China dominiert Paralympics: Erfolg verdeckt Probleme

London (dpa) · Der große Erfolg Chinas bei den Paralympics in London kommt nicht von ungefähr. Das staatliche Sportsystem in China investiert massiv in den Spitzensport der Behinderten.

„Es ist der riesige Input“, erklärt der Direktor am Studienzentrum für Sportkultur der Akademie der Sozialwissenschaften, Jin Shan, den ersten Platz in der Medaillenwertung. Mit 85 Millionen hat das Riesenreich so viele Behinderte wie Deutschland Einwohner zählt. Aber der große Pool sei nicht die Ursache des Erfolgs, sagt der Experte der Deutschen Presse-Agentur in Peking. Sonst würde auch Indien viele Goldmedaillen holen. „Chinas Regierung investiert große Mengen Geld, um die behinderten Sportler zu trainieren.“

Nach Athen 2004 und bei den Spielen daheim in Peking 2008 zieht das chinesische Team auch in London wieder an allen anderen vorbei. „Bis jetzt hat jeder Ausrichter von Paralympics vier Jahre später nachgelassen. Das ist nun erstmals nicht der Fall“, sagt Karl Quade, Chef de Mission der deutschen Mannschaft in London. „China hat enorme Power und Geld - und ist in straffen Strukturen organisiert. Das müssen wir neidlos anerkennen.“ Rund 2,7 Millionen behinderte Sportler zählt China. In 220 Trainingszentren im Land werden die Athleten generalstabsmäßig auf die Wettkämpfe vorbereitet.

Das Staatssystem garantiert Trainer, Experten, ausgezeichnete Sporteinrichtungen und ausreichend Trainingszeiten für die Athleten. Die Vorbereitung für die Paralympics sei „fast wie militärisches Training“, schreibt die Zeitung „Global Times“. „Es mobilisiert die nationalen Vorzüge und Ressourcen mit dem vorrangigen Ziel, Gold zu gewinnen“, sagt Forscher Jin Shan. „Vielleicht können das nur noch Nordkorea und China so effektiv.“ Westliche Sportorganisationen konzentrierten sich hingegen vor allem darauf, die Fitness der breiten Bevölkerung zu verbessern.

Von dem Ruhm und Respekt, den sich die chinesischen Athleten bei den Paralympics erkämpfen, haben die vielen Behinderten in China ziemlich wenig. Meist leben sie am Rande der Gesellschaft - ausgegrenzt, gemieden, beschämt und ohne Chancen. Wenn Behinderte in China auf den Straßen gesehen werden, sind es meist Bettler, die entweder allein oder organisiert vom Mitleid der anderen Menschen leben müssen.

„Es geht auch nur um Goldmedaillen, nicht um die Teilnahme von Behinderten im Sport“, sagt die Direktorin des Blindenzentrums Hongdandan, Zheng Xiaojie, in Peking kritisch. „Es erfüllt nur einen Auftrag, eine Weisung der Kommunistischen Partei.“ Der Status der Behinderten in der Gesellschaft verbessere sich dadurch nicht.

Zwar werden viele Millionen in den paralympischen Spitzensport gesteckt, aber nicht in eine behindertengerechte Umgebung in den Städten. „Es ist schwierig für Behinderte, vor die Tür zu gehen“, sagt die Aktivistin der dpa. Das andere Problem sei aber auch die Einstellung der Gesellschaft ihnen gegenüber. „Die Menschen werfen ihnen in der Öffentlichkeit sonderbare Blicke zu“, sagt Zheng Xiaojie. „Viele sehen sie an, als wären sie Missgeburten.“

Mit dem Begriff „behindertengerechtes Umfeld“ sind somit nicht nur Rampen, Blindenschrift oder Aufzüge für Rollstuhlfahrer gemeint, sondern auch die Bereitschaft, Behinderte als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu behandeln. „Die Behinderten trauen sich nicht, den Mund aufzumachen, und haben ohnehin ein schwaches Selbstwertgefühl“, weiß Zheng Xiaojie. „Dann fangen sie sich noch diesen Blick anderer Leute ein. Dadurch wird es ihnen unmöglich, das Haus zu verlassen.“

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