Boy-„Wahnsinn“: Wieder Vize hinter König Uchimura

Tokio (dpa) · Er riss die Fäuste in die Luft, schaute genüsslich an die Hallendecke und peitschte dann das Publikum an: Philipp Boy hat das schier Unmögliche möglich gemacht und wie im Vorjahr den zweiten Mehrkampf-Platz bei den Turn-Weltmeisterschaften belegt.

„Das ist der Wahnsinn. Es war ein Superwettkampf“, sagte der Sunny-Boy aus Cottbus, nachdem er in Tokio seine großartige Aufholjagd von Platz 16 aus mit WM-Silber gekrönt hatte.

Mit 90,530 Punkten für seinen perfekten Sechskampf musste er wie in Rotterdam nur dem überragenden Japaner Kohei Uchimura (93,531) den Vortritt lassen. Uchimura trug sich damit in die Geschichtsbücher ein: Er gewann nach 2009 und 2010 als erster Turner zum dritten Mal den Allround-Titel und wurde dafür von 6600 Zuschauern im ausverkauften Metropolitan Gymnasium stürmisch gefeiert. Der Japaner präsentierte einen Mehrkampf der Extraklasse, ging schon nach dem zweiten Gerät in Führung und war von keinem Konkurrenten auch nur annähernd zu gefährden.

„Ich gönne es ihm sehr. Ich muss zur Kenntnis nehmen: Ich bin in der falschen Generation geboren. An ihm kommt keiner vorbei“, gratulierte Boy dem neuen Turn-König. Marcel Nguyen aus Unterhaching hatte kleinere Fehler am Sprung sowie am Reck und erreichte mit 88,831 Punkten dennoch den ausgezeichneten 8. Rang.

„Ich freue mich vor allem, dass ich damit für den Weltcup im nächsten Jahr qualifiziert bin“, sagte der Unterhachinger. Damit kamen erstmals seit 20 Jahren wieder zwei deutsche Mehrkämpfer bei einer WM in die Top 10.

„Philipp hat die Big Points heute am Sprung und am Reck gemacht. Das waren Übungen, wie wir sie uns vorgestellt haben“, sagte Cheftrainer Andreas Hirsch. Boy war gut am Boden gestartet und atmete ganz tief durch, als es erstmals in Tokio auch am Pauschenpferd lief. Damit hatte er sich an den ersten beiden Geräten schon über 1,6 Punkte mehr als im Vorkampf erarbeitet. Als ihm dann beim Sprung sein Roche gelang, ballte er schon die Faust und fiel Andreas Hirsch in die Arme. „Da war klar: Jetzt läuft's, und dann kam noch mal ein kleiner Dämpfer am Barren. Und ich muss sagen: Vor dem Reck ging mir der Arsch auf Grundeis“, gestand der Lausitzer.

Doch dann legte er eine Top-Übung hin und meldete mit 16,066 Punkten Medaillenambitionen für das anstehende Reck-Finale am Sonntag an. „Jetzt kann ich ganz relaxed rangehen, denn ich habe mir mein großes Ziel erfüllt, Silber zu wiederholen“. Dennoch gab er zu, es sei viel schwerer den Erfolg zu verteidigen, als ihn erstmals zu holen. „Der Trainer sagt: Jetzt bist Du wer. Alle schauen auf Dich. Damit muss man erstmal fertig werden“, beschrieb der Europameister von Berlin seinen ungeheuren Druck.

In den Katakomben musste Boy Hunderte Hände schütteln und fiel den Teamgefährten sowie der kompletten Frauen-Riege in die Arme. „Total geil. Die Sterne standen heute gut für ihn. Dicken Respekt“, gratulierte Thomas Taranu. „Ich bin jetzt ein bissel leer und einfach nur glücklich“, sagte Heimtrainer Karsten Oelsch. Auch Reck-Rivale Fabian Hambüchen hatte Boy auf der Tribüne angefeuert, bei der Gratulationskür fehlte der Hesse aber. „Kein Kommentar“, meinte Boy nur dazu.

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