. „Man kann den Alltagsstress wegschaukeln“, meint Anita Reusch.

Kindheitsträume werden wach. Anita Reusch hängt sich ins Tuch und schaukelt mit bogenhaft gespannten Körper ähnlich Kate Winslet auf der Titanic.
Man merkt, dass Reusch vom klassischen Yoga her kommt und sie nicht nur auf den Körper, sondern auch auf mentale Aspekte abzielt. Sie hat Yoga 1995 in den USA erlernt. Die luftige Variante, die zu Beginn des Jahrzehnts aufkam, hat die Frau aus der Eifel schnell fasziniert. „Ich wollte nicht immer nach Köln fahren, um das zu machen“, erklärt Reusch ihren Beweggrund, Aerial Yoga auch in Prüm anzubieten.
Denn das Tuch erleichtert viele Übungen. „Auch Anfänger können einen Handstand machen“, sagt Anita Reusch. Den Beweis liefere ich selber und erinnere mich, wie wir bei unserem Sport-, einem ausgesprochenen Turnlehrer, als Schüler diese Übung stundenlang immer und immer wieder mehr schlecht als recht geübt haben. Die Schwerkraft hatte uns damals im Griff.
Anders beim Aerial Yoga. Viele Körperstellungen, die sogenannten Asanas, können leichter eingenommen werden. So unterstützt das Tuch beispielsweise beim sogenannten Hund (auch Dachstellung genannt: Füße und Hände stehen auf dem Boden, Beine und Oberkörper bilden ein Dreieck), ohne das die Dehnung leidet.

Wichtiger Aspekt: „Kopfüber wird die Wirbelsäule gestreckt“, erklärt Anita Reusch. Einleuchtend! Auch die Schulter- und Halsmuskulatur, die tagein, tagaus den etwa sechs Kilogramm schweren Kopf aufrecht halten muss. Ich merke, Aerial Yoga ist vor allem für die etwas, die viel am Schreibtisch sitzen.
Zum Schluss lotst Anika Reusch mich in das große Tuch wie in eine Hängematte. Shavasana wird die Entspannungsstellung, im klassischen Yoga mit leicht abgespreizten Armen und Beinen auf dem Boden liegend ausgeführt, genannt. So lümmle ich entspannt und umspannt im Aerial-Yoga-Tuch, schwinge hin und her und lausche. Anita Reusch spricht untermalt von leiser Musik beruhigend davon, was die Übungen der abgelaufenen Stunde bewirkt haben – nicht nur körperlich, auch mental. Umschlungen vom Tuch, das erinnere uns an unsere Herkunft als Embryo im Mutterleib. Geschützt, geborgen.
Ein bisschen benommen, aber irgendwie leichter gehe ich kurz darauf zum Auto. Doch nach einigen Kilometern merke ich, dass Aerial Yoga nicht nur entspannend wirkt, Muskeln und Gelenke dehnt und kräftigt. Schon während der Übungen war ich ins Schwitzen gekommen. Vom geplanten abendlichen Dauer­lauf hatte ich schnell Abstand genommen. Aerial Yoga war genug Sport für heute. Jetzt muss sich der Kreislauf erst einmal wieder beruhigen und auf die neue, besser alte Situation einstellen. Ich spaziere ein Stück über die Höhen, lasse mir den Eifelwind ins Gesicht wehen. Beim Anblick einer knorrigen alten Eiche mit ihren starken Ästen kommt mir der Gedanke: Aerial Yoga im Freien, das wäre doch bestimmt wie Fliegen!

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